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Love Story (USA, 1970) Arthur Hiller, Roman von Erich Segal

 

Klar, der Film ist vorhersehbar und ein Tränenzieher, kein Nägelkauer. Die Kritiken lobten ihn überschwänglich als „Liebesfilm für die Ewigkeit„, „zeitloses Märchen„, und er spielte das 60-fache seines Budgets ein. Er wurde gepriesen als „aus der Zeit herausgelöste und an keinen gesellschaftlichen Kontekt gebundene romantische Liebesgeschichte„, die die Herzen der Menschen geöffnet habe. Und das mit dem gesellschaftlichen Kontext stimmt aber eben nun so gar nicht.

Die Liebesgeschichte ist nur scheinbar nach dem bekannten boy-meets-girl-Muster gestrickt, in Wirklichkeit ist es eine Love Story zwischen Vätern und ihren Kindern – ein gross angelegter Versöhnungsversuch in den Zeiten der unerwünschten Jugendrevolte.

Oliver, ein Jurastudent aus schwerreichem Hause, verliebt sich in das Aschenbrödel Jenny, Tochter armer italienischer Einwanderer. Er revoltiert gegen seinen Vater, einen schwerreichen Industriellen. Jenny steht in unbedingter Loyalität zu ihrem Vater, nach dem frühen Tod ihrer Mutter „war sie es, die für ihn sorgte!„. Zitat Vater! Eine rekrutierte Tochter, bereits als Kind dafür zuständig, den Emotionshaushalt der Erwachsenen zu regulieren, wie so viele Kinder, die dazu verdonnert sind und es erst im Erwachsenenalter bemerken, wenn überhaupt. Deutsches Nachkriegsphänomen unter anderem!

 

 

 

 

Natürlich ist sie als Schwiegertochter nicht erwünscht, eine Mesalliance. Natürlich bricht Oliver mit seinem Vater, lebt mit Jenny glücklich zusammen, inzwischen wurde geheiratet, ohne Anwesenheit von Olivers Eltern, und er verdient sein Geld als junger Anwalt. Jenny leidet unter dem Zerwürfnis zwischen Vater und Sohn, nimmt Oliver seine Härte übel – die Frau ist gemäss tradiertem Kontext für das Gefühlsleben zuständig, und ein Kind steht zu seinen Eltern, egal was sie damit anstellen – klar – sie ist Italienerin, viva la famiglia – und bleibt damit bei ihren Leisten. Und Musikerin. Ein Ingenieurstudium der weiblichen Hauptfigur war sogar damals noch degoutant. Und Oliver bleibt bockig.

Jenny stirbt an Leukämie, Oliver weint in den Armen seines Vaters, der doch noch ans Sterbebett eilt. Die Mutter Olivers tritt kaum auf, auch jetzt nicht. Die Funktion Jennys als Katalysator ist durch die Versöhnung erloschen, sie wird nicht mehr benötigt. In sich stimmig, dieser Tod.

 

 

 

 

Als Topos einer Spielwiese für Betuchtere fungiert hier der Central Park, in dem sich die Paare finden, übermütig herumtoben, Probleme knacken und sich schliesslich wieder verabschieden müssen – gleichsam eine Art Terrarium des akademischen Milieus von Manhattan für uns zum Hineingucken. Auf dem letzten Spaziergang des Paares sieht Jenny sichtlich stolz Oliver beim Eislaufen zu, übernimmt damit die Rolle des Vaters, der in einer Anfangssequenz Oliver  beim Eishockey zusieht, mehr besorgt als stolz über seinen wilden Ableger. Sie schafft somit die Übergabe Olivers aus dem Bereich der Partnerliebe wieder zurück in den Raum der Vaterliebe, die Old Stonyface, wie Oliver den Vater nennt, so schwer ausdrücken kann.

Aber es geht noch weiter mit dem subliminalen Geniesel von reaktionären Botschaften auf des Unterbewusstsein einer widerspenstigen Jugend:

 

Teil 2 naht:  Olivers Story, 1978, John Corty, Roman dito Erich Segal.

