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The Zone of Interest (D, 2023) von Jonathan Glazer

 

Der Film beginnt mit einer Art Ouvertüre, einem permanenten sphärischen Rauschen und Dröhnen bei dunkler Leinwand, minutenlang, bis Vogelstimmen ertönen und einem bösen Traum, in den man unversehens gefallen ist, zunächst ein Ende machen.

Dann ein gepflegter Garten, abgegrenzt von einer Mauer hinter der wir Wachttürme und Schornsteine sehen und das Hintergrundrauschen der Krematorien dort verorten können. Dann Familienleben, getrennt in Frauenwelten (weisse Wäsche, Babys die an Blumen schnuppern), gegeneinandergehalten zu Männerwelten, in denen über die Kapazität von Verbrennungsöfen und deren „Ladungen“ – womit Menschen gemeint sind – diskutiert wird.

Bedrückend düsteres spiessiges Mobiliar für ein spiessiges Familienleben, die Protagonisten irren in permanenten Halbtotalen durchs Haus und die angrenzende Umgebung, eine merkwürdig indifferente fahle Natur. Der Film verzichtet auf Handlung (bewusst?), ist nicht interessiert an seinen Figuren. Wozu man bei diesem darstellerischen Minimalprogramm eine Sandra Hüller anheuern musste, bleibt verborgen, da hätte eine Schauspielschülerin auch genügt – einzig die Farblosigkeit von Christian Friedel vermittelt etwas vom Topos der „Banalität des Bösen“, aber vermutlich eher unabsichtlich vermittelt als hinein – und wieder herausgearbeitet. Immerhin übergibt er sich zum Ende des Filmes als erste und auch letzte menschliche Regung – warum auch immer, aber zuviel Verdrängung bringt eben den Körper zum Somatisieren, wenn er etwas loswerden muss. Immerhin bekommt der Commandante das Kotzen.

Eine Aneinanderreihung von Alltagsbanalitäten vor den Toren von Auschwitz, das als permanentes Hintergrunddröhnen der Krematorien, Schreie, Schüsse und Hundegebell anwesend ist. Das Kopfkino wird angeworfen beim Zuschauer, das ist das Verdienst des Filmes und ein geschicktes Stilmittel, um das Nebeneinander von Grauen und bräsigem Bürgeralltag zu zeigen. Leider bleibt es das einzige, was für fast 2 Stunden dargestellt wird – das Grauen kommt nicht näher und bleibt hinter den Mauern, die Figuren zeigen weder Bewegung noch Entwicklung noch Mimik und verraten auch nichts über ihr Gewordensein – wobei viele Dialoge durch das permanente Grundrauschen auch schwer verständlich und vernuschelt sind, was bei deren Banalität aber dann auch wieder vernachlässigbar ist. Das rührt nicht an und erweckt kein Gefühl, eher eine Art Duldungsstarre.

Die Funktion des polnischen Mädchens, das Lebensmittel für die Lagerinsassen im Gelände versteckt, wird nicht deutlich und bleibt fremdkörperlich – der Einbruch des Guten in das Gleichgültig – Böse, optisch im Negativmodus dargestellt oder ähnliches, aber irgendwie aussen vor und deplaciert wirkend (parallel dazu liest Höß seinen Kindern im Bett vor, wie die Hexe im Ofen verbrennt und verknuspert – unsere romantischen deutschen Waldesrauschmärchen eben, von denen die Psychoanalytiker heute noch nicht lassen können und in regelmässigen Abständen verkünden, wie gut diese den Kindern tun – wie habe ich die gehasst). Aber hier passts!

Danach die Schlussszenen mit dem Sprung in die heutige Realität der Gedenkstätte von Auschwitz mit Bergen von Schuhen hinter Schaufenstern und einer Hilfskraft die ein Krematorium reinigt (oder eine Gaskammer?)  – wie eine Flucht vor den Figuren, denen man anders nicht entkommen zu können scheint als sie einfach so zu verlassen, wie sie nun mal eben sind und eine andere Realitäts – und Zeitebene zu betreten. Auch diese Szenen stellen keinen wirklichen Bezug her und bleiben etwas beliebig hineingeflickt oder hintangereiht.

