Manafonistas

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Das obige Bild – wenn man es auf der grossen Leinwand sieht – entfaltet eine mythische Wucht, eine archetypische Wucht – was vermutlich dasselbe ist. Begleitender Soundtrack ist das fast kreischende Gebell von kämpfenden Hunden. Es zeigt den Priester Merrin bei Ausgrabungen im Irak, er steht gegenüber einer Statue des Dämons Pazuzu, ein Relikt aus der mesopotamischen Kultur; sie sind alte Erzfeinde, die erneute Begegnung mit ihm wird ihn später das Leben kosten. Ich nenne solche Szenen „Impacts“ – sie brennen sich unabhängig von der Qualität des Filmes sehr unmittelbar ins Unbewusste ein, etwa wie die Szene aus „Alien“ – als das fertig ausgebrütete Alienbaby die Bauchdecke eines bisher ahnungslosen Astronauten durchbricht, den es als Wirtskörper benutzt hat. Oder die ikonische Szene des Liebespaars am Kiel der Titanic, als Jack Rose das Fliegen lehrt, eine sexuelle Metapher. Oder das durch den Kosmos fliegende schwarze Brett in „Odyssee im Weltraum“, das ich immer etwas albern fand. Dergleichen sitzt fest. Hinter der Couch lauernd begegnet der zuhörende Therapeut diesen Bildern noch viele Male.

Der Plot des Films „Der Exorzist“ (USA, 1973) von William Friedkin ist bekannt: Der Exorzismus an einem besessenen jungen Mädchen durch zwei Priester,  die die strapaziöse Prozedur nicht überleben.

Der Film löste 1973 bei vielen – weiblichen – Zuschauern grosse Ängste aus, viele fürchteten sich nachts.

Nun ist das Ganze wohl kein Zufall: Die 70er Jahre waren das Jahrzehnt der zunehmend erstarkenden Frauenbewegung, bei der sich so mancher Mann gefragt haben mag, ob der Teufel in die Weiber gefahren sei. Demgemäss sind auch in den nachfolgenden zahlreichen Exorzismusfilmen minderer Qualität die besessenen Opfer überwiegend weiblich, oft junge Mädchen.

Im genannten Film ist es ein Teenie-Mädchen zu Beginn der Pubertät, stark gebunden an eine alleinerziehende Mutter, die in ihrer Arbeit aufgeht. Der Vater ist nicht präsent. Die „Besessenheit“ beginnt, als das Mädchen auf einer Party im Elternhaus im Nachthemd erscheint und auf den Boden pinkelt, also auf die unsaubere Seite des Lebens aufmerksam macht, vielleicht auch auf ihr Genitale.

Es gibt hier 2 Subtexte: Das Mädchen in seiner erwachenden Sexualität wird von der Mutter dämonisiert, die das Kuschelkind nicht verlieren möchte – die gesamte Filmhandlung kann also als Innenansicht des Geschehens und individuelle Psychose der Mutter gelesen werden. Dass Dämonen und Gespenster im Film oft abgespaltene und erwachende Sexualität in prüden Gesellschaften (viktorianische Spukschlösser als Topos des klassischen Gruselfilms) symbolisieren, ist nichts Neues – genial beschrieben in „The turning of the screw“ von Henry James. (Micha, hast Du das „Schloss des Schreckens“ schon gesehen?). Ebenso lassen fehlende Väter (die „broken families“ sind in vielen Alien-Filmen obligat, ich erinnere an E.T.) offenbar eine Lücke, in die Fremdes und Unheilbringendes eindringen kann. Oder ist etwa der Alien ein Zerrbild des Vaters in der vaterlosen Gesellschaft, der der Familie so fremd geworden ist wie ein Ausserirdischer?

Anyway: Filme spiegeln kollektive Ängste. Das besessene Mädchen verhält sich jedenfalls sexuell aggressiv, blasphemisch und vulgär, zieht alle Register des Grauens.

