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2023 11 Apr

„Saudades“

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 6 Comments

 

 

Ich weiss noch genau, wie und wo ich das Album „Saudades“ von Nana Vasconcelos erstmals gehört habe – und dann immer wieder hörte. Es war in den Wochen und Tagen vor der Ermordung John Lennons, ich war gerade in der Souterrainwohnung eines neuen Häuschens am Ausläufer des Hohen Bogens eingezogen, im „legendären“ Dorf Bergeinöden. Meine ersten beiden Bücher waren „Ripley Underground“ von Patricia Highsmith (eine Enttäuschung!) und Henry David Thoreaus „Walden“, eine Offenbarung. Zu den meditativen Strömungen von Thoreaus Erkundungen des Alleinseins in den Wäldern passte meine Umgebung im nördlichen Bayerischen Wald genauso gut wie Nana Vasconcelos‘ unendlich reiche Musik, die sich von jedem klar definierbaren Genre verabschiedet hatte. Ich hatte in jenem Jahrzehnte zwischen 1970 und 1980 fast jede ECM-Platte erworben, vieles per Jazz by Post, auch in meiner Zeit als Gruppentherapeut für Alkohol- und Medikamentenabhängige der Musikdealer meines Vertrauens. „Saudades“ war eine ideale Platte für die Stunden vor Mitternacht – häufiger liefen  damals im Herbst und Winter allein Brian Eno mit „Another Green World“, Television mit „Marquee Moon“, Neil Young mit „Comes A Time“, David Bowie mit „Low“ und die Talking Heads mit „Remain In Light“  – denn, natürlich, für einen „Townie“ wie mich war es wichtig, in der Einöde das Tanzen nicht zu verlernen. Lange tanzte ich allein, und später dann tanzten wir zu zweit! Ein knappes Jahr lang lebte ich einer Grauzone, in einem permanenten Rausch,  in einem Film, den Francois Truffaut gerne gedreht hätte. Er hätte das mit dem Happy End vielleicht hinbekommen. „Saudades“ heisst übrigens „Sehnsucht“. Come on, Eileen! Jedes Leben schreibt seinen ureigenen Soundtrack. 

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6 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Das vollkommen unbemerkenswerte Foto von der Ecke Bergeinöden / Grasfilzing / Arnschwang entstand im Mai 2022 während eines Wiedersehens mit einigen Kollegen und Freunden von damals. Es hat seinen Reiz nur für den, der in diesem Hinterland mal gewohnt hat.

  2. Martina Weber:

    Das Foto hätte auch aus den 60er, 70er oder 80er Jahren stammen können. It’s timeless.

  3. Olaf Westfeld:

    Ja, erstaunlich wie so reiche Musik mit so wenig Instrumenten entstehen kann, wie viel Magie da drin steckt… herrlich. Ich habe das Album ja erst im letzten Sommer gekauft – im makellosen Zustand für €25,- in Helsinki. Und es lief hier in der Tiefebeneneinöde ;-) sehr häufig.

  4. Michael Engelbrecht:

    Haha, music to keep your spirits high in the hinterland!

  5. Henning Bolte:

    Nana war für mich einer der erstaunlichsten Musiker, den ich ein paar Mal live gesehen habe (ua mit Don Cherry). Er war immer ziemlich stoned, hatte aber Magisches an sich. Das Ausstoßen von Vogelrufen auf orchestralem Hintergrund war ja auch was total Schönes. Und dann nit dem Berimbau, ein gebogener Stock mit einer Suite und einem Stein als eineArt Spektrum agieren, war noch schöner. Ich habe nie begriffen, warum diese Musik, die aus den Regenwäldern im Norden von Brasilien kommt, den Titel „Saudades“ verpasst kriegte.Saudades ist ja auch eher eine portugiesische Angelegenheit.

    Interessant ist, nebenbei gesagt, warum nie portugiesische Musiker den Weg mit portugiesischer Musik zu, auf ECM geschafft haben! Z.B. der Pianist Bernardo Sassetti hätte einen hervorragenden Beitrag liefern können. Jeder kann sich davon selbst über Youtube überzeugen.

    Genauso wenig zu verstehen ist, dass ECM sein groBes Jubiläum letztes Jahr groB in Brüssel gefeiert hat, dass es aber bis heute keinen einzigen Musiker aus Belgien aus dem Label gibt. Sehr merkwürdig für mich.

  6. Henning Bolte:

    Haha, und heute zeigt sich der erste Belgier als Sideman auf ECM. Auf dem neuen Miller-Album. Es kann also noch werden.


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