 

Der verlorene Sohn kehrt heim in das Haus des Vaters, die Betriebsübernahme winkt, das aber erst später. Zunächst lebt Oliver als trauernder Witwer und aufstrebender Junganwalt, engagiert sich für soziale Projekte. Die Partnerwahl, die er nun trifft ist jetzt eher comme il faut, man entwickelt sich. Marcie, die er beim Joggen kennenlernt – natürlich im Central Park – ist eine schwerreiche Erbin. Die Beziehung knirscht bald, da Oliver noch stark an Jenny gebunden ist, zudem wirft ihm Marcie vor, Jenny nur als „Eintrittskarte in die Unterschicht“ und als Kampfmittel gegen den Vater funktionalisiert zu haben. Ein durchaus kluger Gedanke, den man in diesem Film nicht erwartet hätte.

In der Zwischenzeit entwickelt sich ein Handlungsstrang, in dem Oliver seinen Vater näher kennenlernt. Dieser interessiert sich auch für alte Industriedenkmäler und -kulturgüter, und sei ein – laut Auskunft eines Angestellten –  verständnisvoller Arbeitgeber gewesen,  mit dem man immer über alles reden hätte können.

Vater und Sohn versöhnen sich, Oliver übernimmt den Betrieb, trennt sich aber von Marcie. Es endet mit dem Satz: Wenn Jenny noch leben  würde, würde ich auch noch leben. Hier wird der bürgerlich-romantische Mythos der ewigen Treue beschworen, also keine Abgrenzung, kein Abschliessen, kein Neuaufbruch.

Somit transportiert der Film seine Botschaften:

 

 

Kapitalisten sind im Grunde nette Kerle, die sich um ihre Angestellten kümmern.

Es gibt eine grosse Liebe und die ist ewig.

Es muss in jedem Fall geheiratet werden, weil’s einfach romantischer ist.

Liebe und ehre Deine Eltern, egal wie sie sich aufführen.

Nimm den Platz ein, der vom Leben oder vom Papa für Dich vorgesehen ist.

 

 

Mit letzterem hat man unsere Kinder und Enkelkinder schon im „König der Löwen“ gepestet, bei der Forderung des Einfügens in den eternal circle für den jungen Simba, der mit seinen Freunden Timon und Pumbaa ein fröhliches Hakuna-Matata-Leben im Busch führt. Dann erschien aber Evas Fluch in Gestalt seiner Jugendfreundin Nala, die ihn an seine Pflichten als Thronfolger erinnerte und der grollende Geist des Vaters wurde aus den Wolken beschworen, bis der lustige Bursche die Bürde auf sich nahm. Als ob es keine anderen Löwenmännchen gegeben hätte, die vielleicht eher Lust darauf gehabt hätten. Tatsächlich tauchen im Film auch keine auf, das Rudel scheint nur aus Damen zu bestehen, die die Situation offenbar nicht bewältigen können bzw gar nicht erst auf diese Idee kommen. Ein zusätzlicher Druck für den jungen Alleinretter. Disney unter pädagogischem Gesichtspunkt betrachtet kann ganz schön übel sein, oder wie ich zu sagen pflege: Brutale Einnordungsmaschinerie.

Offenbar bekam die Company dann 1994 doch Druck, denn Simba bekam im Teil 2 eine Tochter, Chiara, als Quotenfrau, die die Thronfolge übernahm an der Seite eines jungen Löwenfreaks und Drop-outs, der dem Papa zuerst so gar nicht gefiel, sich aber später als wackerer Prinzgemahl entpuppte.

 

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Das ganze ist jetzt nicht meine Privatparanoia, es ist bekannt, dass bei vielen Filmen – vor allem Militaria – das Pentagon als Produktionspartner mit im Spiel ist und Gelder zur Verfügung stellt, insbesondere im Vorfeld militärischer Aktionen – und natürlich entscheidet, welche messages transportiert werden sollen. Damit im Hinterkopf ist das Konsumieren von Machwerken wie „Top Gun“ ein sehr bittersüsses Vergnügen, da kann sich Tom Cruise noch so sehr anstrengen, gnadenlos gut auszusehen.