Die Angst des Mannes vor der Frau und seine Abwehrmanöver dagegen ist leider Fakt und Gegenstand vieler Mythen bis heute. Freie und selbstbestimmte Sexualität war eine der Forderungen des Feminismus, die Antwort des männlich dominierten Hollywood waren Filme mit besessenen Frauen, aggressiven Aliens sowie den neuen Filmheldinnen, die Qualen ausstehen mussten, weil sie männliche Domänen und Kampfplätze besetzt hatten, sie beherrschten Kampftechniken, Ninja-Künste und anderes Martial-Arts-Gefuchtel und werden pro Film unzählige Male verdroschen. Schlichte Gemüter fanden das gut – endlich Frauen als Helden und nicht nur als Dekor und „Screaming Ladies“. Aber verdroschen werden wollten wir eigentlich auch nicht, das hatten wir schon …

Der Teufel muss also ausgetrieben werden – 2 Priester (also Männer, denen man ebenfalls die Sexualität genommen hat – was, wie man sieht, ohnehin nicht funktioniert), versuchen den Dämon auszutreiben. Der betagte Merrin verstirbt dabei an einer Herzattacke. Der junge und unverbrauchte Pater Karras, an einer Schuldproblematik gegenüber seiner Mutter laborierend, macht unverdrossen weiter, um das inzwischen auch körperlich gefährdete Mädchen zu retten.

Und dann passiert etwas Merkwürdiges: In höchster Not fordert er den Dämon auf, das Mädchen zu verlassen und ihn zu besetzen – ganz der bis zum Tode opferbereite amerikanische Mann wie man ihn aus jedem Trivialfilm kennt und wie er einem jedesmal auf die Nerven geht. Der Dämon gehorcht ebenso überraschend wie unlogisch sofort, vermutlich hat er die Nase auch langsam voll von diesem Nullsummenspiel. Karras Gesicht verzerrt sich, die Augen ergrünen, seine Hände zucken nach dem Hals des Mädchens, um es zu töten. In einem letzten Aufbäumen des Guten in ihm stürzt er sich durch das geschlossene Fenster in den Tod, offenbar nicht fähig das in ihn Implantierte zu verstoffwechseln oder zu regulieren. Warum nicht? Es war nicht blosse Sexualität, die in ihn gefahren ist, es war zügellose weibliche Sexualität – damals noch schwer verdaubar und gefürchtet. (Nur Hypothese, vielleicht hat jemand ne andere Idee?). Zurück bleiben ein kleines weinendes Mädchen, eine über die Maßen erleichterte Mutter und 2 tote Männer. No sex, much crime. Der Dämon wartet geduldig auf das Sequel im Jahre 1977, in dem er wieder lostoben darf.

Erst gute 150 Jahre vorher wurde die letzte Hexe verbrannt. In vielen Ländern, in denen Frauen verhüllt und eingesperrt werden, herrscht diese Angst des Mannes noch heute. Evas Fluch war wohl das Begehren, das sie mit ihrem Körper im Mann zu erwecken fähig war, der sich gerne als das dominierende und kontrollierende Geschlecht gesehen hätte. Und doch merken musste, wie abhängig ihn dieses Begehren von den minderwertigen Frauen machte („Den ganzen Frühling hindurch lauf ich wie ein Zombie durch die Gegend wenn die Mädels so wenig anhaben. Da kommt man zu nix anderem mehr!“, erklärte mir einmal ein missgestimmter Vierzehnjähriger im ersten Triebschub). Schicksal des starken Geschlechts. Zombiefilme kamen dann auch zuhauf.

Der Koran bezeichnet demgemäss die Frauen als die zügelloseren und dauererregten Geschöpfe, die in Schach gehalten werden müssen. Eine geniale Form der Projektion, wenn‘s nicht so hundsgemein wäre. Dabei dürfte es in islamischen Gesellschaften mit ihren Kinderehen, Zwangsverheiratungen, Verhütungsverboten und Dauerschwangerschaften mit dem Begehren der Ehefrauen nicht so weit her sein, vermutlich herrscht eher der Zustand einer Duldungsstarre in den Schlafgemächern. Auch das eine Kränkung des islamischen Mannes, die man irgendwie ins Gegenteil verkehren muss. Somit wäre das Feld der Sexualität ein Feld der Demütigung für den Mann, hätte er es nicht so trefflich verstanden alles umzufunktionieren – aber ich komme ins Plaudern. Auf jeden Fall hat er ordentlich was losgetreten, der Friedkin.

Vielleicht waren es eher alle diese Botschaften, die unsere Kommilitoninnen seinerzeit nicht schlafen liessen – und nicht bloss ein Erbsensuppe spuckendes Mädchen.

Impacts …!

This entry was posted on Montag, 18. April 2022 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

14 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Impacts – indeed! Ich habe vor einiger Zeit „Schloss des Schreckens“ gesehen, und ja, Deborah Kerr ist eine Schau!

    Was mich damals am „Exorzisten“ am meisten erstaunte – ich sah den Film erst später mal, so heiss war ich da nicht drauf – war, dass Michael Oldfields im Grunde ganz und gar nicht unheimliche Musik darin funktionierte – ich bin ziemlich sicher, dass die Musik für den Film hergenommen wurde, und nicht für ihn geschrieben wurde.

