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Sucker Punch (USA, 2011, Regie: Zack Snyder) …

 

… ist einer jener Filme, die man auf mehreren Ebenen lesen muss, um ihn überhaupt zu verstehen. Ist ja zunächst mal nicht schlecht. An der Oberfläche wirkt er wie ein überstilisiertes Action-Fantasy-Spektakel oder ein Videospiel: Sexy Kämpferinnen, Steampunk-Soldaten, Drachen, Samurais, Explosionen. Aber darunter liegt eine dichte, vielschichtige psychologische Allegorie, über die sich allerdings trefflich streiten lässt.

Babydoll wird von ihrem Stiefvater nach dem Tod der Mutter in eine psychiatrische Anstalt gesteckt, weil sie Zeugin seiner Schuld wurde. Er lässt sie lobotomieren und internieren. Um die Realität der Anstalt zu ertragen, verwandelt Babydolls Psyche sie in ein Bordell, in dem sie und die anderen Insassinnen als Tänzerinnen auftreten. Der Chefarzt wird zum Bordellbesitzer, der Pfleger zum Zuhälter. Das ist die psychische Abwehr: Die Umwandlung von Ohnmacht in ein beherrschbares, erotisiertes Szenario. Immer wenn Babydoll „tanzt“, flieht sie in noch tiefere Fantasien – Kriegs- und Fantasywelten, in denen sie (und die anderen) gegen Monster kämpfen, um symbolisch Objekte zu „erobern“, die den Fluchtplan darstellen (Feuerzeug, Karte, Schlüssel, Messer …). Das ist die Projektion ihres inneren Kampfes um Freiheit und Selbstbestimmung. Die „Lobotomie“, die am Ende tatsächlich stattfindet, ist der Moment, wo die Realität wieder einbricht. Ihr letzter Tanz, ihr letzter Traum, ist die völlige Dissoziation – und zugleich ihr Opfer, damit eine andere (Sweet Pea) entkommen kann.

Psychologisch ist das Ganze ein Dissoziationsdrama, das Trauma, Gewalt, sexualisierte Ohnmacht und Überlebensfantasie verarbeitet. Der „Sucker Punch“ – der Tiefschlag – ist dabei doppelt gelandet: Beim Zuschauer, der merkt, dass die vermeintliche Empowerment-Fantasy eigentlich eine Tragödie ist. Bei Babydoll selbst, die die Freiheit nur durch Selbstaufgabe erlangt. Wenn man so will, ist der Film eine ästhetisierte Metapher für die Psychodynamik weiblicher Traumabewältigung unter patriarchalen Gewaltverhältnissen – in der Fantasie phallisch stark, im System ohnmächtig; Kampfpornographie … glitzernd und überästhetisiert, Phantasievorlagen pubertierender Gamer.

 
 

 
 

 
 

Und da fängt’s schon an: Sucker Punch tut so, als wäre er ein Film über weibliche Selbstermächtigung, aber er inszeniert weibliches Trauma durch und durch im männlichen Blick, also im male gaze (Laura Mulvey lässt mal wieder grüßen). Männer „stellen sich vor“, was Frauen sich wünschen oder wie sie sich befreien könnten, – und tun das mit den Mitteln männlicher Fantasieproduktion: Körper, Kampf, Spektakel, Sex, Macht, überbordendes Waffenarsenal, eine Frau im Rachemodus der Medea. Verständlich. Es wird nun besonders perfide, weil Snyder vorgibt, den Voyeurismus zu kritisieren, ihn aber gleichzeitig ästhetisch ausstellt und genüsslich konsumierbar macht. Die Kamera schaut nicht mit Babydoll, sie schaut auf Babydoll. Und das, was als Traumabewältigung präsentiert wird, ist letztlich ein fetischisiertes Ersatzritual: Die Waffen sind Phallussymbole, die Kämpfe ersetzen psychische Arbeit, es gibt weder Frieden noch Freundschaft noch liebevolle Sexualität. Die Fantasien sind nicht Metaphern weiblicher Autonomie, sondern internalisierte Popkulturbilder von „starker Weiblichkeit“ – also eine männlich codierte Abwehr gegen Ohnmacht. Gotham City lässt auch grüssen samt sämtlichen Purzelbaum – Ninja – Damen, die rätselhafterweise immer einen Salto drehen müssen, bevor sie zuhauen. Wär auch mal ’ne Doktorarbeit wert, warum dieses Gehüpfe sein muss, aber wahrscheinlich gibt’s das auch schon.

Snyders Verteidiger behaupten oft, der Film sei eine Satire auf genau diesen Blick. Aber das ist schwer haltbar, weil der Film nie eine echte weibliche Perspektive zeigt. Er bleibt auf der Seite der Stilmittel, der Pose, der Oberfläche. Er inszeniert nicht Traumabewältigung, sondern Dissoziation und Abwehrfantasien als Spektakel. Oder einfacher gesagt: Snyder zeigt eine Frau, die sich in immer spektakulärere Fantasien flüchtet, um Missbrauch zu überleben – und verkauft diese Flucht zugleich als Actionkino. Das ist der eigentliche „Sucker Punch“: der Schlag in den Magen des Publikums, das meint, Empowerment zu sehen, aber in Wahrheit den Traum eines Mannes konsumiert.

