Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

 

 

Viel Verzweiflung steckt in der mühseligen Arbeit, für einen Themenabend über Selbstmordattentäter mit dem Referenten Wolfgang Schmidbauer (Der Mensch als Bombe – eine Psychologie des neuen Terrorismus, 2003) den passenden Film zu finden. Wie tickt ein Mensch, der sich einen Sprengstoffgürtel umschnallen und den Zünder in die Hand drücken lässt?

Schmidbauer postuliert eine neue Form des destruktiven, oder – wie er es nennt – explosiven Narzissmus, wurzelnd in Ideologie, Glauben mit allem was dazugehört, überkommenen Ehrbegriffen, aber auch pubertärer Abgrenzung zum bisher gewohnten Milieu insbesondere westlich sozialisierter Jungdschihadisten – vielfältiges Material und spannend zu lesen.

Jetzt aber nicht mein Thema – vielmehr bewegt mich das Phänomen von Filmemachern, die Machwerke über Dschihadisten drehen (nicht schlecht gemacht und viel bepreist), aber über die Gottessoldaten beiderlei Geschlechts schlechthin nichts auszusagen haben.

Paradise now: Arabischer Regisseur, hoch bepreist, gut gemacht, Informationswert gleich null. Zwei Araber mit Sprengstoffgürtel tapsen durch die Landschaft, einer überlegt sich’s anders, beim anderen erfährt man bis zum Ende nicht, ob er den Anschlag durchführen wird. Moment der Komik, der das vorgelegte Pathos angenehm bricht: die flammende Abschiedsrede des künftigen Märtyrers vor der Kamera seiner Kameraden muss wiederholt werden, da die Kamera nicht eingeschaltet war. Bei den letzten Worten an seine Mutter hält er es noch für nötig sie darauf hinzuweisen, wo es günstige Wasserfilter zu kaufen gibt. Merke: Terroristen wissen auch nicht immer was sie wollen und warum und interessieren sich für den Haushalt.

The Attack: libanesischer Regisseur, gut gemacht, bepreist, Netzwerke dargestellt, Information über Täter gleich null. Merke: Frauen ist auch nicht zu trauen, auch was den Dschihad betrifft.

Die Welt wird eine andere sein: Deutsch – französische Regisseurin mit algerischem Vater. Man sieht, wie es der Ehefrau eines Dschihadisten geht. Merke: Terroristen sind dunkelhaarig, behandeln Frauen autoritär und sind selten zuhause. Irgendwann sind sie dann ganz weg.

Der Tag als ich ins Paradies wollte:  Doku von Esther Schapiro, einer Amerikanerin. Aufschlussreich, aber nicht wirklich erhellend. Ein bekehrter Dschihadist erzählt, wie es ihm ergangen ist, beschränkt sich aber auf die Schilderung von Äusserlichkeiten. Merke: Auch Dschihadisten können nach dem Knast ganz vernünftig werden.

Alles für meinen Vater: Dror Zahavi, auf palästinensischem Gebiet aufgewachsener Israeli, der auch für das deutsche Fernsehen arbeitet und diverse Tatorte zu verantworten hat. Humoristisch eingefärbter Film eines Selbstmordattentäters, der ein Wochenende in Tel Aviv verbringen muss, weil der Zünder seines Sprengstoffgürtels nicht funktioniert (den er auch nicht ausziehen darf), und er auf ein Ersatzteil warten muss und dann noch ein jüdisches Mädchen kennenlernt, das ihm irgendwann an die Wäsche will, worauf er auf einen Baum flüchtet. Der Film wurde als antisemitisch gebrandmarkt, da er auch die Intoleranz des konservativen Judentums zeigt. Merke : Auch Juden sind manchmal antisemitisch.

Zudem die Frage, ob man ernste Themen humoristisch angehen darf. Dann müssten auch Der grosse Diktator und Das Leben ist schön in den Orkus.

 

 

 

 

Und hier brechen nun die europäischen Filmemacher/innen in den Markt der Dschihad – Filme hinein, in westlich – analytischem Modus und ich muss sagen – die sind besser, klarer, aufschlussreicher. Nur: es sind westliche Dschihadisten, junge Leute aus braven deutschen oder französischen Familien stammend bzw aus in Deutschland lebenden liberal-muslimischen Familien, denen in einer freiheitlicheren Gesellschaftsordnung naturgemäss mehr Rebellion erlaubt ist.