So verbleibt der einzige Lerneffekt dieses Filmes, dass man sieht, wie Verdrängung funktioniert und wie man selbst lernt das Hintergrundrauschen der Tötungsmaschinen soweit auszublenden, dass man hinterher behaupten kann, man habe nichts gehört und gesehen.

Ein Film mit einem künstlerisch guten und humanen Ansatz, der leider aber fast alle sich bietenden und ihm innewohnenden Gestaltungsmöglichkeiten verschenkt und lieblos heruntergekurbelt wirkt. Aber es gibt ja bekanntlich auch Oscars für die Kategorie „Gut gemeint“ und niemand würde sich erlauben, einen Film, der den Holocaust anprangert, nicht zu bepreisen.

Und über den Konflikt zwischen Kunst und Moral habe ich mich ja schon vor einigen Monaten geäussert, das sind halt doch zwei sehr verschiedene Paar Stiefel …

 

This entry was posted on Samstag, 1. Juni 2024 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. You can leave a response here. Pinging is currently not allowed.

19 Comments

  1. Jochen:

    Den Film habe ich nicht gesehen, aber das Bild könnte auch passen für die gesamte Nachkriegszeit, wo in heilen Wohlstandsfamilien das Grauen der Hitlerzeit latent und unsichtbar anwesend war: die Mauer des Schweigens. Es war anwesend beispielsweise in einer abartigen Autoritätshörigkeit, die ja meines Erachtens erst mit der aufsteigenden Computerwelt sich verflüchtigte, äusserlich auch sichtbar am legeren Kleidungsstil. Wenn, dann zog dort wohl eher der Guru-Gates-Geist ein.

    Auch bei den Achtundsechzigern war dieser Autoritätskrampf (und das verkrampfte Aufbegehren) massiv anwesend. Der Sprachjargon der DKP-Kader: schneidend, aggressiv. Die Hippies waren Aussenseiter, die sich weigerten, sich anzupassen – auch dies eine Gegenposition, sich kontraphobisch in Stellung bringen. Der Kopf bekifft und doch voller Väter. Bhagwans Fulltimejob als Vaterentsorger.

    Der wurde natürlich verteufelt, wird ja auch heute alles verteufelt wird, was nicht mit dem kapitalistischem Leistungprinzip kompatibel ist. Wo kämen wir denn dahin, wenn kein Mehrwert produziert wird, den die oberen Klassen dann absahnen können. Hängematte abgeschnitten, Kaltduscher an die Front. Nachtigall, ick hör‘ dir Lindnern: „Ich bin reich, weil du arm bist.“

    In der Corona-Zeit wurde viel über die systemrelevanten Jobs gesprochen. Was ist daraus geworden, werden die jetzt endlich anständig bezahlt? Ich bin sicher, ein Jens Spahn hat sich darum gekümmert, sich da voll reingehängt, oder etwa nicht? Der mediale Schaum der Tage, much ado about nothing.

  2. Ursula Mayr:

    Den Film kann man sich als Nachkriegskind sicher sparen, für die jüngeren Generationen könnte er wichtig sein, schade dass er so inhaltsarm ist.

    Und das „verkrampfte Aufbegehren“, tja – da wurde viel abgearbeitet – Hass auf die Väter, die schweigenden Mütter, die alten Väter bekamen Prügel, aber es wurden auch neue installiert, die jungen Wilden bildeten sich ihre eigenen Vaterfiguren. Baghwan erreichte ja nur einen Teil der Gesellschaft, eine Teilmenge von einer Teilmenge von … der bediente schon auch die Vatersehnsüchte, obwohl er sich auch davon distanzierte.

  3. Jörg R.:

    Warum siehst Du einen Zusammenhang zwischen Computerzeitalter und Autoritätshörigkeit?

  4. Jochen:

    Weil im Entwicklungsstadium von Microsoft und anderen Firmen sich Hierarchien auflösten. Auch Freaks waren Cracks. Man konnte im Schlabberlook zur Arbeit kommen – es zählte Kreativität, ähnlich wie in der Kunst. Oder Jörg, was meinst du?

  5. Alex:

    Danke für die Kritik, Ursula. Auch das ein Film, den ich mir sowieso nicht angucken wollte, weil ich mich sofort gefragt habe, was er denn Neues bringen kann. Das schien mir von Anfang an zu plakativ und zu dünne. Deine Rezension hat mich jetzt darin bestätigt.