Wie sieht denn nun die Realität aus? Traumatisierte Frauen sieht die/der Therapeut/in ja häufig, es gibt mehrere Wege mit diesem Trauma zu leben; bei Sexualtraumata sehen wir oft neben einer totalen Sexualverweigerung und schweren Überwältigungsängsten (manche gehen ihr Leben lang nicht freiwillig zum Zahnarzt, zum Gynäkologen schon gar nicht) eine Umkehr der Verhältnisse (in der Fachsprache heisst’s „Identifikation mit dem Aggressor“), die Frauen haben Fantasien von Macht und Kontrolle über den Mann. Eine bekannte Schauspielerin der Nachkriegszeit, in ihren Rollen als deutsches Saubermädchen verbraten, suchte sich alte Männer als Sexualpartner und genoss die Phantasie, sie sexuell so zu strapazieren, dass sie an Herzversagen sterben würden. Eine wahrhaft mörderische Wut gegen den Sexualität konsumierenden Mann als solchen. Ein Teil der Frauen findet den Weg in die Prostitution – im Bordell hat die Frau das Sagen bzw der Zuhälter nebenan.

Snyders Kamera liebt die Miniuniformen, die langen Beine, die Waffen. Es ist die alte Leier: Stärke wird in Erotik übersetzt, und das Leiden weiblicher Figuren bleibt nur die Folie, auf der männliche Erregung sich spiegeln kann. Was Snyder als „Empowerment“ verkauft, ist in Wahrheit die Ästhetisierung der Dissoziation. Jede Tanzszene öffnet ein neues Traum-Level, das mit phallischen Symbolen durchsetzt ist: Schwerter, Maschinengewehre, Stahlkolosse, die die innere Ohnmacht mit Kampf ersetzen sollen. So sieht Traumabewältigung unter männlicher Regie aus – und zwar buchstäblich. Im Vergleich dazu wirkt Magic Mike, den ich letztlich hier benörgelt habe, fast ehrlich: Auch dort wird weibliches Begehren durch männliche Selbstinszenierung gefiltert, aber zumindest ahnt Steven Soderbergh, dass es eine Differenz zwischen Wunsch und Projektion gibt. Snyder dagegen verwechselt seine eigene Fantasie mit der weiblichen Innenwelt. So bleibt Sucker Punch eine doppelte Tragödie: Die der Figuren – und die eines Regisseurs, der glaubt, Emanzipation bedeute, Frauen noch besser bewaffnen zu lassen, damit sie sich in seinen Träumen selbst verteidigen können.

Eine bessere Verfilmung des Themas bitte ich meinem Thread vom März 2023 zu entnehmen zum Film Promising Young Woman, den ich – interessante Koinzidenz – als Film wie ein Schlag in den Magen bezeichnet habe und in dem sich eine Frau (wenn auch vermutlich nur in ihren Phantasien) mit Intelligenz und Raffinesse an ihren Vergewaltigern rächt. Dieser Film schafft es auch, Gefühle beim Zuschauer zu entfachen, weil nicht alles in krachendem Actionspektakel und wohlfeilen Schauwerten untergeht, also letztlich mit einer Vergewaltigung des Zuschauers. Diese Erfahrung kann man bei Sucker Punch immerhin machen, dieser überbordende Film als solcher wird selbst zum Vergewaltiger, der sich seinen Weg gewaltsam ins Innere des Zuschauers sucht und ihn ziemlich erschlagen zurücklässt. Manchmal hat man den Eindruck eines männlichen Vampirismus in diesem genüsslichen Aussaugen von Frauenthemen. Habt Ihr Herren Regisseure denn keine eigenen? Da gäb’s sicher genug im Keller zum Aufräumen …

 

2025 29 Okt.

interludes

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Jessica Hausners Pflanzenparabel 

 

Jessica Hausners „Little Joe“ (2019) ist kein Film über Botanik, sondern über Psychodynamik, Entfremdung und Dissoziation. Die gentechnisch gezüchtete Pflanze „Little Joe“, die via Pollen Glückshormone freisetzt, ist weniger ein biologisches Experiment als eine Metapher für verdrängte weibliche Triebkraft – für Verführung, Fruchtbarkeit, Lust, Entgrenzung und Schönheit, für jenes rätselhafte Begehren, das die rationale Ordnung einer kontrollierten Welt zu unterwandern droht, in die Irrationalität führt.

Zunächst erleben wir die kontrollierte Welt der Naturwissenschaft: Die Botanikerin Alice mit dem signalroten Haarschopf (das einzige an ihr, was Aufmerksamkeit einfordert), alleinerziehende Mutter, steht im Zentrum eines paradoxen Dilemmas: Sie bringt eine Pflanze hervor, die emotional abhängig macht, doch sie selbst ist in emotionaler Enthaltsamkeit gefangen. Ihre Kreatur verführt – sie selbst kann es nicht, vielleicht will sie es auch gar nicht. Ihre eigene unbewusste erotische Energie wird externalisiert und fliesst in das Werk ihrer Hände – eine Pflanze, die Pollen aussendet, die glücklich machen und die den Wunsch nach Körperlichkeit freizusetzen versteht. Natürlich ist sie leuchtend rot – und wie nicht anders bei den künstlichen Geschöpfen des Sci-Fi entwickelt sie ein unheimliches und unkontrollierbares Eigenleben. Die Angst vor der Blüte ist die Angst vor der eigenen inneren Entfaltung, vor dem „Erblühen“, das zugleich Leben, Chaos, Abhängigkeit und Verletzlichkeit verheißt. Diese Angst wird doppelt heikel durch die Präsenz ihres Sohnes Joe: Sie schenkt ihm eine Pflanze und in ihm beginnt dieselbe Triebenergie zu erwachen, die sie selbst aus ihrem Inneren verbannt hat. Sein Erwachen trifft auf ihre Angst, seine Lebendigkeit auf ihre Erstarrung. Das erträgt so manche Mutter schwer, es mobilisiert eigene Triebwünsche und bedeutet auch den Verlust des weiblichen Monopols im Leben des Sohnes. Das Gras auf der anderen Seite jenseits des Dunstkreises der Mutter wird für den Jungen plötzlich grüner – in diesem Fall röter. Zwischen Mutter und Sohn entsteht so eine Spannung, die von Verlustangst, Schuld und Begehren untergründig aufgeladen ist, als der Sohn den Übergangsraum betritt, auf Distanz zur Mutter geht und Wünsche nach mehr Kontakt zum Vater äussert – ein stilles, alltägliches Drama – zunächst.

