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Die Firma Radio Schramm gibt es noch. Sie war schon immer die Nummer 1 am Ort. Jetzt hat sie so gut wie keinen Konkurrenten mehr in der Stadt – dafür andere, mächtigere. In den 50er und 60er Jahren versorgte sie Jukeboxen vieler Kneipen in weitem Umkreis mit populärer Musik, mit Jan & Kjeld, Hang Down Your Head Tom Dooley, Jørgen Ingmann, I Want to Hold Your Hand

 
 
 

 

 
 
 

Das ist die Fassade des alten Ladengeschäftes. Durch die Türe links neben dem Schaufenster trat man ein in den Verkaufsraum. Als Schüler war ich selten dort. Meinen ersten Plattenspieler (Philips Cortina) bekam ich zur Konfirmation geschenkt. Es gab bei Schramm eine gewisse Auswahl an Schallplatten, aber die wenigen, die mich interessierten, waren mir zu teuer. Ich mochte nur Klassische Musik, jedoch kosteten LPs der Marken Deutsche Grammophon Gesellschaft, Electrola etc. um die 24,– DM. Ich trat dem Ring der Musikfreunde, Köln bei. Vier Käufe pro Jahr waren Pflicht. Das reichte mir vorerst, und die ‘Schallplatte des Monats’ war wirklich preiswert!

 

Dennoch hätte ich 1961 beinahe die erste Jazzplatte meines Lebens bei Radio Schramm gekauft. Meine Cousine hörte im Bayerischen Rundfunk regelmäßig die ‚Schlager der Woche‘. Eine Zeit lang hielt sich ein wunderschönes Stück im Chart, das mir sofort ans Herz gewachsen ist. Ich fragte nach bei Schramm:

 

  – Ham Sie Take Five?

  – Naa, des ham mer net.

 

Schade.

Über die Jahre habe ich insgesamt 5 Platten bei Radio Schramm gekauft: die zwei abgebildeten Doppel-Alben, die sich noch immer in meiner Sammlung befinden, und eine LP mit Orchesterwerken von Maurice Ravel, dirigiert von André Cluytens.

 
 
 

wof          zuma

 

2021 12 Jul

Auszeit

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Vor zwei Tagen holte ich aus dem Postkasten ein Packerl, gefüllt mit feinen Überraschungen. Besonders angetan hat es mir ein Album mit dem Titel TIMEOUTTAKES. Robinson Crusoe hätte das bestimmt für ein seltsames Wort gehalten, diese Collage, diese Verklebung der Wörter ‚time out‘ und ‚outtake‘. Mit time out hätte Robinson sicher etwas anfangen können, hatte er doch auf einer namenlosen Insel eine Auszeit genommen – wenn auch unfreiwillig. Und outtake, Ausschuss, Gerümpel sammelt sich doch in jedem Haushalt an.

Man findet derzeit bestimmt Personen, denen TIMEOUTTAKES nichts sagt. Ach was, es gibt genug Leute, die an diesem Wort achtlos vorbeigehen würden, falls es ihnen überhaupt begegnet. Man muss schon Dave Brubeck und sein legendäres Quartett kennen, um den Hintergrund zu verstehen. Ich kenne das Dave Brubeck Quartet nicht nur, ich liebe es. Erroll Garner und Dave Brubeck waren die door opener zum Jazz als ich Teenager war. Die Alben jazz RED HOT AND COOL, Gone with the Wind und At Carnegie Hall waren meine ersten und jahrzehntelang einzigen Brubeck-Alben. Das wohl berühmteste Album des Dave Brubeck Quartets – Time Out – habe ich mir tatsächlich erst vor wenigen Jahren zugelegt. Im englischen Wikipedia-Artikel liest man darüber:

 

The album peaked at No. 2 on the Billboard pop albums chart, and was the first jazz album to sell a million copies. The album was selected, in 2005, for preservation in the National Recording Registry by the Library of Congress as being „culturally historically or aesthetically significant“.

 

Der Grund für den außerordentlichen Erfolg der Schallplatte war Take Five – ein Stück, das im Jahr 1961 im Bayerischen Rundfunk wochenlang auf Platz 1 der Schlager der Woche stand. Es werden damals nicht alle Schlagerfuzzies gemerkt haben, dass Take Five im 5/4-Takt daher kommt. Diesen Satz habe ich DeepL anheim gestellt und folgendes Resultat erhalten:

 

Not all Schlagerfuzzies will have noticed at the time that „Take Five“ is in 5/4 time.

