Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2023 5 Jan

Das Aufgesetzte

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 13 Comments

Ich habe meiner Liebsten neulich einen Negerkuss mitgebracht, und ich nenne diese Schokobomber schon mal Negerküsse auf Parties, um schnell die Irritierten zu enttarnen. Manche haben da echt keinen Humor, und der Mangel an Humor ist ein tieferer Grund für zwischenmenschliche Entzweiungen als die korrekte, „woke“ Sprache. Idioten! Neulich, bei einem kleinen Klassentreffen gab ich folgenden Limerick zum Besten, aus unserer Schulzeit, einer von drei Texten, die bei mir, neben Shakespeare und Pound, hängen geblieben sind. There was an old man from Calcutta, who had a terrible stutter. At breakfast he said: give me b-b-b-bread and b-b-b-b-b-b-butter. Ein wunderbarer Limerick, aber hinterher sprang gleich einer meiner Kameraden aus dem Gebüsch: das gehe heute nicht mehr, das sei ein Behindertenwitz. Tja, Kontext! Wenn ich diesen Limerick zum besten gebe, hat er nämlich nichts Despektierliches. Das werde ich jetzt nicht ausführen, da wäre ich gleich in der Rechtfertigungungsschleife. Ich halte diese neue Etikette für weitgehend verlogenes Zeug und erinnere gerne an jene Jazzkritiker, die einst zum Beispiel Pharoah Sanders‘ Musik nach dem Tode Coltranes attackierten, wegen ihres „kolonial-imperialistischen Zugriffs“ auf andere Ethnien. Hallo, gehts noch?! Ich sage folgendes: Empathie, Respekt, Solidarität, Bewunderung, das und mehr an positiver Energie schwingt mit, wenn Pharoah Sanders und Alice Coltrane musizieren, auf den Spuren des Alten Ägypten, wenn Musiker ihre Rastalocken tragen, wenn Gomringer die Frauen mit einem Gedicht ehrt und wenn ich meiner Liebsten einen Negerkuss mitbringe. Antifaschistischer Gruss, und ein Tritt in den Arsch all diesen scheinheiligen Inquisiteuren der Sprache und Haartrachten. P.S.: ich bin sprachbewusst und lerne auf diesem Blog neue Wörter: „instantan“. Interessant. Kann man das kochen, oder hat das ein Fell auf den Lauschern?

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13 Comments

  1. Jochen:

    1883 beispielsweise ist ein „woker“ Western (ich bin noch ganz beseelt davon).

    Nicht die Indianer – sorry: die indigenen Einheimischen – werden als skalpierende Unholde dargestellt, die den friedlichen weissen Mann beim Siedeln stören in diesen alten Ami-Propaganda-Schinken, sondern der weisse Eindringling selbst ist der Brutalo in seiner conditio (in)humana, und sich im Übrigen selbst ein Wolf.

    Hinzu kommt die philosophisch klug rübergebrachte Botschaft, dass es der Natur egal ist, ob der Mensch überlebt. So wie es auch dem Miethai / dem Kapitalismus / der Rendite heute egal ist, wenn Jemand keine Wohnung findet bzw sie nicht mehr bezahlen kann (Gentrifizierung ist das neue Siedeln).

    Und Putin, dieser als Mensch verkleideten Ratte, ist es auch egal, wenn die Söhne der russischen Mütter an der Front verheizt werden, nur um seine kleptokratische Bande an der Macht zu halten. Das wird dann dem Volk als „historischer Auftrag“ verkauft.

    PS. „Als Kinder spielten wir so gerne Cowgirl und indigene Bevölkerung!“

    Bin ich jetzt aufgenommen in ihren „woken“ Zirkel, Frau Grossinquisatirikerin?

  2. Henning Bolte:

    Dreadlocks, das habe ich von Hamid Drake gelernt, gab es in mehr Kulturen als der jamaikanischen. Die Rastafari sind auch kein indigenes jamaikanisches Volk, sondern Nachfahren der Sklaven, die für die Plantagenwirtschaft auf die Insel gebracht wurden. Rastafarikultur ist ein gutes Beispiel für hybride kulturelle Schöpfungen, sieht man sich die Rolle von Haile Selassie bei den Rastafari an. Bob Marley hat diese Kultur ungeachtet seiner Herkunft voll gelebt und geprägt. Glaubhaft.

  3. Michael Engelbrecht:

    Die tiefen Gefühle des roots reggae, sie sind mir zugänglich. Haile Selassie wurde masslos idealisiert, und Linton Kwesi Johnson hat da auch nur den Kopf geschüttelt. Es war wahrlich eine leicht durchschaubare Projektion – aber das änderte nichts an der Deepness von Marley, Perry und all den andern!