Hausners sterile Farbwelt, die nüchternen klinischen Räume und die zurückgenommene Kameraführung spiegeln diese seelische Erstarrung. Das Labor ist kein Ort des Wissens, sondern des Entstehens und gleichzeitig des Abwehrens von Verführung – eine moderne Variante des Gewächshauses, in dem das Weibliche als Bedrohung eingesperrt wird, ein Ort an dem nichts wuchern darf. Die greifbare Spannung zwischen ihr und dem Sohn, der seine libidinöse Besetzung von ihr zunehmend abzieht, wird noch verstärkt durch die präzise komponierten Bilder, die pastellfarbene Kälte der Labors, entgegengesetzt zum knallenden Rot der Pflanze. Konsequent wäre nun für Alice, ihre Schöpfung wieder zu vernichten, wie so mancher mad scientist mit seinem Geschöpf verfahren ist oder es zumindest versucht hat.

Bis zuletzt bleibt offen, ob die Pflanze tatsächlich manipuliert oder ob Alices Wahrnehmung selbst paranoid vergiftet ist. Doch vielleicht ist das gar keine Frage: „Little Joe“ zeigt das Drama einer Frau, die sich vor ihrer eigenen Lebendigkeit fürchtet – und deshalb ihr Begehren als gefährliche Fremdsubstanz erlebt, um die sie während des gesamten Films misstrauisch herumschleicht und um ihren Sohn fürchtet. Wenn man diese sexuelle Unterströmung zu erspüren versteht, funktioniert der Film als Innenansicht gut, dieser suspense macht die Spannung des Filmes aus – eine treffend bebilderte klinische Studie – das macht den Genuss, auch wenn einem dabei gelegentlich die Füsse einschlafen: das ist nicht die Unfähigkeit der Regisseurin, sondern Stilmittel, vermute ich mal.

 
 

                   

 
 

Doch „Little Joe“ erzählt nicht nur von einer Frau und ihrem verbannten Begehren. Der Film spiegelt auch eine Gesellschaft, die Gefühle längst als Ware begriffen hat. Glück, Schönheit, Verführung sind längst ein Produkt, das sich designen, perfektionieren, patentieren und kontrollieren lassen soll. Die Blume ist ein Konsumgut wie jedes andere – mit Marketingstrategie, Zielgruppenanalyse und Versprechen von Wohlbefinden. Auch das ist unheimlich.

Das eigentlich Unheimliche an Little Joe ist aber nicht die Manipulation, sondern wie selbstverständlich sie angenommen wird. Wer würde – wie in Brave New World – nicht gern ein bisschen glücklicher sein? In dieser Logik wird das Gefühl selbst zum ökonomischen Faktor – regulierbar, dosierbar, verkäuflich. Die industrielle Zucht von Emotionen löscht aber ihre Wildheit aus, das gibt eine Art Einheitsbrei-Glück, fürchte ich, und der Wilde in Brave New World erhängt sich lieber, als auf diese Art glücklich sein Leben zu fristen. Und vielleicht ist Alice deshalb so misstrauisch – weil die Blume ihr zeigt, wie radikal sich die Natur des Menschen verändert, wenn man das Glück in die Produktion gibt.

Assoziativ stellte sich bei mir noch „Homo Faber“ von Max Frisch ein: Ein Homo Technicus, der alles verabscheut, was mit Gefühlen zu tun hat und die Welt für berechenbar hält, auch bei ihm darf nichts lustvoll wuchern (die beiden hätten sich prima verstanden in ihrer schizoiden Gehemmtheit):

 

„Was mir auf die Nerven ging: die Molche in jedem Tümpel, in jeder Eintagspfütze ein Gewimmel von Molchen — überhaupt diese Fortpflanzerei überall, es stinkt nach Fruchtbarkeit, nach blühender Verwesung. Wo man hinspuckt, keimt es!“

 

Das Schicksal zwingt den Ingenieur Faber sodann, in ein Drama antiken Ausmasses und archaischer Wucht, in dem er das lernt was er noch nicht kann. Zuletzt dann eine Art verhaltenes Happy End: Alice bekommt ebenfalls eine Pollendusche ab, wagt es einen Mann zu küssen und entlässt ihren Sohn in die Männerwelt. Wünschen wir der Mama mehr Küsse und dem Jungen ein fröhliches Junggesellenleben bei seinem hoffentlich weniger sauertöpfischen Papa!

 

2025 27 Okt.