 

Na also! „Time“ ist das englische Wort für „Takt“ und „Time Out“ bedeutet nicht „Auszeit“, sondern mit Verlaub frei übersetzt „Ausbruch aus den konventionellen Takt-Mustern“ des Jazz, als da sind 4/4-Takt wie in Blues March und 3/4-Takt wie in Jitterbug Waltz. So ist das Thema von Blue Rondo à la Turk im 9/8-Takt geschrieben, wobei die Binnenstruktur dieses Neuners (vorwiegend) 2 2 2 3 ist. Béla Bartók bezeichnet so etwas als ‚Bolgár Ritmus‘.

Time Out ist eines der rhythmisch innovativsten Alben der Jazzgeschichte. Aber heutzutage sind derartige rhythmische Strukturen nichts Ungewöhnliches mehr. Man möge sich nur umhören bei Nik Bärtsch, Jacky Terrasson, King Crimson, Gentle Giant, Don Ellis – meine heißesten Empfehlungen am 12. Juli 2021 …

 

 

 

 

 

 

Das Packerl vom 10. Juli 2021 hat für mich Dave ‚Dornröschen‘ Brubeck wieder erweckt. Das Quartet kommt auf dem Album TIMEOUTTAKES daher in blühender Schönheit, unverbrauchter Frische, auch aufnahmetechnisch vollendet. Kein Wunder! Der verantwortliche Toningenieur war der aus München stammende Fred Plaut, welcher auch für die brillante Aufnahmequalität von Miles Davis‘ Kind of Blue sorgte.

Die Musik des Dave Brubeck Quartet ist von wunderbarer Eingängigkeit und steckt doch voller raffinierter musikalischer Rätsel, die zu knacken mir ein Vergnügen ist, welches das Lösen von Kreuzworträtseln um das 1001-fache übersteigt. TIMEOUTTAKES ist ein Meisterwerk, das dem 1959 veröffentlichten Time Out in nichts nachsteht, es meiner Meinung nach sogar übertrifft. Das Showpiece Take Five gefällt mir in der Fassung des Outtake-Albums viel besser. Es ist zupackender wegen des deutlich schnelleren Tempos, es ist konsequenter im Featuring von Drummer Joe Morello. Sein Solo ist unbegleitet von Brubecks Piano Figur. Morello leitet das Stück ein mit einem Beckenrhythmus, der seine offensichtliche Simplizität in dem Moment verliert, wenn das berühmte 5/4-Lick im Klavier erscheint.

 

 

 

 

 

hier gibt es dies zu hören (falls man auf das weiße Dreieck links außen klickt):

 

– singing blackbird in front of my open window
– Beckenrhythmus (mittels copy/paste vervielfältigt)
– Beckenrhythmus (mit metronomischem beat unterlegt, 4 Zählzeiten !!!)
– Anfang Take Five (mit unterlegtem Zählen, leider teilweise unpräzise)
– Anfang Take Five (ohne Zutaten meinerseits)

Es gibt nicht nur ECM. Der Jahresausklang ist mal ein guter Zeitpunkt, eine Lanze für Edition Records zu brechen. Seit 2008 veröffentlichte das in England (Berkshire) und Wales (Cardiff) beheimatete Label etwa 80 Alben. Gegründet hat Edition Dave Stapleton, der selbst in mehreren Gruppen spielt, die wiederum zum Teil in sehr unterschiedlichen Richtungen zu verorten sind. Ein leidenschaftliches Exempel, das recht gut für seine gesamte Labelarbeit steht, ist das in diesem November erschienene Album All Things der Band Slowly Rolling Camera, die Stapleton seit vier Jahren mit der Sängerin und Texterin Dionne Bennett führt. SRC haben 2014 ein Debütalbum ohne Titel und 2015 eine EP aufgenommen. Mit ihrem kraftvollen All Things steht die Gruppe für einen Typ Stilgrenzen ignorierender Musik, der mich immer zu Hören erfreut. Manche haben SRC mit Massive Attack verglichen, wahrscheinlich wegen der dunkelhäutigen Sängerin mit vollem Lockenhaar und ebenso voller Soul-/Gospelstimme, doch der Vergleich ist ein arg hinkender, vor allem, wenn man bedenkt, wo Massive Attack klanglich und stilistisch stehen – von den Soulnummern ihrer ersten beiden Alben abgesehen. Auf dem Facebook-Profil von Slowly Rolling Camera nennt die Band Cinematic Orchestra, Oddarrang, Portishead, Radiohead, Zero 7 und 4 Hero als Inspiration und Vorbilder, was vielleicht ein wenig hilft, den Stil greifbar zu machen.