  6. Ursula Mayr:

    Ich denke, der wurde speziell für den Oskar produziert. Hat ja auch geklappt.

  7. Jörg R.:

    Im Medizinbetrieb war das nicht so, Jochen, aber das ist eine ganz andere Welt, da sind die Strukturen heute noch autoritär. Da gelten aber auch die Leute am meisten, die den Kliniken das meiste Geld bringen, z.B. Chirurgen. Naja, ist ja irgendwie ähnlich.

  8. Ursula Mayr:

    Ein Faktor ist sicher die Pille und die damit einhergehende Familienplanung. Vorher kamen Kinder oft unerwünscht zur Welt, vor allem in und nach dem Krieg als alle mit Existenzaufbau beschäftigt waren. Liefen dann halt so mit und verdrückten sich auf die Strasse wenn sie zuhause nicht für irgendwelche Arbeiten gebraucht wurden. Danach kamen die Wunschkinder und die Eltern entdeckten die Freude und den Genuss am Kind. Das hat viele Familientyrannen erweicht.

  9. Hilmar:

    Nun ja, wenn man den Film in einer ganz normalen Hamburger Ü-60 ZEIT-Leser:innen Was das Leben so lebenswert macht Vorstellung schaut, dann ist die Beklemmung, die diese sonische Installation mit ihrem Abweichen vom Gewohnten auslöst, schon bemerkenswert. Wenn unvermittelt in die dunkle Runde gefragt wird, ob das gerade auch gesehen, gehört wurde. Was das zu bedeuten habe. Selten so intensive Gespräche nach der Vorstellung gehört. Denn so inhaltsleer ist der Film ja gar nicht: es gibt Alltagsroutinen, die dann doch überraschen. Modezulieferungen vom Jenseits der Mauer, der Besuch der stolzen Mutter, die Tochter, die es zu etwas gebracht hat, zur „Königin von Auschwitz“, da ist das tolle Boot als Geburtstagsgeschenk für den Vater, dessen erste Ausfahrt fast zur Katastrophe führt, da sind Ehekrise und Seitensprünge, da ist der tolle Bauerngarten mit Pool und Rutsche, da sind die schwäbischen Krematoriums-Schaffer,die ein paar Vorschläge zur Kapazitätsoptimierung vom Neckar mitgebracht haben, da ist die Gewalt, die Sandra Hüller aus dem Nichts kommen lassen kann. Rudolf und Hedwig gehörten zum völkischen Bund der Artamanen, waren also gewissermaßen Pioniere der Ost-Erweiterung vor der NATO, weshalb der Film auch voller Western-Motive steckt, voller John Ford-Bilder.Und schließlich sind da ja die Schichten des Materials selbst: die Autobiografie von Höß selbst, der Roman von Robert Merle, die Verfilmung von Kotulla mit Götz George als Höß und der Roman von Martin Amis. Reicht mithin locker, um den Film mit Gewinn wiederholt zu gucken. Braucht’s keine Rentner dazu.

  10. Ursula Mayr:

    Für John Ford und seine Tableaus zeichne ich mich jetzt nicht so kompetent, Western waren nie so mein Cup of Cappucino, da lässt sich sicher einiges entdecken. Nein, inhaltsleer ist er sicher nicht und die “ sonische Beklemmung“ – ein toller Ausdruck“ habe ich durchaus empfunden. Die anderen Handlungselemente fand ich aber – aufgrund der Fülle von Nazifilmen die man zwangsläufig schon gesehen hat – eher vernachlässigbar und sie dienten eigentlich nicht dazu eine Handlung zu konstituieren und auch nicht eine solche voranzutreiben, wirkten eher beliebig eingesetzt und nicht zu einem Strang verknüpft – und ob Herr Höss jetzt fremdgegangen ist oder nicht ist wirklich irrelevant – Spiesserleben vor der Kulisse des Grauens eben, immer gruselig, aber eben schon zu oft gesehen um noch Erkenntnis draus ziehen zu können. Aber danke für den Filmhinweise, ich werde mich noch einmal über den Kotulla hermachen.

  11. Ursula Mayr:

    Habe gerade gesehen dass ich den Kotulla-Film seinerzeit – also nicht als Rentnerin – gesehen hatte und sehr beeindruckend fand, lag natürlich auch an der Besetzung, Götz George macht auch aus dem grössten Langweiler noch ein Erlebnis. Da gab es allerdings auch kein Grundrauschen, das die Aufmerksamkeit von der Vordergrundhandlung doch etwas abzog.