Gedankenfreilauf

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Der Stoff, aus dem die Träume sind, wird aus der Realität gewonnen, Alpträume inklusive. Vielleicht zählt unsereins ja (noch) zu den beneidenswerten Existenzen, die sich ein trockenenes Plätzchen in einer Welt des durchfluteten Horrors ergattern konnten, denn vieles ist im Argen. Wer als junger Mann im Staate „Selenski“ an die Front zitiert wird und dort als „Kriegspuppe“ für jene Hintergrundspieler agieren muss, deren Machenschaften, Macht- und Profitgelüste er wohl nie durchblicken wird (aus Blut und Boden wird Seltene Erden), den würde der argumentativ wie sprachlich brilliante Essay des jungen Autoren Ole Nymoen mit dem Titel „Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde: Gegen die Kriegstüchtigkeit“ vielleicht dazu verleiten, Kehrtmarsch zu machen. Jeder Krieg beginnt mit einer Lüge, das habe ich nun begriffen und nicht erst seit Corona gibt es jede Menge Lügner in der Politik. Vor einigen Tagen bekam der Medienwissenschaftler Norbert Bolz Besuch von vier Polizisten, mit einer Hausdurchsuchung im Gepäck. Seine relativ populäre Stellung, zudem das gereife Alter mögen wohl auch jenes Vorkommnis nicht als blanken Horror bewertet haben, sondern als etwas Erwartbares. Ganz überrascht hingegen war die Linguistin Reality Winner, als zwei FBI-Beamte im Jahre 2017 vor ihrem Haus auftauchten, mit ebengleichem Hausdurchsuchung im Gepäck und folgendem Verhör in einer Abstellkammer ihres Hauses, das dann zu fünf Jahren Haft führte. Sie hatte Papiere geleaked, um die Beeinflussung der US-Wahlen durch den Putin-Staat öffentlich zu machen – zum Wohle ihres Volkes. Die amerikanische Justiz sah es anders. Was wird wohl aus jenem Richter, dessen Bolz-Schuss nach hinten losging? Dass ein promovierter Kopf in solcher Stellung Ironie nicht zu begreifen vermag, gibt Anlass zur Sorge. Die Hauptdarstellerin besagten Films heisst übrigens Sidney Sweeney und sie liefert in Reality – Wahrheit hat ihren Preis (auf Amazon Prime) eine Meisterleistung ab. Da war doch was? Google brachte es schnell ans Licht: ich kannte sie von anderen Streaming-Highlights wie The White Lotus, Sharp Objects, Euphoria und Once upon a Time in Hollywood.

 

 
 

In Zeiten, in denen wieder Drohnen angeblich unbekannten Ursprungs über dem Land kreisen, scheint es geboten, sich einmal wieder zu erinnern, wie es war, als der Russe nicht im Kommen, sondern auch physisch schon im Lande anwesend war. Billy Wilders One, Two, Three (1961) ist eine aberwitzige Komödie, die den Kalten Krieg in ein Tempo presst, das an Screwball oder Slapstick erinnert und zugleich ein Zeitdokument der Stimmung der 60er ist: Das nervöse Beben und Vibrieren der westlichen Welt nach dem heissen und vor dem kalten Krieg, placiert in die Achillesferse Deutschlands: Das von den Grossmächten besetzte und zerteilte Berlin, einem Ort, an dem die Ideologien aufeinanderprallen wie Billardkugeln. Erzählt wird die Geschichte des Coca-Cola-Vertreters C.R. MacNamara (James Cagney in einer furiosen Energieleistung, ein Wirbelsturm aus Timing, Zynismus und Pragmatik), der eigentlich in den Vorstand aufsteigen will, aber plötzlich damit beauftragt wird, die Tochter seines Chefs zu beaufsichtigen. Diese verguckt sich prompt in einen strammen ostdeutschen Jungkommunisten, (Horst Buchholz als schwarzlockiger Rebell und Verkörperung sämtlicher sozialromantischer Jungmädchenträume), was der Chef keineswegs erfahren darf und MacNamara in eine rasante Kaskade von Notlügen, Intrigen und politischen Verwicklungen zwingt, noch verstärkt durch das Ressentiment der Ehefrau (eine coole Bissgurke mit Format).

Wilder entlarvt gleichermaßen den amerikanischen Haifischkapitalismus (verkörpert durch die Verschacher-Mentalität MacNamaras) wie die sowjetische Dogmatik (karikierend in der Figur der Ostblock-Funktionäre). Die Dialoge sind – Wilder at it’s best – rasend schnell, pointiert und gespickt mit Anspielungen auf Politik, Kultur und Popgeschichte, eine Gag-Dichte, die manchmal den schwerblütigen deutschen Zuschauer fast überfordert – man spürt die Lust an der sprachlichen und situativen Überdrehtheit, mit McNamara als Dirigent im Dauerfortissimo. Gleichzeitig ist One, Two, Three ein Film über Verwandlung als ökonomische und ideologische Ware: Der proletarische Jungkommunist Otto Ludwig Piffl wird in Windeseile in einen untadeligen kapitalistischen Schwiegersohn umgestylt – inklusive westlicher Garderobe, britischer Ahnenreihe und formtreuer Etikette. Die Farce entlarvt so, wie beliebig austauschbar Identität und Wertekodices werden, wenn Macht und Geld winken.

 
 

                   

 
 

Nicht jeder hielt diesem Tempo stand – bei seinem Start floppte der Film in den USA; zu sehr drängte sich die reale Politik in die damals frische Wunde. Heute jedoch wirkt er wie eine hellsichtige Groteske über Globalisierung und politische Pose, die erstaunlich modern geblieben ist, man kann ihn immer noch gut ansehen. Zudem ist das Werk wie aus einem Guss, obwohl die Dreharbeiten wegen des realen Mauerbaus nicht mehr an den Originalschauplätzen weitergeführt werden konnten und das Brandenburger Tor in den Berliner Filmstudios nachgebaut werden musste, um die Dreharbeiten abzuschliessen. Das funktionierte ohne Bruchlinie …

Wilder beweist, dass politische Satire nicht schwerfällig sein muss, sondern wie eine Colaflasche knallen kann, wenn man nur den Mut hat, sie zu schütteln. Freilich könnte man ihm nun Verharmlosung einer sehr dunklen Zeit vorwerfen, wenn man nicht selbst so eine diebische Freude an den vertrottelten russischen Funktionären hätte, die wegen einer Kuckucksuhr ausflippen und McNamara noch brav das Leergut zurückgeben – und dem dauerzornbebenden Piffl, der ebenso wechselweise wie sinnfrei zwischen Ost- und Westsektor herumflitzt wie ein Elektron um den Atomkern und schliesslich sehr rasch in einen marktgängigen Schwiegersohn verwandelt wird. Ware kann notfalls umetikettiert werden, dann läuft das Business wieder. Wilder entlarvt, dass Ideologien in der Praxis oft tauschbar und käuflich sind. Otto ist weniger Überzeugungstäter als Projektionsfläche; was zählt, ist die Fähigkeit, schnell das richtige Kostüm zu tragen.

