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Archives: Bimbache openArt

 

„Man muss ins Gelingen verliebt sein.“

(Ernst Bloch)

 

Ein Anruf vom Kulturamt, es sei noch Geld im Budgettopf übrig. „Kommt! Macht!“ Sie kamen und machten und werden am Ende wohl doch auf einem Teil der Kosten für ihr auf den Erdboden gebrachtes Wunder sitzenbleiben. Das Bimbache openArt Festival ist international bekannt und besetzt, es fungiert aus Kraftquellen, die das Zeitliche verräumlichen und das Räumliche verzeitlichen, um bei Ernst Bloch zu bleiben.

Am 5.12.21 stand alles parat. Von fernher liefen die einheimischen Trommler auf, warnten vor den unberechenbaren Kulturherren und kündigten lautpochend den Beginn des großen Musikereignisses auf der kleinen Insel El Hierro an. Trotz Kaumzeit zur Vorbereitung, trotz strenger Coronaregeln, trotz kühler Temperaturen in der hochgelegen Haupstadt Valverde fand das Bimbache Fest statt. Der Musiker Torsten de Winkel hatte zusammen mit seiner Partnerin Sabine das Unmögliche möglich gemacht. Mehrere Musiker saßen schon auf der Bühne, als die Trommler einzogen. Wir wussten noch garnicht, wie die Talente hießen, die uns von der Bühne herunter anfunkelten. „Die Nacht der Sterne“, so war das Motto, gehörte uns Allen. So klang die weiche Stimme von Ismailah wie ein ehrfürchtiges Danke, als er „Ave Maria“ sang. Wir hörten atemberaubende Solis an der Gitarre, am Saxophon, an der Querflöte, an den Drums, dem Keyboard, an dem Triangel, mit Castagnetten und dieser hochtalentierte Musiker an seiner Timple. Die Bühne war manchmal voll mit Musikern, 10 und mehr.

Wir sitzen unter großen Kastanienbäumen. Das Konzert ist gut besucht, der Eintritt frei. Alle müssen Masken tragen, die Ohren dürfen frei bleiben. Immer wieder ertönt die weiche Stimme von Ismailah. „Gracias a La Vida“ singt er, Torsten variiert die Melodie, Jorge Pardo nimmt sie mit seiner Querflöte auf. Was für ein exzellentes Duo die Beiden sind.

Und dann kommen zwei Einheimische auf die Bühne. Vater und Sohn, zusammen 158 Jahre alt. Sie singen Balladen aus vergangenen Zeiten. Ich habe Tränen in den Augen. Rogelio Botanz, der Sohn, ist meine Neuentdeckung. Was für ein Musikbündel! Er singt, er tanzt, er spielt Gitarre und Querflöte. Ich bin längst aufgesprungen und tanze mit.

Wir sind längst im zweiten Bimbache Konzert, 7.12. im Golf aufgeführt. Nicht so kalt da und mehr Publikum. Torsten an der Gitarre zusammen mit Jorge an der Querflöte. Wie er da neben dem Maestro steht. Wer denkt da nicht an Jethro Tull. Dann tritt der große Saxophonist Kike Perdomo hinzu. Wir hören Flamencojazz. Wir sind in Spanien. Wir sind im musikalischen Himmel. Sicher ist der große letzte Teil ein Hochgenuss für Jazzliebhaber. Dass zuvor einem AufmerksamkeitsInterim von anderen Künstlern aus der Fotografie, dem Tanz, der Poetik gezollt wurde, spricht für die anzuerkennende Qualität der Organisatoren.

Dass meine Neuentdeckung, Rogelio, noch einmal zum Schluss auf die Bühne sprang und zusammen mit den Anderen musizierte, war ein unvergesslicher Augenblick, besonders als Jorge noch einmal seine Querflöte anlegte, um Rogelio, ebenfalls an seiner Flöte, zu begleiten.

Torsten, danke – „ and never change a winning Team.“

 

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Torsten, du bist Jazzgitarrist und Mitbegründer des Bimbache openART Festivals hier auf El Hierro. Aufgrund der Corona Pandemie fällt leider auch dein Festival in diesem Sommer aus. Welche Möglichkeiten hast du gefunden, trotzdem deine Musik aufzuführen? Du kennst vielleicht Jeff Tweedy von WILCO oder Gianna Nannini, die ebenfalls mit ihrem Tiny Home Concert einen Weg der Performance gefunden hat.