Oder „Der Gladiator“ von 2000, nach der Afghanistaninvasion und im Vorfeld des Irakkrieges, der ständig den Imperialismus feiert („Es gab einmal einen Traum von Rom!“). Mit einem guten Imperator vorndran ist der nämlich eine prima Sache. Insbesondere die Macher populärer Filme können auf kostenlose und kompetente Beratung der Militärbehörden hoffen, vorausgesetzt, der Film folgt propagandistisch den Linien der laufenden oder geplanten US-Militäroperationen. Oder lässt sich dementsprechend hinpfriemeln.

Wer bei Love Story mitgepfriemelt hat, wurde leider nicht publik, vielleicht gab’s damals ein entsprechendes Sitten- und Erziehungsdezernat zur Bekämpfung von Hippies.

 

Hierzu auch: Peter Bürger – Kino der Angst (2006).

This entry was posted on Sonntag, 30. Oktober 2022 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

41 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Ich war noch sehr jung, und sah den Film allein im Kino. War der ab 12 oder 16? Dass Daddy nervte, klar. Aber diese raffiniert installierte Versöhnungsstory von Vater und Sohn ist mir entgangen. Warum?

    Weil ich Ali McGraw unfassbar schön fand, und ihren Tod ganz schrecklich. Das hat die Aufmerksamkeit von den reaktionären Umtrieben der reichen Eltern etwas abgezogen: wie scheisszynisch, dass Daddy noch ans Sterbebett eilte. Und wie traurig, dass Ali McGraw (also Jenny) ihren Liebsten nicht aus den Klauen der Eltern treiben konnte! Ihr Tod war der Schock, der mir alles klare Denken vernebelte.

    „Die Reifeprüfung“ war spannender erzählt, und auch da gings wohl um die gute alte bürgerliche Ordnung. Obwohl Mrs. Robinson viel schärfer und erfahrener war, aber – natürlich – auch Alki. Mist. Also fieberte man sogar bei Dustins Kampf mit, an und in der Kirche (!), um seine angestammte Liebe. Ich (da spiel ich mal meine Fantasie durch!) hätte mich lieber lang und heftig von Mrs. Robinsons vögeln lassen, und wir hätten einen Weg in die Freiheit gefunden 😅 … und wir hätten uns geliebt, rauschhaft.

  2. Ursula Mayr:

    Das Liebespaar war einfach gut besetzt und mochte sich, das kam rüber und die Ali war eben mal ein ganz anderer Typ, als da sonst über die Leinwand stakste.

    Ich habe Dir ja schon von meiner bisher besten Freundin in dieser Zeit erzählt, sie sass in der Statistikvorlesung – wo sich alle Fäden kreuzen – vor mir und drehte sich plötzlich um, Ali McGraw die zweite. Sie starb vier Jahre später. Da konnte ich Oliver gut verstehen. Sonst wäre mir der Film auch nicht so im Kopf geblieben – man sieht eben manchmal mit der Amygdala und mal mit dem Neokortex.

  3. Jörg R.:

    Spannender Text, noch spannendere Kommentare.

  4. Ursula Mayr:

    Mrs Robinson hatte so eine melancholische Aura … irgendwie Endzeitstimmung verbreitend, da wär ich als Mann nicht drauf abgefahren.

  5. Martina Weber:

    Ist lange her, dass ich die „Love Story“ gesehen habe. Ich weiß nur noch, dass ich den Film allein und im Fernsehen gesehen habe, spät abends, aber ich weiß nicht, wo ich zu dem Zeitpunkt gewohnt habe, sonst hätte ich es zeitlich verorten können. So einen Film schaue ich am liebsten allein, denn auch ich bin ziemlich in Tränen ausgebrochen und ich war vor allem auf der emotionalen und nicht auf der analytischen Ebene sehr berührt.

  6. Michael Engelbrecht:

     

    Das ist wieder Stoff für meine Traumgruppe, haha. Also, da habe ich mir einen Tagesrest eingehandelt als ich gestern schrieb, wie ich mir den Schlusspart von DIE REIFEPRÜFUNG vorstellen würde, ein Film, der mich damals sehr gefesselt hat, und den ich auch später öfter wiedergesehen habe.