 
 

 
 

Die Hektik des Films ist also kein bloßer Gag, sondern ästhetische Umsetzung einer liberalen Ökonomie, die immer stärker Gas gibt und keine Pausen mehr kennt. Der Kommunismus ist längst nur noch ideologisches Theater ohne Substanz, eine Kulisse aus Parolen und Idealen. Der Schluss setzt hier noch eine grimmige Pointe, die man leicht übersieht: McNamara möchte sich ein Flasche Cola aus dem Automaten ziehen und hält verblüfft ein Pepsi in der Hand – das Wirtschaftsleben hat ihn nun doch überholt.

 
 

 
 

Fazit: One, Two, Three ist nicht nur ein wilder Spaß, sondern ein blitzgescheites Stück Ideologie-und Medienkritik. Wilder nutzt die Form der Komödie, um zu zeigen, dass Kalter Krieg und Konsumgesellschaft längst beide Performances sind – schneller, lauter, marktfähiger als jede moralische Überzeugung.  Und er beweist, dass Komödie eine der schärfsten kulturkritischen Waffen ist. One, Two, Three lacht den Kalten Krieg aus – und zeigt zugleich, dass Kapitalismus und Kommunismus einander brauchen, um ihre Maskerade aufrechtzuerhalten. Wer verstehen will, wie Politik zur Show und Identität zur Ware wird, findet hier eine hellsichtige, gnadenlos schnelle Lektion.

 

 

Sie träumte schon zu Anfang ihres Lebens davon, bald wieder abzutreten – auf spektakuläre Art und Weise, in „flammenden Lettern“ die Welt zu verlassen, brennend aus dem Fenster zu springen – und sie hat es geschafft. Dieses Buch ist die Nacherzählung der Mutter von Nancy Spungen über das kurze Leben ihrer Tochter und der Versuch eines Erspürens von deren Innenwelt, was ihr nicht gelingt und letztlich in ein resigniertes Hinnehmen einmündet.

 

 

Nancy war die Freundin von Sid Vicious, Bassist der Sex Pistols, der ersten Punkrockband Englands, der angeblich nicht Gitarre spielen konnte und dessen Stimme mich immer etwas an Jim Morrison erinnerte, so als käme sie ein bisschen jenseits des Grabes. Beim Ableben als 22-jähriger konnte er nicht in den Club 27 aufgenommen werden, verdient hätte er es. Beide waren heroinabhängig. Nancy wurde in einem Hotel in Chelsea mit einem Messer im Bauch tot aufgefunden; Sid wurde festgenommen, die Tat konnte ihm aber nicht nachgewiesen werden, nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft verstarb er an einer Überdosis, die ihm seine Mutter als letzte Zuflucht ins Gefängnis mitgebracht hatte. Mittlerweile vermutet man eine Selbstverletzung – Nancy hatte oft erwähnt ihren 21. Geburtstag nicht mehr erleben zu wollen, fügte sich häufig Verletzungen zu. Die Mutter ist von Sids Täterschaft überzeugt und bezeichnet ihre Tochter als Mordopfer.

Nancy hatte eine traumatisierende Geburt, die Nabelschnur um den Hals, halb erstickt und an Gelbsucht erkrankt kam sie zur Welt, die sie so bedrohlich empfing. Als Kind wohlwollender Mainstreameltern, die auf ihre Andersartigkeit und Impulsivität befremdet und zunehmend verängstigt reagierten, schien sie die Hölle in sich zu tragen, sie schrie von Anfang ihres Lebens an panisch und fast ununterbrochen, liess sich weder beruhigen noch regulieren, litt später unter vielerlei Ängsten und Wutanfällen und bekam Beruhigungsmittel. Psychiater kamen zu keiner Diagnose – heute würde man eine schwere posttraumatische Belastungsstörung annehmen, die auch mit zunehmenden neoplastischen Gehirnveränderungen einhergeht und grosse Probleme hinsichtlich der Stressregulierung hinterlässt – diese Menschen stehen unter schwer erträglicher Dauerspannung und überbordenden Gefühls-Tsunamis. Erst unter Drogen schien sie zur Ruhe zu kommen und das Alltagsleben ertragen zu können. Sie arbeitete in London als Stripperin, bewegte sich in der Punkszene – je lauter und unruhiger es um sie herum wurde, umso wohler schien sie sich zu fühlen und zu etwas mehr Lebensfreude zu kommen. Die Sex Pistols waren nicht eben begeistert von der symbiotischen Doppelexistenz ihres Mitglieds mit einem heroinabhängigen Groupie, das ihn vom Proben abhielt, Johnny Rotten, der Bandleader, hasste sie. Nach einem Jahr dann das ebenso tragische wie ungeklärte Ende. Die Zeitungen schrieben in flammenden Schlagzeilen über sie – für Nancy ihr erstes und letztes Aufleuchten, eine Form von Gesehenwerden.

Das Buch ist weder romantisierend noch reisserisch, eher gnadenlos authentisch und subjektiv aus der Perspektive einer Mutter und präziser Chronistin eines familiären Dramas, die erst sehr spät begriffen hat, was Trauma und Sucht bedeuten beziehungsweise wie stark letzteres einen scheinbaren Ausweg darstellt, unerträgliche Traumaspannung erträglich zu machen. Sie scheut sich nicht, die elterliche Ambivalenz und zunehmende Aggression zu schildern, in dieser Abwärtsspirale aus Selbstzerstörung, Ohnmacht und Verwüstung des sozialen und familiären Umfeldes als existenzielle Grenzerfahrung. Die ungebrochene Liebe zur Tochter klingt immer wieder durch. Das Buch wurde neu aufgelegt unter dem Titel And I don’t want to live this life – ein Satz, der ein vertiefteres Verständnis für die Nancys Leben signalisiert. Es gibt immer wieder Menschen, die sich aufgrund ihrer Startbedingungen mit dem Dasein auf dieser Welt nicht abfinden können und ihren Ausweg selbst suchen müssen. Oft ist das ein Ausweg ohne Rückkehr.