  4. Jan Reetze:

    Was übrigens die Indianer angeht: Solange sich deren Zentralverband “National Congress of American Indians” nennt, habe ich kein Problem damit, sie auch weiter so zu nennen.

  5. Henning Bolte:

    Angesichts fehlender direkter Erlebbarkeit indischer Musik holte sich Coltrane scheinbar sein direktes Erleben östlicher Klänge bei den Chazzanut in den Synagogen.

    Die Entwicklung im Jazz seit den Zeiten des Hardbop ist stark geprägt von östlichen, insbesondere arabischen Einflüssen, deutlich erkennbar an Namen wie Yusef Lateef. Aber auch eine ganze Reihe anderer Musiker wie Art Blakey, Horace Silver, Kenny Clarke bekannten sich nicht nur zum Islam, sondern verarbeiteten das auch in ihrer Musik. Die Gründe hierfür wären ein paar Posts auf Mana wert.

    Ich habe vor zwanzig Jahren ein Radioprogramm dazu gemacht, das ich mal wieder hervorkramen müsste. Es war spannend, was da alles zusammenkam.

    Mit Coltrane und Sanders und dem aufkommenden Free Jazz zog das weitere Kreise. Eine spezielle Rolle kam auch Ornette Coleman zu, den ich allerdings nicht einfach als Jazzmusiker bezeichnen würde. Auch das ist wieder eine weitere Geschichte.

  6. Michael Engelbrecht:

    Solange es noch storyteller gibt … 😉

    TSHIRT meines Vertrauens:

    LOVE THE STRANGE
    FUCK THE WOKE

  7. Henning Bolte:

    Diese Projektionen gibt es ja in anderen Kulturen auch zuhauf. Ich meinte den Hinweis auf die Rolle von Haile Selassie auch nicht negativ. Äthiopien liegt zwar in Ost-Afrika, war aber durch eine der ältesten christlichen Kulturen geprägt, die nicht auferlegt war. Es sind komplexe Zusammenhänge, die im medialen Zirkus verdeckt bleiben und im Modus des Unverstandenen zu grotesken Folgen führen können in dieser Hypertextwelt, die gleichzeitig nach griffiger Versimplifizierung fürs einfach Gemüt lechzt.

  8. Henning Bolte:

    „Indianer“ kennt man ja zum Glück auch unter ihrem tribalen Namen: Sioux, Apaches etc Auch von Seiten der zahlreichen Stämmen finden sich Spuren in der Populärmusik und im Jazz: Robbie Robertson, Buffy Saint-Marie, Jimi Hendrix, Jim Pepper, Don Cherry, Don Pullen etc Auch dazu hab ich vor längerem ein Radioprogramm gemacht. Playlist demnächst hier.

  9. Michael Engelbrecht:

    Henning, man muss auch Oberflächen bedienen um Tiefe zu ermöglichen. Es geht nicht immer der gelehrte Duktus.

    Manchmal reicht das Hören eines Klangs, um, ohne Sprache, Deepness zu schaffen.

  10. Ursula Mayr:

    Wenn ich in eine Gegend am Wasser komme und sehe, dass sehr hohe Dämme gebaut wurden, dann nehme ich an, dass mit entsprechend katastrophalen Fluten zu rechnen ist. Wenn jetzt überall Woke-Dämme gebaut werden, um auf Teufel komm raus-(oder-rein) wen auch immer zu schützen und 5 Paar Glacehandschuhe angezogen werden müssen dann rechne ich mit … na, was?

    Die Stärke der Abwehr entspricht immer der Stärke des Impulses, der abgewehrt wird.

  11. Uli Koch:

    „Woke“ ist da für mich die falsche Bezeichnung: würde das lieber der zugrundeliegenden Zwangsstruktur entsprechend als „Orthoartikulaten“ bezeichnen, den Anspruch sich immer korrekt zu artikulieren ungeachtet der durch diesen erzeugte Skotome.

    Habe übrigens in den Bergen des Himalayas mehrfach Sadhus mit Dreadlocks bis zum Boden getroffen, die noch nie von irgendeinem Rasta gehört hatten, geschweige denn sich Gedanken über mögliche Aneignung hätten machen können…

    Und, Michael, „instantan“ ist mehr ein Gewürz, man kann es kochen, aber es fusselt nicht ;-))

  12. Michael Engelbrecht:

    Ungangssprachlich setzt sich „woke“ durch, „Orthoartikulaten“ wohl eher im fröhlichen wissenschaftlichen Diskurs. Ich freue mich auf mein neues Shirt, kommt auf meinen Geburtstagswunschzettel.

  13. Robert Schmitt-Brandt:

    Die Toleranz wird ein solches Niveau erreichen, dass intelligenten Menschen das Denken verboten wird, um Idioten nicht zu beleidigen.
    Dostojewski


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