 

Der verlorene Sohn
Der Himmel wird warten
Layla M.
Für meinen Glauben

 

Aus Gründen der Identitätssuche, oder pubertärer Abgrenzung vom Elternhaus, jugendlichem Hypermoralismus, Suche nach dem idealisierten allmächtigen Vater, Ekel über die Oberflächlichkeit und Brutalität des kapitalistischen Westens und Mangel an Spiritualität und haltgebenden Wertsystemen und Orientierungslinien, die Verlockungen von Exotismus und Sozialromantik (wir haben uns in unseren Jugendzeiten auch lieber mit den südamerikanischen Campesinos solidarisiert als mit oberbayrischen Bauern, falls die in Nöten gewesen wären; das klingt einfach besser und Guantanamera singt sich auch besser als das Liedgut der Bauernkriege oder bayrische Gstanzl) radikalisieren sich junge Frauen und Männer und scheitern oder sterben daran oder finden Wege aus dem Dilemma.

 

 

 

 

Die aus Nahost stammenden Machwerke bleiben über Motive und psychodynamische Bewegungen im Unklaren, Dunklen, geheimnisvoll raunend wie die Märchen der Scheherezade. Irgendwie hat es etwas mit Religion zu tun, manchmal geht es gegen die Besatzer, manchmal gegen alle Ungläubigen, also politisch oder religiös motiviert, auch das ein wichtiger Unterschied, mal geht’s um Familienehre oder die Rehabilitation eines entehrten Vaters, immer wieder geht’s ums Paradies und dessen Verlockungen, ein eher infantiler Belohnungswunsch, oder eine Gemengelage aus all dem. Man scheint ein Geheimnis bewahren zu wollen, das macht interessant, das wäre auch eine narzisstische Wurzel, ebenso wie überzogener Ehren-Kult.

Auch nichts über die Manipulationen militanter Gruppen, die jeden Jugendlichen, der gegen israelische Besatzer protestiert, sofort für den Märtyrertod rekrutieren. Vielleicht findet der arabischstämmige Zuschauer hier mehr heraus als unsereiner?

Oder andere Gründe: Scham? Kollektivscham, Fremdscham? Einem Volk anzugehören, das sich in Teilen noch als primitiv-fanatisch erweist? Angst, das Dämonische in sich selbst zu finden?

Bei uns wars nicht anders: Die Darstellung des Nazi-Täters im deutschen Nachkriegsfilm gelang nicht, in Staudtes Filmen sind es Hanswurste – da musste erst ein Tarantino erscheinen, um zu zeigen, wie man das wirklich Dämonisch-Böse darstellt, das Schmallippig-Aalglatte des Herrenmenschen. Die Deutschen konnten es lange nicht. Wir wollten es nicht wissen, vielleicht weil wir es viel zu gut wussten.

Nur ein paar Gedanken in die Kladde geredet, vielleicht hat jemand noch eine Idee dazu?

Wenn die realen Attentäter Bildmaterial ins Netz stellen, folgen sie einer wechselhaften Ästhetik, die zunehmend Elemente künstlerischer Gestaltung annimmt, eine Bandbreite von medialen Inszenierungen, sozusagen eine mörderische Kunst. Märtyrertestamente, reichlich im Netz zu finden. Hello Darknet, my old friend……

Das Bild als Drohung, als Kommunikationsstrategie und Waffe im Wandel der Kampfstrategien des IS. Ein Krieg der Bilder zwischen rivalisierenden terroristischen Splittergruppen – so wie sich früher an der Uni die K-Gruppen bekriegten; nur war das wesentlich gemütlicher.

Aber das ist jetzt eine andere Geschichte …

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12 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    BONE BOMB ist eine Komposition von Brian Eno, die mir nach den Lesen des Textes einfällt. Hier der Auszug dazu aus meinem Interview von 2005:

    Bitternis und Wahn

    Michael Engelbrecht: Springen wir kurz ans Ende. „Bonebomb“ ist große unerbittliche Musik. Erzählt sie von Geistern, von Untoten?