  12. Susanne:

    Ich habe beim Lesen mehrerer Rezensionen festgestellt, dass der gut angelegte Film bei manchen einfach nicht landet und frage mich, ob es an der mangelnden Nähe liegt, die man zu den Hauptdarstellern nicht herstellen kann und ja auch gar nicht herstellen will, dazu sind sie zu kaltschnäuzig und pervers und man beobachtet sie eher durch eine Form von Mikroskop, als dass man ihnen Interesse zuwendet. Eher eine Art Abwehr. Mikroskop heisst Distanz.

  13. Ursula Mayr:

    Mit individuellen Abwehroperationen ist natürlich immer zu rechnen. Roland Zag hat in seinem Buch „The human factor“ beschrieben, wie stark das „Funktionieren“ eines Films von einem – mindestens – Sympathieträger abhängt, wobei sich die Frage stellt, ob man von einem Nazifilm ein „Funktionieren“ verlangen sollte. Schindlers Liste hat in diesem Sinne funktioniert, da hatte der Zuschauer etwas zum Festhalten, das Gute zum Mit-nach-Hause-nehmen, das war eher kontraproduktiv.

  14. Jochen:

    Als Rezipient habe ich ja immer die freie Entscheidung, ob, wann und wie ich etwas an mich heranlasse und wann es mich interessiert. Momentan beispielsweise habe ich überhaupt kein Bedürfnis, dystopische, problematische oder aggressive Inhalte jeglicher Art zu gucken. Das war schonmal anders. Neulich fing der Tatort düster an mit ausblutendem Wildbrett am Haken. Hab ich gleich abgeschaltet. Ist grad ’ne Phase, vielleicht. Oder Negativmeldungen in den Medien reichen mir.

    Als Sedativum vor dem Zubettgehen schaue ich manchmal den Podcast mit Lanz und Precht.
     
    „Guten Morgen, Richard.“

    „Guten Morgen, Markus.“

    „Was machst du gerade?“

    „Ich sitze in meiner Kemenate am Schreibtisch.“
     
    Dann spinnen sich Betrachtungen zu Zeitgeist-Themen fort, in freundschaftlich gelassenem Tonfall, fern von jedem argumentativen Ego-Beisskrampf. Eine gute Prise Magnesium gibt dann den Rest und du schläfst zehn Stunden durch. Morgens um Sieben ist die Welt dann wieder in Ordnung.

  15. Ursula Mayr:

    Magnesium und Lanz gegen Terrier mit Kieferkrampf? Du bist genial!

  16. Pharao:

    Entscheidend ist bei diesem Film das Kopfkino. Und die Nachschwankungen.

  17. Ursula Mayr:

    Ja! Aber das ist jetzt mehr dem Stoff geschuldet als der speziellen Machart des Films.Schindlers Liste hatte ihre Nachschwankungen,Das Leben ist schön – der ganz besonders – hatte es, jede Auschwitz – Doku hat ihre Nachschwankungen und ihr Kopfkino. Emotionale Reaktionen zu gerieren bei einem Stoff von grosser Grausamkeit ist keine so grosse Kunst.

  18. Michael E:

    Ein erschütternder und brillianter Film, der für mich alles andere als wie heruntergekurbelt wirkt, und seine Gestaltungsmöglichkeiten beeindruckend ausschöpft.

    Zum Glück wird hier auf konventionelle Handlung verzichtet, konsequent auch, Musik nicht als dramatiserendes Stilmittel einzusetzen.

    So einen Film zu dem Thema, so eine Annäherung an das Grauen (durch das Darstellen der pseudoidyllischen Parallelwelt) gab es noch nicht im Kino, auch das ein Verdienst von Jonathan Glazer, dessen Antrieb es ganz sicher nicht war, bei den Oscars abzuräumen…lohnenswert auch, die Interviews vib JG zum Film zu lesen!

  19. Michael E:

    Wie zum Beispiel hier, hochinterssantes Interview, lang vor den Oscars….

    http://flowworker.org/talk/

    Manchmal ist man halt so venarrt in den eigenen Sprachwitz, dass ihm alles untergeordnet wird, Uschi. Passiert mir sicher auch mal, gelle?!

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