 

Torsten: Ich habe zwar dereinst Jazz-Gitarre und Komposition studiert, dazu einige Semester Psychologie und Philosophie, aber in der Praxis sind diese Schubladen eher sinnfrei … ich bin Musiker, Orchestrator, ein Suchender nach allem, was Emotion transportieren kann … und hierfür habe ich mit den Jahren einige sinnvolle Werkzeuge angesammelt. Ja, richtig, ich bin Mitinitiator des Bimbache openArt Festivals, von Anfang an vor allem als Begegnungsplattform konzipiert, obwohl es natürlich auch Konzerte und Performances gibt. Dieses Konzept setzt sich das ganze Jahr hindurch fort, ausserhalb des offiziellen Festivalzeitraums lediglich im kleineren Rahmen. In unserem Künstlerhaus CasArte finden jetzt auch Home Concerts statt, nach wie vor mit Künstlern aus aller Herren Ländern sowie lokalen Musikern, die teils traditionelle, teils zeitgenössische Gattungen repräsentieren.

Im Kontext unseres Festivals muss ich oft mehr Orakel sein als künstlerischer Leiter, mein offizieller Titel. Ich muß hier in meist sehr kurzer Zeit zwischen widersprüchlichen kulturellen Ansätzen und Arbeitsweisen vermitteln, was nur über die Intuition zu leisten ist. Das heißt, ich “fühle” und probiere im Kollektiv aus, was die Musik bereichern könnte und wo genau die Gemeinsamkeiten und Anknüfungspunkte zwischen den Traditionen liegen. Zugleich gebe ich den beteiligten Musikern den größtmöglichen Freiraum, sich spielerisch einzubringen.

 

Ich habe per Zufall eine CD von dir hier auf dem lokalen Sonntagsmarkt gefunden. Beeindruckend, mit welchen Weltmusikern du kommunizierst.

 
 


 
 

Im Booklet steht, dass Musik als internationale Sprache gelte. Wie funktioniert die Verständigung mit Musikern aus den verschiedenen Winkeln der Erde?

 

Im Booklet ist mit gemeinsamer Sprache gemeint, dass wir uns die Mühe machen sollten, Konfrontationen und Ausgrenzungen aufzuheben in der Musik wie auch generell, und mehr auf das Gemeinsame zu achten als auf das, was uns trennt. Ich erinnere mich an meine Schulzeit, wo es immer zwei Lager gab. Beide fanden jeweils die Lieblingsband der anderen doof, und ihre Fans gleich mit – der tatsächliche musikalische Unterschied ging de facto gegen Null. Es war fast wie ein Zwang, ein Feinbild zu haben, anstatt aufeinander zuzugehen und voneinander zu lernen. Barenboim ist ein grossartiges Beispiel dafür, wie man die Musik als Frieden stiftenden Prozess einsetzen kann. Mit seinem West-Eastern Diwan Orchestra engagiert er sich auf inspirierende Weise für die deutsch-israelische Aussöhnung, und ich mit. Es geht doch stets um Toleranz und echte Offenheit, aber da haben wir als Spezies noch viel Arbeit vor uns.

 

Die Bimbaches waren die vorspanischen Ureinwohner, nach ihnen ist das Festival benannt. Weisst du, ob sie ein Instrument spielten, z.B. eine Art Flöte?

 

Nein, das weiss ich leider nicht, mir sind keine diesbezüglichen Überlieferungen bekannt. Ich bin aber ein großer Fan des Gnawa und der musikalischen Traditionen der Berber nebenan auf dem marokkanischen Festland.

 

Auf deiner CD „Bimbache Jazz y Raices – Condicion Humana“ spielst du einen Tango Herreño. Was bedeutet das? Haben lateinamerikanische Einwanderer den Tango importiert?

 

Nein, Tango ist lediglich ein im spanischsprachigen Raum häufig vorkommender Begriff. Im Flamenco z. B. beschreibt er die gebräuchlichste Form des 4/4-Takts.

 

Wer kommt eigentlich immer zu dem Festival, neben den international geladenen Kûnstlern? Kommen auch viele Einheimische? Mein Eindruck von den Herreños ist, dass sie in einer geschlossenen Gesellschaft leben.

