Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2022 15 Dez

„Sweet Fifteen“

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 11 Comments

Mein Faible für Michael Nauras Sendungen begann schon vor meinem Abitur, wenn ich in den grossen Ferien auf Langeoog oder Borkum seinen Konzertmitschnitten lauschte, oft bereits zur Mittagszeit. ECM Records in den Siebzigern, the golden years, ich denke, die Hörer im Norden konnten kaum eine der ersten dreihundert Produktionen von Manfred Eicher verpassen. Musik war eine Sache von „Body and Soul“, und ein kleines Phänomen, das mir elegant den Boden unter den Füssen wegzog, woosh!, und ganz viel mit „Body and Soul“ zu tun hatte, traf mich unverhofft, als ich mich an der Rezeption des Nordseehotels (das an der Kurpromenade von Borkum, mit Blick zum Meer in den teureren Zimmern) umdrehte, und ein „Girl“ sah, dass direkt dem gleichnamigen Beatles-Song entsprungen zu sein schien, der Melodie, nicht den lyrics.

 

Ich erspare mir die Beschreibung dieser absoluten Schönheit, ich erspare dem Leser dieser Zeilen aber nicht, dass sie mich anschaute wie ihren zukünftigen Gemahl. In Woody Allen-Filmen ist das der Moment, wo der Angeblickte sich umschaut nach einem Adonis, der womöglich das wahre Objekt dieses verliebten Blickes ist. Sie meinte mich. Und hier stellte sich auf Anhieb das „Licorice Pizza“-Problem dar (in Abwandlung). Dort verliebte sich ein 15-jähriges Greenhorn in eine 25-jährige Frau, hier stand mein 19-jähriges Ich (a deep romantic, no lucky fucker) einem 15-jährigen Mädchen gegenüber. So hinreissend. Sie. So unwiderstehlich. Sie. So offen. Sie. Und natürlich begann ich das Gespräch. Sie schmolz vor meinen Augen dahin, es war völlig unglaublich, und ich besass dafür keinerlei Abgleich jenseits reiner Träumerei.

 

Wir gingen Pflaumenkuchen essen in der windigen Strasse mit den zwei Kinos (Claude Lelouch und alte Western), hielten die Hände am Meer, übertrafen einander in der Tiefe unserer Blicke. Sie hörte mit mir auf der Couch, in meinem Zimmer, Dave Liebmans Lookout Farm, den jungen Jan Garbarek, wir flogen. Ihre Küsse waren Honig, Alabaster, Onyx und Blue Velvet. Sie zerfloss, wie ich zerfloss. Das ist seltsame Musik, flüsterte sie in mein Ohr, und küsste das Läppchen. Dann, anderntags, in ihrem Zimmer, wir entblössten uns, obenrum, es schien ein Märchen aus 1001 Nacht Gestalt anzunehmen und die Tür öffnete sich und ihre Tante stürzte mit entsetztem Aufschrei herein. Sie beendete den Zauber, drohte mir mit einer Anzeige sowie Hotelrausschmiss, und ich sagte: „Es ist alles in Ordnung. Ganz ruhig. Wir wissen, was wir tun.“ Der letzte Satz war tollkühn. Die Tante liess sich allerdings gar nicht beruhigen.

 

Danach schrieben wir uns, sie wohnte im Spessart, in Amorbach, wo sonst, und ihre Antwort auf meinen lyrischen Zeilenzauber war auf Micky Mouse-Papier verfasst, in purer Schönschrift, und las sich wie aus einem Poesiealbum der frühen Schultage – ich erkannte meine Blindheit, und es tat einen Moment lang weh. Sie einfach zu sehr Girl, zu wenig Woman, und mit allerliebsten Worten nahm ich Abschied. Ich legte Ruta and Daitya auf von Keith Jarrett und Jack DeJohnette und wusste, wenn ich einen langen Atem gehabt hätte, hätte, hätte … – dann hätte ich mich vielleicht nur zwei Jahre gedulden müssen, und sie wäre wieder aufgetaucht, mit silbernen Küssen, Schneezauber und Unendlichkeit. A smart cracker. A heartbreaker. So etwas fällt einem ein, auf einer langen Autofahrt von der Küste an den Niederrhein, mit Keith Jarretts „Facing You“ im Cd-Player meines Toyoten, nach zwei Stunden Blitzeis, und einem Schleudermanöver dritter Klasse. 

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11 Comments

  1. Ursula Mayr:

    Young girl, get out of my mind …

  2. Michael Engelbrecht:

    Ein uralter Song, ich glaub, ich kann ihn mitsingen. (Gary Puckett, auf den Namen wäre ich nicht mehr gekommen)

    (Text noch nachgeschliffen jetzt, sowas schreibe ich an Autobahngaststätten, die Flüchtigkeitsfehler kommen vom schlechten Kaffee.)

  3. Martina Weber:

    Heutzutage würden Schrift und Papier kein Charaktermerkmal mehr sein. Man kennt ja kaum mehr die Handschriften anderer. Dabei finde ich das nicht unwichtig und freue mich immer über ein Stück Handgeschriebenes.