    Brian Eno: Die Geschichte hinter diesem Song ist bitter. ich las vor Jahren eine Zeitung, in der auf einer Seite zwei Artikel über palästinensiche Selbstmordattentate waren. In dem einen wurde der Prozess beschrieben, den eine junge Frau durchlaufen muß, um in diese Rolle hineinzuwachsen. Der Artikel basierte auf einem Brief, den ein Mädchen hinterlassen hatte. Wenn sich jemand für diese Art von Märtyertum hergibt, dann weiß das jeder in der kleinen Gemeinde, und man betrachtet das Mädchen als eine schon Gestorbene. Sie haben dann den Status von Auserwählten, die bereits im Himmel sind und daher als Heilige gelten an den letzten Tagen ihres Lebens. Für „Bonebomb“ habe ich eine weibliche Stimme eingesetzt.

    Michael Engelbrecht: Also wird dieses verstörende Stück Musik aus einer Innenperspektive entwickelt. Aber es kommt eine zweite Ebene hinzu, Teenager in der amerikanischen Provinz, die von wunderschönen Todesarten träumen und Bilder von Popstars über ihren Betten hängen haben. Das Wirkliche ist hier porös, aber es ist auf dem ganzen Album porös! Und auf keinem deiner vier vorigen Songalben aus den Siebziger Jahren hast du ein dermaßen schroffes Ende gewählt. (…) Hier aber überschlägt sich die Musik ins Nichts.

    Brian Eno: Ganz sicher. Und auf derselben Seite war ein anderer Artikel, in dem ein israelischer Arzt sagte, daß eine der schlimmsten Dinge beim Umgang mit den Opfern darin bestehe, daß man Knochensplitter aus den Leichen der Getöteten entfernen muß, die von den Attentätern stammen, die ja bei der Explosion in Stücke zerrissen werden. Ein Horrorbild vom Verschmelzen zweier Körper, Horror im 21. Jahrhundert.

    Die Komposition: https://www.youtube.com/watch?v=FxY6NLVQaPc

  2. Ursula Mayr:

    Und so inkorporieren die Ungläubigen die Gläubigen. Auch eine Form von Missionierung. Interessant …

    … und barbarisch.

  3. Michael Engelbrecht:

    Die Seele ist generell schwer zu finden: man wähnte sie schon in einer Drüse sitzen und sonstwo. Im Falle der Selsbtmordattentäter ist die „Seele“ sicher verkümmert, der Horizont wahnhaft oder hassbefeuert, die ganze Motivationslage ein Mix der genannten Optionen, der bestimmte Typologien / Profiltypen gestattet.

    Bei all dem nicht zu vergessen das Verbrechen der Isrealis, den Palästinensern ihr Land zu nehmen, gegen alle moralischen Werte und gegen alles bestehende Völkerrecht.

  4. Jörg R.:

    Wie ich hier entnehme gibt es da verschiedene Cluster von Dschihadisten.
    Alles für meinen Vater habe ich gesehen.
    Wann ist der Themenabend?

  5. Ursula Mayr:

    Am 21.7 2023 im Rottmann – Kino in München.
    Cluster – kannste laut sagen! Ich habe mich für LAYLA M. entschieden. Westlich sozialisierte Pubertätsdschihadistin, s.letztes Bild.
    Alles für meinen Vater ( zweites Bild ) war mir zu weichgespült.
    Das erste Bild ist die Szene mit den Wasserfiltern, da bricht der Mensch hinter dem Gotteskrieger durch.

  6. Anonymous:

    Warum gerade eine westliche Muslimin?

  7. Lajla:

    Das Thema ist so spannend wie schwierig.

    Ich bin in Madrid, wo derzeit im Casa Arabe eine Ausstellung von dem „Vater der irakischen Fotografie“ zu sehen ist. Latif Al Ani dokumentierte die glorreichen Jahre des Landes zwischen 1950-1970. Man betrachtet die ruhigen Schwarzweißfilme, auf denen Straßen von Bagdad, ländliche Umgebung oder amerikanische Touristen vor Denkmälern zwischen Einheimischen zu sehen sind. Und dann kommen die Terrorbilder: die Briten wegen dem Petroleum, dann der Irak-Irán Krieg, der Genozid an den Kurden, der 1.Golfkrieg, der 2. Golfkrieg und daraufhin der Dschihadismus.

    Ich würde mich bei so einem komplexen Thema erstmal mit der Geschichte beschäftigen.