    Heute Nacht, in einer frühen Traumphase, ging es los. Ich war ungefähr 24 Jahre jung und hatte schon länger (im Traum) eine Liebesaffäre mit einer deutlich älteren Frau. Die war nun überraschenderweise eine Blonde, sie war sehr clever, sehr gefühlvoll, sehr sinnlich, und unser Liebesleben (so war es klar zu dem Zeitpunkt, als meine Traumerinnerung einsetzt) war close to perfect. Der Haken: sie war verheiratet. Mit einem erfolgreichen Filmregisseur.

    Ich kam zu ihr ins Bett, um ihre ranken Beine zu liebkosen, mich dem Rausch der Lust hingeben, und mich von ihr nehmen zu lassen. Aber ihr war nach Schlafen zumute und sie bat mich, die am Rande des Bettes vollgekritzelte Banderole zu lesen, die sie für mich angefertigt hatte. Ein Brief von meiner Geliebten, die sich im Halbschlaf befand, und um diese Papierrole zu lesen – das Teil war notdürftig am Rande des Bettes, zum Fenster hin, aufgehängt – musste ich mich an ihre Seite begeben, auf einem schmalen Grat zwischen ihrem Körper und dem Bettrand, an ihren Füssen beginnend, bis in Kopfhöhe vorarbeiten, und das Gekraxel lesen. Ich atmete ihren Duft ein, aber der Sinn nach jeder Lust verging mir, als ich ihre kryptisch formatierte Mitteilung las.

    Sinngemäss hiess es darin, dass wir beide eine atemraubende Zeit gehabt hätten, aber nun alles sehr schwierig, wenn nicht unmöglich würde. ihr Mann wolle nun in seine Heimatstadt zurückkehren, um sich dort einen Traum zu erfüllen und Don Quixote zu verfilmen, eine neue, kühne Verfilmung, in die Jetztzeit transportiert. Nun wären wir Zwei gerade in dieser Stadt von Liebestaumel zu Liebestaumel geraten, und sie könne es ihrem Mann, der nun schon so lange ein Gehörnter sei – ihr Ausdruck – nicht antun, in seiner Stadt, und bei diesem Filmprojekt, unsere Liebe fortzusetzen.

    Das war auch so ziemlich das Ende des Traumes, um 2.30 Uhr wachte ich auf, und es dauerte eine Weile, wieder in meiner Welt, in der ich ja nun auch erfüllt bin, und kein defizitäres Wesen, anzukommen. Leichtes Kopfweh, in der Realität, ein broken heart (am Ende des Traums).

    Siehe meine letzten comment, wie ich mir das Ende der REIFEPRÜFUNG vorstellte. Der Traum lieferte mir ein Drehbuch dazu. Meine Liebe war auch nicht auf Drogen, und sie schien einen Entschluss gefasst zu haben. Das hatte auch was vom Ende von CASABLANCA (nicht platt 1:1, aber im übertragenen Sinne).

     

  7. Jochen Siemer:

    Es heisst am Ende des Textes: „Quelle: Peter Bürger: Kino der Angst (2006).“ Worauf bezieht sich das? Ist der gesamte Text von Peter Bürger?

  8. Ursula Mayr:

    Nein, sorry, da hab ich mich blöd ausgedrückt, schon alles von mir. Peter Bürger hat ein Buch über die Einflussnahme der US – Regierungsbehörden auf die Filmindustrie geschrieben.

    Wen es interessiert: Für die deutsche UFA und den Einfluss der Nazis und später der amerikanischen Militärregierung auf die Filmproduktion gibt’s Ähnliches. Ist ja ein globales Phänomen.

  9. Jochen Siemer:

    Alles klar – danke.

  10. Ursula Mayr:

    Micha: Interessant ist ja immer was in der Erinnerung vergessen oder entstellt wurde. Bei der Arbeit mit Märchen bringt das viel Erkenntnis, z B erinnert sich kaum jemand an das Ende von Hänsel und Gretel. Rotkäppchen und die 7 Geisslein werden gern zusammengeschmissen.
    Weisst Du den Schluss der Reifeprüfung noch? Offenbar bist Du ja an Mrs Robinson klebengeblieben.