 

 

Wir betrachten es als Auszeichnung und auch als Legitimierung unserer Arbeit, daß rund 1000 lokale Zuschauer zu den großen Abschlusskonzerten kommen, sonst wäre das ja auch alles nur „preaching to the choir”. Und wir streamen diese Konzerte über rund ein Dutzend internationaler Webradio-Sender. Wie auf der CD dokumentiert führen zwischen 20 und 30 Künstler verschiedener Disziplinen die Highlights des zuvor gemeinsam Erarbeiteten auf, rund die Hälfte davon kommen von den 8 kanarischen Inseln. Unter allen, auch unter den eingeladenen ausländischen Musikern, gibt es immer wieder gewisse Anfangsschwierigkeiten, das ist auch so gewollt. Ich erinnere mich an Probleme zwischen einem Norweger und einem Musiker aus Benin, sie lebten in sehr unterschiedlichen musikalischen Welten. Am Ende half ein Jazz-Musiker mit Flamenco-Background, den Gegensatz zu überbrücken.

Die lokalen Musiker wiederum sind Hüter eines Schatzes, den sie mit den lokalen Festivalbesuchern teilen. Zum Glück kennen und schätzen die noch ihre eigene Kultur, die ist hier noch nicht zu Tode begradigt. Und sie haben noch den direkten Kontakt zu ihrer Natur, einer beeindruckend kraftvollen Natur mit therapeutischem Potential für alle, die vom Leben in einer Streichholzschachtel in einem hochgradig von Konkurrenzkampf bestimmten Alltag an ihre Grenzen geraten sind. Wir wissen ja nicht nur aus der Philosophie, sondern mittlerweile auch aus den Neurowissenschaften, dass kooperative Kultur glücklicher macht als kompetitive. Für uns alle heisst das erstmal raus aus unserer Komfortzone und rein in solche kleinen Versuchsorte, Safe Spaces, Low Judgment Zones. Zusätzlich veranstalten wir runde Tische, um mit den geladenen Gästen aus Kunst, Kultur und Wissenschaft und Einheimischen auf Augenhöhe zu diskutieren. Dies findet im Ambiente der wunderschönen Insel statt. Und doch müssen wir immer achtsam bleiben, offen für Überraschungen und Unvorhergesehenes. Nicht in die Falle unseren eigenen Erfolgs tappen und Erfolgsformeln immer wieder gleich wiederholen, sondern weiter Integration praktizieren in kleinen Umbauübungen im Sinne unserer Zukunftsvision.

 
 


 
 

Du lebst auch in New York. Ist dort deine Quelle der Inspiration oder eher hier auf der stillen Vulkaninsel?

 

Das ist kein Gegensatz und informiert sich durchaus gegenseitig. Klar ist New York wie der Wizard of Oz, so wie eigentlich unsere ganze Kultur, eine gigantische Projektions- und Illusionsmaschine. Mitte der 90er Jahre, nach meiner Arbeit mit der Pat Metheny Group und diversen CDs mit Musikern aus den Kreisen um Herbie Hancock, Miles Davis und Carlos Santana, hatte ich die Nase voll und gründete dort mit Kollegen das internationale Künstlerkollektiv NYJG (New York Jazz Guerrilla). Unser Label heisst nach wie vor so. Mir ging es auch da schon um den Abbau von Feindbildern und die internationale Völkerverständigung, aber ebenso sehr um die Schaffung neuer Arbeitsstrukturen für Musiker. Das Internet war damals ganz neu und schien ein ideales Werkzeug … wir kooperierten zunehend mit ähnlichen Organisationen mit lokaler Struktur an verschiedenen Orten in der Welt, und schließlich gab es das erste Bimbache openART Festival, zu dem wir Künstler aus dem ganzen Netzwerk und bald aus fünf Kontinenten einluden.

Die Musiker aus traditionellen Stilen werden übrigens nicht aufgefordert, ihre Musik irgendwie zu verändern, wir erarbeiten statt dessen zusätzliche Räume und Klang-Layer, die mit der Substanz des Originals nicht kollidieren. Und alles zusammengefasst gelingen immer wieder kleine Wunder in der Überwindung von stilistischen Schubladen, Vorurteilen und Abwehrhaltungen, mehr, als das in New York der Fall war. Jetzt, in Coronazeiten, haben wir global und alle gemeinsam Gelegenheit, zu spüren, wie es sich anfühlt, ein paar Gänge runter zu schalten, und zu entscheiden, was davon wir bewahren möchten, statt manisch wieder in alle alten kulturellen Pathologien zurückzukehren. Ich werde weiter nach Kräften dazu beitragen, ob mit meinen Projekten wie Hattler, Idiot Savants und anderen, ob auf Tournee oder von Zuhause aus. Und im Rahmen des Festivals, wenn auch zur Zeit mit einer begrenzten Anzahl von Gästen, aber dafür mit Videomitschnitten, die wir dann hinaus in die Welt senden.

 

Danke für das schöne Gespräch.

 

(Weiterführende Links unter „Kommentare“)


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