  8. Michael Engelbrecht:

    Du kannst davon ausgehen, Lajla, dass die Geschichte hier so gut wie allen vertraut ist, und niemand das Unrecht ausklammert oder bagatellsiert, das etwa den Palästinensern angetan wurde und wird… (ich sag es nur, falls dein letzter Satz darauf zielt, ein paar Geschichtslektionen nachzuholen).

  9. Lajla:

    Die Geschichte von ISIS ist sehr unübersichtlich und zum Teil auch nicht durchdringbar und die Mentalität uns vollkommen fremd. Ich würde mir das Thema nicht zutrauen. Ich wünsche Ursula gutes Gelingen für ihr Filmprojekt.
    Tipp: Archiv
    Französische Studie
    Dschihadisten unter der Lupe

    Wie wird man Dschihadist? Wer sind die europäischen Islamisten, die bereit sind, skrupellos zu töten? In Frankreich haben Wissenschaftler erstmals minutiös Lebenswege von Dschihadisten studiert, die zu Haftstrafen verurteilt wurden. Die Studie erscheint als Sachbuch am 8. September.

    Von Margit Hillmann | 08.09.2017

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  10. Ursula Mayr:

    Danke, Lajla.
    Wird jetzt davon abhängen was der Schmidbauer dazu sagt. Aber der ist eben auch Europäer und geht mit den Ansätzen der europäischen Wissenschaft an die Sache heran.Das ist sicher gut zum Verständnis europäischer Dschihadisten.Gottlob gibt es einige wenige Analytiker arabischer Abstammung in Deutschland, einer hatn Lehrstuhl in Freiburg, den werd ich dazu bitten oder das nächstemal einladen. Und eine türkische Kollegin im Institut die muslimisch erzogen wurde. Die könnten einen Kontrapunkt setzen. Wird schon…

  11. Ursula Mayr:

    Anonymus:
    Weils der am wenigsten schlechte Film war.
    Die Geschichte der ISIS zu studieren ist genauso wenig erhellend wie die Filme zu gucken, man erfährt viel über die Religion und wenig über die Menschen, auch nicht die politischen und ganz pragmatischen Hintergründe die solche Leute bewegen und die Manipulationen in der Szene.
    Und wenn man einen Menschen zu seinen Motivationen fragt erhält man auch nur Auskunft über die bedruckten Flecken seiner Landkarte und nicht über die weissen.
    Koran hab ich auch angefangen zu lesen – zu 80% Lobpreisung Allahs und genauso verwirrend und widersprüchlich wie die Bibel. Schlagt Eure Frauen – nee, schlagt sie nicht….

  12. Michael Engelbrecht:

    Wider alle falsche Vereinfachung: Typologien der Selbstmordattentäter sind gewiss hilfreich. Aber: wir haben es, was das Seelenleben dieser Täter/innen angeht, ob Kinder oder Erwachsene, keineswegs mit einer seelischen terra incognitanzu tun: all ihr Handeln lässt sich entschlüsseln (nicht unbedingt im verstummenden Einzelfall, aber im Grossen Ganzen) anhand jener Antriebsmuster, die da nun mal greifen: wahnhafte Belohnungssysteme, tiefsitzender Hass und damit einhergehende Rachefantasien, gedeckt durch ideologisch verkürzte Auslegung „heiliger Texte“ etc. (in denen allemal genug Schwachsinn steht)

    Da gibt es kein GROSSES UNBEKANNTES aufzuspüren!!!

    Untersuchungen zeigen, dass es teilweise um junge Menschen geht, die weder in der Schule noch in einer Ausbildung Anerkennung erfahren. Gestörte Familienverhältnisse und radikale Freunde spielen dabei eine entscheidende Rolle. Der Koran ist dann auch leicht zu imstrumentalisieren, und so kommt es gerade bei leicht zu manipuliernden Menschen zu einer passagenweise rauschhaft erlebten Ich-Erhöhung incl. des Machtgefühls, über das Leben anderer richten zu können. Und im eigenem Tod eine Art „höchster Selbstbestimmung“ zu erfahren.

    Solche seelischen „Strickmuster“ – mit unterschiedl. Gewichtung von Einzelfaktoren – finden sich sowohl bei muslimisch motivierten Attentaten, dei denen man hinterher zu flüchten versucht (Bataclan), wie bei suizidalen Attentätern.

    Stichwort: The banality of evil.

    Das Thema ist sicher ein schwieriges, aber die Antworten finden sich allesamt in einem klar strukturierbaren Rahmen.


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