    Martina:
    Bei Liebesfilmen heul ich nie! Als junges Mädchen natürlich beim Tod Winnetous, zuletzt 2003 beim Aufbruch von Frodo in den Westen und dem Abschied von den Gefährten, insb. von Sam Gamdschie. Anscheinend macht mir die Trennung von Männerpärchen mehr zu schaffen – something I have to think about. Wobei die genannten Freundschaften durchaus homoerotische Züge aufweisen.

  11. Michael Engelbrecht:

    Uschi: na, das war schon ein famoses Fortspinnen, diese Abschiedsnummer mit der Papierrolle im Bett, creative dreaam writing😉

    Das mit den Erinnerungen ist mir klar. Ich hoffe also, ich liege auf interessante Weise falsch: Sie, die brave Schöne, hat sich von Dustin aus der Kirche entführen lassen, und sie fuhren im Auto davon and lived happily ever after, mit beschwingten Simon and Garfunkel-Gefunkel (ich hoffe, der Soundtrack wurde nicht vom Pentagon finanziert:)…

    Klär mich auf, wenn ich irre. Und in einem Punkt widerspreche ich. Die Dustin Hofman Kirchenszene hat mir, unabhängig von der Story um Mrs. Robinson, imponiert: ich habe das später im Leben auf meine Weise auch mal versucht, so eine Aktion mit „legaler Entführung“, da hatte der ans Kirchentor schlagende Dustin vielleicht unbewusst Pate gestanden. Meine Story ging dann aber anders aus😉

  12. Ursula Mayr:

    In der Schlusseinstellung der Reifeprüfung sitzt das Paar im Bus und strahlt, aber langsam fallen ihnen doch die Gesichter runter – live happily? Weiss nicht.

  13. Ursula Mayr:

    Hat jemand vielleicht den etwas kryptischen Song “ Mrs Robinson“ von Simon and Garfunkel“ verstanden?

  14. Michael Engelbrecht:

    Kann gut sein, das mit dem Song. Aus dem Kopf heraus, weiss ich gar nicht, worum es da geht, ausser um Mrs. Robinson😂😂😂Aber das passiert oft bei angloamerikanischen Songs, dass man, egal wie gut das eigene Englisch ist, die eigentliche Intention bzw. den Sinn des Songs nicht versteht – weil man auf starke Melodien und Sounds einfach eigene Gefühle projiziert – weil man einzelne Zeilen akustisch missversteht etc. …

    Von der offenen (?) Limousine in den Bus – das ist dann schon fast eine kluge inszenatorische Entzauberung. Und, ähem, die Gesichter fallen „a weng“ runter – das will ich sehen!

  15. fritz:

    super be- und geschrieben, Ursula Mayr

  16. Ursula Mayr:

    Immer wieder gerne! :)

  17. Martina Weber:

    Uschi: Ich mag kryptische Kunstwerke. Was eindeutig ist, ist langweilig.

    Hänsel und Gretel, ohne zu recherchieren: Der Höhepunkt der Märchens besteht darin, dass die Kinder die Hexe in den Ofen werfen. Ist in Büchern auch meist bebildert. Und dann? Ist es nicht so, dass sie dann den Weg nach Hause finden, und dass die Stiefmutter gestorben ist und der Vater es zutiefst bereut, dass er die Kinder ausgesetzt hat? (Ich erinnere mich gerade daran, dass ich das Märchen vor vielen Jahren eingesetzt habe, um in einer Krankenpflegeschule den Straftatbestand der Aussetzung zu erklären.) Und dass sie dann glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende mit dem Vater zusammen leben und den Reichtum des Hexenhäuschens genießen?

  18. Ursula Mayr:

    Es ist nicht die Stiefmutter sondern die leibliche Mutter. In vielen Versionen wurde aber eine Stiefmutter daraus da man die Kinder nicht glauben machen wollte dass eine Mutter zu so etwas fähig sei.
    Nicht die Kinder haben die Hexe in den Ofen gestossen sondern Gretel allein – Hänsel sass noch im Käfig.
    ( Hast Du noch ein Geschwister?).
    Sie kommen auf dem Rücken einer Ente zurück.
    Es ist übrigens häufig das Lieblingsmärchen der Suchtkranken oder Essgestörten – viele orale Motive.