 

Für Interessierte:

 

 

Thema des Buches ist die Ablösung einer Mutter von ihrem heroinabhängigen Sohn, dem nicht mehr zu helfen ist und von dem sie sich trennen muss, um nicht selbst zugrunde zu gehen.

 

 
 

 Non vivere … scribere!

 
 

Obwohl dieser Film hier im Blog kurz nach seinem Erscheinen schon einmal besprochen und auch goutiert wurde, habe ich nun doch dem Regisseur, den ich eigentlich furchtbar dröge finde, eine Chance gegeben, nachdem ich „Undine“ überraschenderweise ganz erfrischend fand – in Abhebung von seinen anderen vorher vorgeführten Gespenstern und anderen seltsam unverorteten Gestalten, zu denen ich schwer Zugang finden konnte – lag natürlich auch an dem perseverierenden Einsatz von Nina Hoss und ihrer Aura von beleidigter Leberwurst.

Also Roter Himmel im Tagesprogramm geguckt. Als erstes registrierte ich das Auftauchen zweier anderer Filme in meinem Kopf, die hier in der Überschrift aufscheinen – als erstes Rossini von Helmut Dietl, eine Art filmischer Schlüsselroman über die Münchner Bussi-Gesellschaft mit Dietls bekannt-bissigem Humor. Ein schwer soziophobischer Schriftsteller ist verliebt in die italienische Kellnerin seines Stammrestaurants, die ihm täglich sein Essen in einem kleinen Nebenraum serviert (karikiert wird hier Patrick Süskind, der auch nett und selbstkritisch am Drehbuch mitschrieb). Als sich für die Dame die Gelegenheit ergibt, ihm an die Wäsche zu gehen, ergreift ihn Panik und er rettet sich mit dem oben erwähnten Kultsatz: Non vivere – scribere!

Das passt auch auf die Hauptfigur in Roter Himmel – Leon zieht sich an die Ostsee in ein Landhaus zurück, um sein Buch zu schreiben. Ihm dabei zuzusehen, wird zu einem quälenden Prozess – umgeben von einer seltsam belebten Natur und unruhig sich bewegenden Bäumen und Sträuchern, die für jeden Antonioni-Fan sofort das berüchtigte Blow-up- Gefühl erzeugen. Und ebenso wie Blow-up-David zerrinnt Leon ebenso jede sich bietende Gelegenheit Leben zu spüren zwischen den Fingern, während sein Freund Felix diese lustvoll ergreift. Die unheilvoll lebendige Natur und das graue, unruhige Meer, eine sich im Wald entfaltende und nahekommende Feuerwand bilden extrapoliert die innere Landschaft von Leon ab – Gefühle und Lebendigkeit sind bedrohlich und vernichtend – Felix und sein neuer Liebhaber Devid werden darin verglühen. Liebe ist tödlich – darauf werden wir eingestimmt durch die Eisverkäuferin Nadja, die Das Gedicht Der Asra zitiert und von den Liebenden von Pompeji erzählt, deren versteinerte Körper man in der Asche gefunden hat. Und natürlich ihre Netze nach Leon auswirft, der auch am Strand seine schwarzen Klamotten anbehält wie eine Mönchskutte. Petzold schichtet die Dramen des Alltags über die Katastrophenerfahrung einer brennenden Landschaft, so wird das Ferienhaus am Meer zum Resonanzraum für das Ineinander von Begehren, Eitelkeit, Angst und schöpferischem Anspruch. Während Leon an seinem Romanprojekt scheitert und seine narzisstische Deformation offenbart, verkörpern Nadja, Felix und Devid unterschiedliche Lebenshaltungen – Leichtigkeit, Sinnlichkeit, Offenheit.

 
 

 

 

 
 

Die Katastrophe selbst, das Feuer, bleibt zunächst ein atmosphärischer aber immer präsenter Hintergrund, wird dann aber zum Schicksalsmoment: Felix und Devid kommen bei einem Ausflug darin um, Nadja kehrt am Ende im Rollstuhl zurück. Diese Verstümmelung lässt sich auf mehreren Ebenen lesen: Als Schock der Realität – das Feuer, das zuvor nur Metapher und Stimmung war, hat reale, irreversible Konsequenzen. Der Sommer ist kein leichtes „Intermezzo“ mehr, sondern brennt sich in Körper und Biografie ein. An der Liebe kann man zugrunde gehen, Leons Pessimismus hat sich damit erfüllt. Damit kommt es auch zu einer Umkehrung der Rollen: Nadja, die im Film als souverän, körperlich, fast unantastbar erscheint – selbstbestimmt und sinnlich –, wird plötzlich die Verletzliche. Das unterstreicht die Fragilität aller Figuren, auch derjenigen, die bisher als „Lebensgewandtere“ schienen. Als Spiegel von Leons Scheitern. Nadjas Rollstuhl steht in einer gewissen Ironie gegen Leons Werk: während er seine literarischen Texte ins Leere laufen lässt, wird ihr Körper von der Geschichte gezeichnet. Was er nicht zustande bringt – eine Spur, eine Wirkung, eine bleibende Form – schreibt sich in sie ein. Die Lebenszugewandten sind auch die Verletzlichen und tragen ihre Zeichen – das kennt man.