    Ich selber habe eine Schwäche für die besseren unter den lesbischen Vampirfilmen (ja, die gibt es) – da bin ich merkwürdig empfänglich für den Sog der Erregung. Ich werde dir demnächst Harry Kümels DVD „Daughters of Darkness“ zusenden, der mich richtig „geflasht“ hat – wofür mir mancher wohl gleich drei Sitzungen auf der Psychocouch verordnen würde …

    😂

    Ich bin so froh, dass an mir die Ängste vor weiblicher Sexualität vorüber gegangen sind (ausserhalb vor bestimmten Frauen in lesbischen Vampirfilmen – angesiedelt zwischen betörender Lust und feinem Erschauern) – meine drei amour fous hatten andere Bruchstellen meiner Wenigkeit getriggert. Trapped by beauty …

  2. Ursula Mayr:

    Ja, da bist Du offenbar recht frei davon. Ich habe während des Studentenlebens schon festgestellt, dass trotz aller lautstarken Forderungen nach freier Sexualität oft grosse Ängste bestanden, auch gekoppelt mit Bindungsangst, und dieser Anspruch eigentlich nur gewährleistete, dass man jederzeit wieder ausbüchsen konnte, wenn zuviel Nähe entstand. Waren die Frauen auch nicht frei davon.

  3. Littlejack:

    Interessant – Film als Spiegel der gesellschaftlichen Situation. Werde ich jetzt drauf achten. Vor allem was derzeit gespiegelt wird.

  4. ijb:

    @Littlejack:

    „Film als Spiegel der gesellschaftlichen Situation.“ Die Bewusstmachung dessen, was in Filmen über die gesellschaftliche Situation „gespiegelt“ wird, ist ja Inhalt jeder guten bzw. jeder nicht an der Oberfläche bleibenden Filmanalyse.

    Einen exzellenten Job in dieser Hinsicht – zu vergegenwärtigen, was „derzeit gespiegelt wird“ im (Mainstream-)Kino (und manchmal auch in Streaming-Produktionen) – macht Wolfgang M. Schmitt auf seinem YouTube-Kanal „Die Filmanalyse“.
    Manch eine/r missversteht seine Arbeit gerne als Filmkritik – wobei sich nicht ignorieren lässt, dass er mit – auf fundierter Analyse basierten kritischen Schlussfolgerungen nicht hinterm Berg hält, sowohl positive wie negative Beispiele hervorhebend – siehe hierzu seine sehr treffende Zusammenfassung der jüngst oscarnominierten Filme.

    Auch wenn ich seine Ansichten bzw. seine Schlussfolgerungen nicht immer vollständig teile, kann ich doch eine ganze Reihe seine sehr informativen und blickschulenden Analysen nachdrücklich empfehlen, zumal er auch gerne mal fachkundiges Hintergrundwissen über die (deutsche) Film- und Förderungslandschaft integriert (siehe „Fabian“ vs. „Felix Krull“).

    Oft geht es bei ihm darum, welche Ideologien die Filme (oder Serien) transportieren, siehe etwa seine in die Tiefe gehenden Beiträge zu Squid Game, Don’t Look Up oder Licorice Pizza.

    Auch Humor ist ihm keineswegs ein Fremdwort, siehe seine Analyse von Til-Schweiger-Produktionen hier, hier oder hier.

  5. Martina Weber:

    Was für ein vielschichtig reflektierender Text, Ursula, den Friedkin bei dir losgetreten hat.

    Ich habe vor einigen Jahren auf einem Kurzfilmfestival einen Film über einen Exorzismus gesehen, eine Teufelsaustreibung an einer jungen Frau oder eher an einer Jugendlichen, durch einen Priester, irgendwo im ländlichen England England wahrscheinlich Ende 18. oder frühes 19. Jahrhundert und basierte wahrscheinlich auf einer wahren Gegebenheit, was mir am Ende des Films nochmal einen weiteren Schauer über den Rücken ziehen ließ. Tatsächlich hatte mich dieser Film von allen Festivalfilmen am meisten beeindruckt, weil er die existenziellsten Themen berührte.

  6. Ursula Mayr:

    Als Michael und ich in Würzburg studierten wurde ganz in der Nähe ein Exorzismus an einem jungen Mädchen in Klingenberg am Main durchgeführt, das Mädchen (Anneliese Michel) starb daran weil kein Arzt hinzugezogen wurde. Infos im Netz, auch die Tonaufnahmen können nachgehört werden, es unterscheidet sich in nichts von der Stimme des Dämons aus dem Film, man braucht gute Nerven.