  19. Martina Weber:

    Oh, wie viele Fehler! Ich erinnere mich daran, dass es Gretel allein war. Logisch!
    Stiefmutter – Mutter, da schwankt die Erinnerung. Weiß nicht, welche Variante des Märchens ich gelesen habe. Die Ente habe ich auch vergessen.

    Äh, ja, ich habe einen Bruder, ca 4 Jahre älter als ich. Merkt man das an meiner verfälschten Darstellung des Märchens? ;)

  20. Ursula Mayr:

    Es könnte – muss nicht – auf ein Geschwisterthema hinweisen. Im Märchen ist ja Gretel die grosse Retterin des Bruders. Das hast Du verändert.

  21. Martina Weber:

    Ich habe es nicht bewusst verändert, sondern einfach hingeschrieben. (Na ja, das ist es wohl.) Ein Geschwisterthema gibt es bei mir ganz sicher.

  22. Ursula Mayr:

    Es hat sich in Dir verändert.
    Aber die beiden Geschwister schaffens gemeinsam. Das klingt jetzt eigentlich gut!

  23. Roland K.:

    Was ist mit Rotkäppchen?

  24. Martina Weber:

    Ich glaube, ich hatte Bilder aus einem Märchenbuch im Kopf, in denen beide Geschwister die Hexe in den Ofen werfen. Aber dieses Bild kann es nicht geben. Meine Variante ist eine bemerkenswerte Veränderung, das ist wirklich interessant. Allerdings sehe ich meinen Bruder und mich nicht als Team. Jetzt wird es gerade megaspannend, aber auch zu persönlich für die Öffentlichkeit. Kann die Hexe auch für jemand anderen stehen?

  25. Lajla:

    Wenn man Peter Bürger zitiert, sollte es gründlicher getan werden. Es gibt so viele Kriegsfilme, unterstützt, gesponsert und produziert von den unterschiedlichsten Filmemachern. Der Filmer als Künstler schafft mit seinen ästhetischen Bild und Akustikdarstellungen eine ihm eigene Aussage. ( Leni Riefenstahl/ Werner Herzog/ Syberberg…) Dieser Aspekt fehlt vollkommen bei Peter Bürger. Der Kinokonsument kann meiner Meinung nach eine Propaganda oder Botschaft ( Pentagon) beim Ansehen eines Kriegsfilms nur selten herauskristallisieren.

  26. Ursula Mayr:

    Erfahrungen zufolge sind die Wolfsmärchen die Märchen der Vaterlosen. Vaterlos nicht nur im Sinne eines nicht vorhandenen Vaters sondern eines ausgegrenzten oder verteufelten Vaters, dieses Bild muss nicht dem realen Vater entsprechen. Dieser negative Aspekt wird im Wolf symbolisiert der von aussen in die vaterlose Familie eindringt ( Rotkäppchen und die 7 Geisslein sind vaterlos ) und die Kinder versucht sich einzuverleiben- also dem Einfluss der Mutter zu entziehen.

  27. Ursula Mayr:

    Ich habe Peter Bürger nicht zitiert sondern auf sein Buch hingewiesen.
    Bei den Filmen mit denen er sich beschäftigt und die stark politisch beeinflusst sind handelt es sich um US – Trivialproduktionen, da gehören Herzog, Riefenstahl und Syberberg ganz bestimmt nicht dazu und die hätten da auch nicht mitgemacht.

  28. Ursula Mayr:

    Martina: Bilder verändern sich ja auch in der Erinnerung.
    Was die Symbole betrifft kommt es natürlich darauf an was jemand damit verbindet: Eine Schlange ist ja auch nicht immer ein Penis – manchmal aber halt doch – aber auch Gift, Weisheit, Scharfblick, Kälte, Häutung, schnelles Davonhuschen…
    In der Bilderwelt von CGJung ist die Hexe der Negativaspekt von Weiblichkeit, bei Hänsel und Gretel eher der verschlingenden Weiblichkeit – die will ja ständig Kinder fressen. Aber Jung war etwas monoman in seinen Deutungen. Vielleicht verbindest Du ja Hexe mit ganz etwas anderem.