Als Kommentar zur Zeitdiagnose: Petzolds Kino arbeitet oft mit dem Motiv der Verletzung und der Versehrtheit. Nadjas Schicksal erinnert daran, dass man aus den Katastrophen unserer Gegenwart – ob ökologisch oder existenziell – nicht unversehrt hervorgeht – dies nur der Vollständigkeit halber. So markiert Nadjas Rollstuhl am Ende nicht nur ein individuelles Unglück, sondern den Umschlag des Films vom sommerlichen Kammerspiel in eine existenzielle Allegorie: der rote Himmel als Menetekel, das aus Leichtigkeit Ernst macht, aus Möglichkeit Verletzung, aus Übergang Dauer – fast eine Parabel über die Gefahren von Glück. Parabeln pflegen mich in der Regel zu langweilen – dieser Film tut es nicht, ich fand ihn quälend; Petzold hat gelernt, Gefühle zu erzeugen. Am Ende des Films liest Leon die Geschichte von Felix, Devid und Nadja als neuen Roman seinem Verleger vor. Scribere, non vivere! Hat er ihn auch begriffen? Wieviel von Leon steckt wohl in Petzold, der mich früher so trefflich einschläfern konnte?

 

 
 

Ist Magic Mike feministisch beziehungsweise allgemein gefasst: Erfüllen Filme über männliche Stripper und sonst wie käufliche Mannsbilder die in Stein gemeisselten Gebote und Vorgaben des emanzipatorischen Zeitalters oder leben solche Narrative nur vom mittlerweile auch schon angeranzten Reiz des Rollentauschs der Geschlechter? Die Kritiker und Filmtheoretiker (männlich) behaupten das von der dreiteiligen und sehr erfolgreichen Geschichte um den attraktiven Stripper Magic Mike (Regie Steven Soderbergh, Drehbuch und Produktion auch von irgendwelchen Herren). Der Film handle unterschwellig von der „Ökonomie weiblichen Begehrens“ und deren visueller Umsetzung in einer Art Dirty Dancing for adults. Muskelbepackte halbnackte Kerle schwenken Frauen wild durch die Gegend und initiieren Körperverrenkungen, die eher akrobatisch als erotisch wirken. Kraftvolle Hüftstösse fehlen nicht, aber das kennen wir schon von Elvis. Die Damen schmiegen sich hingebungsvoll in die gewünschten figuralen Settings und das Umeinanderwickeln ähnelt zunehmend der Verfilmung von zwei Boas im Liebestanz. Liebhaber von Tanzfilmen werden hier gut bedient und die Sache ist durchaus unterhaltsam – aber feministisch? Natürlich werden die Jungs für das Geturne bezahlt und verhalten sich entsprechend woke, das heisst sie fragen vorher, ob und wo sie die Frau anfassen dürfen, ein bisschen Tribut an den Zeitgeist muss ja sein. Die Damen scheinen es zu mögen, zumindest hier. Magic Mike – sein letzter Tanz gerät nun vollends zum Pretty-Woman-Verschnitt: Reiche Frau mietet sich einen Stripper und bringt mit ihm eine opulente Tanzshow auf die Bühne.

 
 

 
 

Natürlich verliebt sie sich – eine erwartbare seichte Heteroromanze nach dem hier zitierten Motto: Frauen können alles haben, wo und wann sie es wollen. Klar, die Dame ist Millionärin. Aber Feministisch? Wenn doch, dann ist Feminismus scheinbar eng mit dem Geldbeutel verkoppelt. Salma Hayek wird während des ganzen Films in barmherzigem Halbdunkel gehalten – klar, die Dame wird demnächst sechzig. Feministisch?

 
 

 
 

Eine Rezensentin sprach von feminist masterpiece und female empowerment. Aber ist es Feminismus, wenn sich diesmal eine Frau einen Kerl kauft statt umgekehrt? So bleibt phantasielose Retro-Dichotomie, halt mal linksrum, so geht’s halt, wenn alte weisse Männer einen Film drehen über weibliches Begehren. Dabei haben Männer durchaus Sinn für subtile Erotik – ein Patient berichtete mir einst, der erotischste Szene in einem Film sei für ihn die gewesen, in der eine Frau einen Mann nicht aus – sondern anzog, nämlich Tom Cruise, der von ihr richtig langsam und  genüsslich seine mehrteiligen Samurai-Klamotten angezogen bekam. Die Szene hat tatsächlich was.

Ansonsten geniesst man virile Tanzszenarien und macht sich ein paar angewärmte Gedanken über den Tanz als Übergangs- und Sublimationsraum zwischen den Geschlechtern. Mike setzt seinen Sexualtrieb nicht roh um, sondern sublimiert ihn, so wird die Bühne zum Kulturraum, in dem Sexualität symbolisch zelebriert wird, ein Raum voller Versprechungen und Andeutungen, aber auch der Regulierungen dessen, was da angedeutet wird, das wissen wir auch seit dem Aufkommen der Can-Can-Mädchen und später der Chippendales. Nur gucken, nicht anfassen, ausser um Geldscheine in den Slip zu stecken. So bietet der Film insgesamt eine etwas geistesschlichte Interpretation von Feminismus, indem er ihn auf Sexualität reduziert und weiterhin mit den herkömmlichen Schönheitsidealen und dem Warencharakter von Sexualität operiert. Und diesen Akt der Käuflichkeit schliesslich durch Liebe adelt. Das ist sehr wohlfeil.

Okay, jetzt haben wir das Ticket, uns einen Mann kaufen zu dürfen – und nu? War es das, was wir wollten?

 

2025 3 Sep.