    Es existiert ein Spielfilm dazu, sehr empfehlenswert und nicht effekthascherisch grausig.

  7. Ursula Mayr:

    REQUIEM (D,2006) von Hans Christian Schmid mit Sandra Hüller.

  8. Ursula Mayr:

    Und bei den Originalaufnahmen konnte man feststellen dass der Teufel fränkisch spricht!

  9. Littlejack:

    Danke! Schau ich heute Abend …

  10. Littlejack:

    Ich meinte ijb. Aber REQUIEM klingt auch gut.

  11. Lajla:

    Also ich komme nach wie vor mit deinen Verallgemeinerungen nicht gut klar. Ich nehme mal den letzten Abschnitt als Beispiel:

    “ … mit dem Begehren der Ehefrauen nicht so weit her sein, vermutlich herrscht eher der Zustand einer Duldungsstarre in den Schlafgemachen … .“

    Während meines Einsatzes in Damaskus konnte ich guten Einblick in die arabische Gesellschaft erhalten. Die syrische Frau kann genauso begehren und ist begehrenswert für den Mann. Dass es dort Unterdrückung der Frau gibt, ist klar, die gibt’s auch hier auf meiner Insel. Das ist die Ausnahme. Die Erotik ist versteckt, wie die Haare unterm Kopftuch. Als Vorspiel tanzt häufig die Frau für den Mann. Auf den Hochzeiten finden neckische Spielchen statt, die die Hochzeitsnacht vorbereiten. Die Frauen verführen mit ihren schönen Kleidern, ihren Haaren und besonders mit ihrem Duft nach Jasmin oder der Dameszener Rose. Sehr sinnlich das Ganze.

  12. Michael Engelbrecht:

    Es ist immer eine breite Palette, aber genauso wie es erfüllte Erotik gibt, gibt es die Unterdrückung. Und je weiter man in der Zeit zurückgeht, gar nicht so weit, und oft ist heute noch die Erniedrigung an der Tages- und Nachtordnung, nicht zuletzt in muslimische Ländern.

    Als Pep Guardiola, der Supertrainer, mal durch Katar spazierte, erzählte er allen interessierten Journalisten, dass es ganz wunderbar zugehe in Katar, er habe keinen einzigen gepeinigten Arbeiter gesehen. Auau.

    Die Mechanismen der sexuellen Unterdrückung, und der Inbesitznahme des Weiblichen, breiteten sich stets über ein weites Spektrum aus, von der kompletten Verhüllung bis zum „Ehrenmord“.

    Und zurück ins Katholische: was da an repressiver Sexualmoral herrschte, über Jahrzehnte, bis heute die gesammelten Früchte des Zolibats, oft als gerechte Prüfung und „Stachel im Fleisch“ masochistisch glorifiziert – ogottogott! Nein, das sind keine Verallgemeinerungen, das sind leidvolle Muster in traurig grosser Zahl.

  13. Ursula Mayr:

    Es gibt immer beides. Mir ist auch eine Araberin bekannt, emanzipiert und fortschrittlich, die Kopftuch trägt und abends enthüllt sie dann ihr Haar, das nur ihr Mann sehen darf. Da wird das Instrument der Unterdrückung zum Utensil einer erotischen lustvollen Inszenierung und Enthüllungsszenarien.

    Aber es gibt auch die muslimische Frau vielleicht aus ärmlicherem und bildungsfernem Milieu, vielleicht schon als 12-jährige verheiratet (oder später zwangsverheiratet) und vergewaltigt, körperlich verbraucht und mit 6 Kindern am Bein mit der Aussicht auf weitere. Ich glaube nicht, dass in letzterer noch das grosse Feuer der Leidenschaft brennt und sie Lust auf Tänze hat. Die gibt’s halt auch und vermutlich viele davon, aber vermutlich warst Du bei denen nicht zu Gast. Somit, Lajla, reden wir meistens einfach von verschiedenen Schichtpopulationen.

  14. Lajla:

    Wir hatten zwei Tage Sturm, deswegen kein Internet. Also, here we go: ich konnte 30 Jahre auf Staatskasse durch die Welt reisen und hatte mich stets für die inneren Welten der Länder bzw. Bevölkerung interessiert. Mich faszinierten die Reichen und mich bedrückten die ärmlich Erbärmlichen. Und ich bin sicher, dass keine Frau der Welt, die sechs Kinder geboren hat, noch große Lust auf Vorspiel hat. Übrigens bravourös von Baerbock, wie sie sich – auch als Mutter – politisch einbringt.


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