  29. Lajla:

    Ja stimmt, nicht zitiert. Auch für die Zuschauer der amerikanischen Kriegsschinken gilt erst recht, dass sie die Propaganda im Film nicht erkennen. Auch bei den amerikanischen Kriegsschinken gibt es Aufnahmen ( der Bildterror, siehe D Kammer)ist dabei nicht zu unterschätzen)und Akustik, die zu beachten wäre, fehlt aber bei Bürger.
    Der Sprung vom Liebesfilm zum Kriegsfilm erschließt sich mir eh nicht im Text.
    Auch schade, dass die Filmmusik von dem hervorragenden Francis Lai nicht in der Filmbetrachtung einbezogen wird, sie überhöht emotional beeindruckend.

  30. Michael Engelbrecht:

    Leni R. hat – egal wie innovativ in der reinen Ästhetik ihr Schaffen war – ja auch bereitwillig für die Propagandamaschinerie der Nazis abgeliefert. Es war Goebbels und Co ein reines Vergnügen, was sie da auf der Leinwand serviert bekamen.

    Ich zitiere Benedikt Schäfer:

    „Dokument des Reichsparteitags 1934“, soll Triumph des Willens die Vergegenwärtigung eines realen, starken Erlebnisses von nationaler Bedeutung sein. Der Film sollte zu einem „Neuerlebnis“ werden und zwar zum Neuerlebnis jener Begeisterung, die angeblich auf dem Reichsparteitag zu erleben war. Sein tragendes Prinzip ist das Prinzip der Wiederholung.

    Die nationalsozialistische Ideologie wird dabei subtil vorgetragen: In der gezielten Auswahl blonder Jungen und Mädchen schlägt sich die nationalsozialistische Rassenkunde. Die streng geometrische Anordnung der Massen auf dem Parteitagsgelände veranschaulicht die soziale Gleichstellung, die angeblich innerhalb der so genannten Volksgemeinschaft erreicht wird.

    Zugleich führt der Film immer wieder die Identifikation Hitler mit der Volksgemeinschaft vor. In der Darstellung der Frauen betont Riefenstahl Mütterlichkeit und Hingebung an den Führer. Das nationalsozialistische Modekonzept (lange Röcke, Haarknoten, Zöpfe) wird nachhaltig gestützt.
    (…) Riefenstahls Film ist Propaganda, auch wenn er sich als „Dokument“ ausgibt.

    Zitat Ende.

  31. Martina Weber:

    Uschi: Die Veränderung von Bildern in der Erinnerung interessiert mich sehr. Ich dachte schnell daran und denke es immer noch, nachdem ich eine Nacht darüber geschlafen habe: Wofür die Hexe steht und was das veränderte Bild für mich bedeutet. Wenn auch mehrfach verschoben und vereinfacht, aber es ist ein klares und starkes Bild, das für etwas anderes steht. Danke!

  32. Ursula Mayr:

    Lajla: Verstehe ich recht, dass Du denkst P. Bürger hat die künstlerische Gestaltung der Filme und ihr manipulatives Potential nicht hinreichend miteinbezogen? Nun, er ist kein Kunstkritiker und kein Cineast, es hat ihm wohl genügt auf das hinzuweisen, worauf er hingewiesen hat und das ist schon viel. Dann wäre das Buch doppelt so dick geworden und da macht der Verlag nicht mit, da gibts Vorgaben mit der Seitenzahl, da gehts um Druckkosten – und Lagerkalkulationen und andere Sachzwänge, aber das nebenbei. Da wird man sehr gegängelt.

    Den Soundtrack in Love Story fand ich nicht so bemerkenswert sonst hätte ich ihn bemerkt, das etwas schwülstige Hauptmotiv natürlich ausgenommen, hat ja Andy Williams auch gleich besungen.