„scratch 22“

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a  u  d  i  o

 
 

 
 

Gesegnet sei der verregnete Juli, gab er mir doch die Möglichkeit, mein Haus zu entrümpeln, was kein einfaches Unterfangen ist, wenn man kistenweise Schneider-Bücher und Micky-Maus-Hefte aus den Fünfzigern und Pardon-Hefte aus den 60ern vorfindet, weiter Konkret, Slapstick und alles andere als jugendfreie Undergroundcomics. Man liest sich gnadenlos fest und der Sommer vergeht wie im Fluge, was nicht immer ein Nachteil ist.

So landete ich mitten in den Ferien in Entenhausen und begrüsste alte Freunde wie Donald, Onkel Dagobert, Tick, Trick und Track und den kleinen und den grossen Wolf. Das Eltern-Kind-Verhältnis in dieser Zeit war nicht das Beste – schwarze Pädagogik, Prügelstrafen, verkappte oder bekennende Nazis in der Elterngeneration, am liebsten wäre man auf und davon gegangen, geistig-seelisch tat man es sowieso, indem man die Kultur des „Feindes“ freudig assimilierte, pflegte und verteidigte: Ohne Comics, Micky Maus und Rock’n Roll ging gar nix mehr.

Aber man liest jetzt mit anderen Augen: Seltsam unverortete Wesen, die das Schicksal zusammengewürfelt hat, tummeln sich hier in den bunten Heftchen: Donald hat Neffen, aber keine Geschwister, niemand hat Eltern oder Kinder, niemand einen Partner, Donald hat eine Oma, aber keine Eltern und mit Daisy Duck und Donald erleben wir Wagner-artige Tragik: Es geht immer nicht. Pairing scheint unmöglich. Mit Micky und Minnie ist’s ähnlich. Der hoffnungslos parentifizierte kleine Wolf hat einen Vater, um den er sich ständig kümmern muss, aber keine Mutter, die sich um ihn kümmert, Goofy segelt ausschliesslich in Mickys Schlepptau und als Hintergrundfolie durchs Leben, Pluto desgleichen- übrigens die einzige Figur, die nicht vermenschlicht wurde und weiterhin in seiner Hütte leben und auf vier Beinen laufen darf.

 
 

 

 

 

 
 

Seltsam gebrochene und defizitäre Figuren, die unverzagt durch die immer gleichen lustigen Abenteuer turnen. Elternverlust und Elternlosigkeit spielen auch in den späteren Filmwerken der Disney-Company eine Rolle, wenn man Dumbo, Bambi und den dramatischen Vaterverlust im König der Löwen miteinbezieht, bei dem viele Kinder heulend aus dem Kino kamen, Pocahontas ist Halbwaise, Lilo Vollwaise und Mogli vollends ein Wolfskind und wenn Mütter auftreten, verschwinden sie auch ebenso schnell wieder von der Bildfläche.

Erst in den Neunzigerjahren darf es Eltern geben – Mulan und Merida stammen aus Familien, wenn auch konfliktreichen. Dazwischen alleinstehende Sonderlinge wie Dagobert Duck, Gustav Gans, Daniel Düsentrieb und Goofy. Ein merkwürdiges Sammelsurium von Junggesellen und broken homes, keine Paare, keine Familien, niemand muss in die Schule oder Hausaufgaben machen. Und genau das hat uns vermutlich so gefallen – die völlige Abwesenheit von Alltagszwängen und regulierenden Erziehungsfiguren und sonstigem Einengenden, stattdessen chaotischer Alltag und das anarchische Leben vom Schlag einer Pippi Langstrumpf – auch Halbwaise – nur Susi und Strolch gründen eine Familie. Soviel zur psychologischen Lesart.

Es gibt natürlich auch die Möglichkeit zum gesellschaftlichen Diskurs: Adorno meinte die häufigen Prügel, die die cholerische Ente Donald vom Leben immer wieder bezieht, helfen dem Konsumenten sich an die eigenen Entfremdungsprügel zu gewöhnen.

 
 

 
 

Linke Publizisten entdeckten den geknechteten Proletarier unter der Knute des Erzkapitalisten Dagobert Duck. Die symbiotisch verknüpften Drillinge Tick, Trick und Track, die oft für einen einzigen Satz 3 Sprechblasen verbrauchten („Der Alte … spinnt … mal wieder!“) verkörperten die revolutionäre Jugend mit ihren vielen kleinen Siegen gegen das Spiessertum, desgleichen die drei kleinen alleinlebenden Schweinchen, die auch prima zurechtkommen. Märchen und Abenteuerphantasien liessen sich problemlos „disneyfizieren“ und bald traf sie der Bannstrahl der postfaschistischen deutschen Elterngeneration, Religionslehrer lehnten sich dagegen auf, dass Tiere vermenschlicht wurden und auf zwei Beinen liefen – aber das wahre Revolutionäre war wohl die Botschaft: Raus aus dem Familienmief! Es geht auch ohne Eltern! Vielleicht sogar besser?!

Micky Maus und Donald waren schon seit 1930 eine feste Grösse, die auch in Deutschland ein Bein auf den Boden bekam, 1951 erschien das Heft dann zuverlässig wöchentlich und setzte mit den Grundstein für eine neue Jugendkultur, wie es in der Musik der Rock’nRoll tat, etablierte neue Mythen, eine neue Ästhetik und vor allem eine neue Sprache zur Beschreibung von Affekten: Knirsch, heul, schluchz, jammer, kreisch – in seiner Präzision unschlagbar und jeglicher Lyrik weit überlegen und die Eltern und Lehrer befürchteten das Aufkommen einer Zeit, in der man nur noch über Disney-Codes miteinander kommunizierte und sahen den Untergang des Abendlandes heraufdämmern.  Und wir warteten aufs neue Heft wie der Löwe aufs Futter und strahlten wie Daniel Düsentrieb bei einer neuen Erfindung oder Onkel Dagobert beim Baden in seinem Geldhaufen.

Freu!

 


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