  4. Michael Engelbrecht:

    Für diesen Text habe ich auch die passende Schrift gesucht …

    Es war natürlich im erster Linie der Inhalt, der sich nur in der Form verstärkte.

    Two, three years later she surely was a smart cracker.

    (Das war wohl der Rohmer-„Film“ in meinen jungen Jahren 😉)

  5. Martina Weber:

    … wenn schon, dann hätte ich einer verspieltere Schrift ausgewählt. Weiß man nie, wie sich jemand entwickelt. Ich hatte auch mal mit jemandem, der ein paar Jahre älter war als ich, Briefkontakt. Das Papier, die Schrift, der Umschlag, selbst die Briefmarke, das alles war wichtig. Seine Schrift war fantastisch eigenwillig. Der Typ auch.

  6. Michael Engelbrecht:

    Die Begegnung lebte auch davon, dass wir nicht so viel redeten. Es lag ein seltsamer Zauber im Miteinander, der aber weniger auf Schicksalsmächten beruhte als auf vielen, vielen Projektionen. Und zugleich auf wahren Empfindungen. Und als ich an ihren ein, zwei Briefen sah, wie kindlich sie noch ist, lösten sich meine romantischen Gefühle auf. Aber diese Handvoll Tage uns Stunden, die bleiben unvergesslich, allerdings Pastell und flüchtig. Deswegen die „graue Nebelschrift“, so nehme ich sie wahr, die dünnen, blassen wunderlichen Bilder von damals. Reine Zärtlichkeit.

  7. Martina Weber:

    Wahrscheinlich war es nicht nur die Schrift und das Papier, sondern auch der Inhalt.
    Meine Geschichte begann auf einem Pfingstschülertreffen und er war einer der Gruppenleiter. Das war harmlos, hat mich aber sehr aufgewühlt. Einmal waren wir mit zwei anderen mitten in der Nacht im Wald unterwegs, und plötzlich kamen Schäferhunde auf uns zugerannt. Grelle großflächige Scheinwerfer waren auf uns gerichtet. Wir waren in ein militärisches Absperrgebiet geraten. Der Briefkontakt hat lange gedauert, schätzungsweise zwei Jahre.

  8. Michael Engelbrecht:

    In diesen Altersdiffernezen 15/19 oder war es 14/18, gibt es eine Spannbreite, und nichts würde Handschrift und Micky Mouse bedeuten, wäre da nicht das Kindliche (sie) eben noch lange nicht wirklich halbwegs toughe Jugendliche und ich nicht schon auf dem Sprung vom Teen zum Grown-Up gewesen! Es gab keine Alternative. Und rückblickend waren es feine Träumereien. Ich hatte Susanne oder Sabine nie zu etwas gedrängt, in gewisser Weise konnte ich, rückblickend, die „Gouvrnante“ verstehen. Was wohl passiert wäre an jenem Abend, wenn ich ihr erstes Mal geworden wäre?!

    Und wie es sich für eine short short story gehört, habe ich jetzt alles Fett entfernt, auf der Suche nach der verlorenen Zeit.

  9. Michael Engelbrecht:

    Der Rohmerfilm dazu: Pauline am Strand, gespoilert: (da sieht man mal, wie moralisch ich war😂)

    Die 15-jährige Pauline fährt mit ihrer etwa zehn Jahre älteren, frisch geschiedenen Cousine Marion in die Normandie, um im Ferienhaus der Familie den Rest der Sommerferien zu verbringen. Am Strand treffen sie Pierre, einen ehemaligen Liebhaber Marions, und lernen dessen Bekannten Henri kennen, der etwa Mitte 30 ist. Henri lädt sie zum Abendessen zu sich nach Hause ein, und Marion, auf der Suche nach einer neuen Liebe, verbringt die Nacht mit ihm.

    (…)
    (…)

    Pauline, die im Haus von Henri übernachtet hat, wacht auf, als er sie auf das Bein küsst. Mit einem kräftigen Fußtritt weist sie den Annäherungsversuch unmissverständlich zurück, beide nehmen die Sache allerdings mit Humor. Beim Frühstück erklärt ihr Henri, dass er nach Quiberon verreisen und Marion zurücklassen werde. Enttäuscht von ihren Männerbekanntschaften beschließen Pauline und Marion, vorzeitig nach Paris zurückzukehren.

  10. Martina Weber:

    Die Filmbeschreibung macht nicht gerade Lust, den Film zu sehen. Beim Nachvollziehen der Handlung habe ich den Zusammenhang zu deiner Story verloren.

  11. Michael Engelbrecht:

    In so jungen Jahren (15/19) können vier Jahre viel sein , sie können aber bei entsprechender Sozialisation entspannt auf ein, zwei schrumpfen. Auch dafür gibt es Beispiele.

    Zum Film: am Ende (laut wiki, jetzt gekürzt) küsst der 35 Jährige Henri die schlafende Pauline (15). Ein anderes Kaliber.


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