 

 

All Things ist eher eine manchmal berauschende, etwas dunkel bluesige Soul-Jazz-Popmusik, teils mit Streichquartett, teils mit mehreren Bläsern (u.a. Laura Jurd), vor allem mit vielen schönen Perkussionsinstrumenten. Dionne Bennett wird von Stapleton (der auch die Albumfotos geschossen hat) als Gesicht der Band präsentiert, denn außer ihrem Konterfei, prägnant auf dem Cover und uns schemenhaft aus dem Schwarz des Rückcovers anblickend, zeigt das CD-Design keine weiteren Mitglieder. Co-Produzent ist Deri Roberts, der laut der Edition-Webseite für „Sound Design“ und „Elektronik“ verantwortlich zeichnet, im CD-Beiheft aber mit einer ganzen Reihe Perkussion (und einiger Instrumente, die ich erst einmal googeln müsste, um zu wissen, was er da genau spielt: Calabash, Cuica, Udu, Cabasa, Pandeiro, Ribbon Crasher …) gelistet wird. Als Schlagzeuger ist Elliot Bennett dabei, der ebenfalls alle möglichen Perkussionsinstrumente einsetzt.

Dionne Bennett hat eine eindrucksvolle stimmliche Präsenz, sie vermag also durchaus einige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen (gerne würde ich die Band mal im Konzert erleben), aber das gesamte Album ist musikalisch komplex mit zahlreichen Gastmusikern. Die Band verweist auf einen „demokratischen Schaffensprozess“, und das glaube ich ihnen aufs Wort. Einen schönen Gastauftritt bekommt im abschließenden kurzen Titelstück übrigens Dee Dee Bridgewater, die nur den Bandnamen spricht, als Sample in den Rhythmus integriert.

Edition Records haben im Jahr 2016 sechzehn CDs herausgebracht, von denen die allermeisten als „Jazz“ durchgehen, doch regelmäßig nehmen Grenzüberschreitungen zu anderen Genres eine tragende Rolle bei Edition ein, wie etwa bei Oddarrang, Mosaic, Drifter oder Girls In Airports.

Viel gelobt wurde auch das eklektische erste Album von Laura Jurds Quartett Dinosaur, das seit sechs Jahren miteinander spielt. The Guardian hat Together, As One in seiner 5-Sterne-Besprechung mit In A Silent Way verglichen, offenbar weil Laura Jurd Trompete spielt und wegen der Keyboardsounds (Hammond und Rhodes). Aber auch hier kann man das Album zwar als Jazz kategorisieren, aber die acht Stücke, die bis zu neuneinhalb Minuten lang gehen, grasen mancherlei Stile mit ab – ein bisschen Fusion, ein bisschen elektronischen Pop, mal eine altmodisch gestopfte Trompete mit heiterer Kirmesmusik und fast breakbeatartigem Fundament … Mit Laura Jurd und ihren drei jungen Kollegen kann man sich von einigen fantasievollen Wendungen überraschen lassen. “That’s pretty much punk rock by jazz standards …” sagte Nick Luscombe im BBC-Radio. Finde ich eine schöne Zusammenfassung des Albums.

 

 

Dave Stapleton hat zwar in Wales klassisches Piano studiert und sich seit seinem Abschluss 2002 einen Namen in der britischen Jazzszene erarbeitet, doch er betont, dass es ihm nicht behage, einem der beiden Lager zugeordnet zu werden. Vor ein paar Jahren sagte er im Interview mit All About Jazz, dass es ihn geradezu in Schrecken versetze, mit jedem Auftritt exakt die gleichen Noten spielen zu müssen.

 

From a composer’s point of view I’m thinking on a much larger scale than most jazz composers do. So I don’t see myself as either. I try not to pigeonhole myself. I don’t see myself as a jazz musician: I don’t play bebop; I don’t play in lots of bands. I don’t want to do that. I’m somewhere in the middle: a European improvising composer/pianist. Somewhere in between jazz and classical: but there’s no terminology for that.“ 

 

Einige der Veröffentlichungen seines Labels im Jahr 2016 können diesen Anspruch treffend unterstreichen.