    Das Verbindende zwischen Liebes- und Kriegsfilm ist in meinem Beitrag, dass in manche Filmproduktionen von staatlicher Seite eingegriffen wird – ich weiss nicht inwieweit die Disney-Company da eine weisse Weste hat – und dass das bei manchen Filmen gar nicht nötig ist, weil die konservativen und reaktionären Werte so verinnerlicht sind dass das automatisch funktioniert und das Pentagon sich beruhigt zurücklehnen kann. Und das ist das wirklich Schlimme!

  33. Michael Engelbrecht:

    Der Soundtrack von Love Story: in der Tat zum Vergessen, ich habe ihn nämlich vergessen und mich gerade mal reingehört, reiner Schwulst. Typisch Hollywoodsche Gefühlsverstärker ohne doppelte Böden. Da waren Simon and Garfunkel in The Graduate schon viel funkelnder und vielschichtiger.

  34. Ursula Mayr:

    Wenn ein Soundtrack gut ist verstärkt er nicht die Gefühle bis alles davonschwimmt sondern schafft ein Stück Distanz und eröffnet dafür neue Räume zum Fühlen UND Denken. Das konnten Simon and Garfunkel gut. Kommt das Lied “ Mrs Robinson “ auch in der Reifeprüfung vor? Ich hatte immer den Eindruck da gehts um eine ganz andere Person. Vielleicht sogar Marylin Monroe. Das wäre dann eine geschickte Verknüpfung von zwei tragischen Frauenschicksalen.

  35. Michael Engelbrecht:

    In meiner Erinnerung: ja, es kommt vor. Aber ich irre mich lieber eine Weile als gleich den korrekten Erinnerungen nachzusteigen. Und The Graduate ist für mich ein Vier-Hüte-Film. Von Fünf.

    Auch dank des Soundtracks. Scarborough Fair, achachach, basiert auf einem alten Folksong, bekanntermassen. Aber erst dachte ich, den hätten sich die eher handzahmen Hippies aus dem Ärmel geschüttelt.

  36. Ursula Mayr:

    Nö, den gibts schon lange.

  37. Lajla:

    Leider setzt uns der Blog Grenzen. Inzwischen ist schon wieder soooo viel gepostet worden, dass ich nicht mal mit dem Lesen , geschweige denn mit den Antworten zu U s Kommentaren nachkomme. Aber eins will ich doch noch loswerden. Die amerikanische Vater-Sohn Beziehung ist schon eine andere als die deutsche, wo der Vater noch Respektperson ist, hingegen ist der amerikanische Vater eher Freund des Kindes. Die nationalen Mentalitäten sollten auch bei Filminterpretationen berücksichtigt werden.

  38. Ursula Mayr:

    Lajla, wenns bei mir Vanillepudding gibt, gibt’s Vanillepudding und nicht dann noch Himbeersosse und dann nochn Schlag Sahne drauf, weil Du da grad Appetit drauf hast. Und ich wollte über eine Vater-Sohn-Beziehung im Film sprechen, und nicht die Vater-Sohn-Dynamik in den Staaten generell reflektieren. Und dass in Deutschland der Vater Respektsperson ist, halte ich fürn Gerücht. Mit übler Verallgemeinerungstendenz.

  39. Lajla:

    “So close your eyes, you can close your eyes, its alright”.

    Mal James Taylor hören und ein bisschen weinen.

  40. Ursula Mayr:

    Gerne, wenn Du mir jetzt noch sagst worüber.

  41. Michael Engelbrecht:

    So ist das aber nun ein launiges Sich-Verzweigen über 40 (!) Kommentare geworden. Hänsel und Gretel, Traumtexte, das Pentagon und die Propaganda, die Fehlleistungen des Gedächtnisses, kleine Exkurse zu The Graduate und Filmmusik. Aber das Schönste von Allem, ein Happy End mit Vaterfiguren, Vanillepudding, ein paar Tränchen! Ist ja, fast hollywoodesk, je suis enchanté😊 und soviel HERZLICHKEIT 😅 „Gut, das wir hier nicht im Dunkeln munkeln, / Vielmehr im Hellen funkeln“.


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