Bei Nordische Musik haben wir in diesem Jahr zwei Mal ein Album von Edition Records zum „Album des Monats“ gewählt: Im Mai Per Oddvar Johansens Trio mit Let’s Dance und im Juli Eyolf Dales Ensemblealbum Wolf Valley.

Den Schlagzeuger Per Oddvar Johansen kennt man ja als Sideman von unzähligen Platten, nicht zuletzt bei ECM, doch überraschte, dass er erst jetzt ein eigenes Album gemacht hat. Mit Helge Lien, sonst oft mit recht versierten, aber auch mal zu glatten Jazzalben in Verbindung gebracht, und dem eher im experimentellen Bereich verankerten Saxofonisten Torben Snekkestad konnte Johansen einen spannenden Mittelweg finden. Der Kollege Tim Jonathan Kleinecke schrieb in seiner Besprechung für Nordische Musik über Let’s Dance:

 

Er drängt sich und sein Schlagzeug aber keinesfalls auf, es sind eher die kleinen Gesten, die seine Meisterschaft verraten: Man folge der Besenarbeit in »Panorama«! Ab und zu spielt er Violine, Vibraphon oder Electronics, aber lediglich als Klangtupfer. Außer auf »Uluru«: Da greift er gar zur Gitarre, schrammelt ein paar Akkorde – als wenn sich Neil Young und Sonny Landreth nach einer durchzechten Nacht wortlos am Seeufer treffen. Aufgenommen haben sie übrigens in Sjur Miljeteigs Studio mitten in einsamen schwedischen Wäldern, fernab von allen Ablenkungen. Dort kann solche Musik entstehen, wenn man denn eine Klangvision hat wie Per Oddvar Johansen.

 

Zu Eyolf gibt es von meiner Seite eine etwas persönlichere Verbindung: Ich war in der Funktion als Filmemacher im April 2014 mit ihm als Teil des Hayden Powell Trios auf einer Tour durchs schöne Westnorwegen und im Februar 2015 im Studio The Village in Kopenhagen bei den Aufnahmen zum aktuellen Album des Trios, woraus ich mehrere Videos geschnitten habe. Entsprechend gespannt war ich, was der Pianist mit einem Oktett anstellen würde. Das erste Album mit Hayden Powell (The Attic) war ein Sextett (bzw. das um drei Gäste erweiterte Trio), das mir etwas zu konventionell erschien, aber ansonsten ist Eyolf eher bekannt für sein experimentelles Duo mit dem Saxofonisten André Roligheten (der wie Hayden Powell auch auf Wolf Valley mitspielt), Albatrosh, von dem bislang sechs Alben, teils mit Gästen oder dem Trondheim Jazz Orchestra, erschienen sind. Ich bin sonst nicht direkt ein Liebhaber von größeren Jazzensembles, aber Eyolf nutzt seine Gruppe auf eine Weise, die mir meist eher zusagt: subtile, fantasievolle Kompositionen und geschicktes Austarieren der einzelnen Instrumente mit eher reduzierterer Lautstärke. Wolf Valley hat mich dann zwar nicht durchweg begeistert, aber reizvoller als Eyolfs vorige Soloalben ist es allemal. Aufgefallen ist mir 2016 mehrfach der Vibrafonist Rob Waring, der in ein paar Tagen schon 60 wird. Er wurde zwar in New York geboren, lebt aber seit 35 Jahren in Norwegen, wo er seither in vielen interessanten Projekten mitgewirkt hat. Nach Wolf Valley ist er mir 2016 auch als Teil von Mats Eilertsens ECM-Ensemblewerk Rubicon und im höchst reizvollen Avantgarde-Projekt Filosofer (Nakama Records) aufgefallen. Das einzige, was ich an Eyolfs Album etwas unpassend finde, ist das verschneite Covermotiv. Ein helleres, sonnigeres hätte besser gepasst.

Drei weitere Edition-Alben, die wir bei Nordische Musik als mögliche „Alben des Monats“ diskutiert haben, waren im März Aki Rissanens Amorandum und im April Parallax von Phronesis, beides sehr empfehlenswerte Pianotrios, sowie im Oktober Oddarrangs Agartha.


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