Manafonistas

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2022 15 Mrz

Alltag in dunkler Zeit

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 2 Comments

 

Das sind Zeiten. Angesichts des fortschreitenden Dramas, das Russland in der Ukraine anrichtet, erleben wir das Geschehen  um Covid hierzulande als nicht sooooo dramatisch. Man muss nur morgens Spiegel-Online lesen, oder The Guardian, oder die SZ, oder die TAZ, und weiss, welcher Terror im Osten Europas weiter herrscht. Aber für sich betrachtet – ganz unabhängig von der „Relativitätstheorie des Unglücks“ (derzufolge es immer andere gibt, die in einer weitaus schrecklicheren Situation leben) – ist die Covid-Lage absolut nicht harmlos und die neue Gesetzgebung ein „zahnloser Tiger“. Der Expertenrat der Bundesregierung hatte schon vor einiger Zeit darauf hingewiesen, dass Omikron zu Personalengpässen im Gesundheitswesen führen könne: „Jeder, der es hätte wissen wollen, hätte es wissen können – wenn er sie gelesen hätte.“ Die stets wohltuende, weil smarte und mit einem Blick aufs Ganze ausgestattete, Virologin Melanie Brinkmann sagte mit Blick auf die FDP: „Das gilt ganz klar auch für eine Partei, die das nicht so gern wahrhaben möchte und die Pandemie lieber für beendet erklären möchte.“ Das mit dem kleinen Freedom Day traut sich die FDP nun doch nicht – wäre ja auch zu absurd! Melanie Brinkmann nannte es richtig, dass in den Bundesländern für die nächsten zwei Wochen noch Übergangsregeln und damit die bisherigen Schutzmaßnahmen in Kraft sind. Sie äußerte zugleich Zweifel, dass diese zwei Wochen ausreichten. Diese Zweifel äussere ich auch. Ich warte schon freudig auf den Tag, wo mir an der Kasse im Supermarkt hinter mir ein unmaskierter Vollpfosten auf einen halben Meter an mich ranrückt, um seine Bananen auf das Rollband der Kasse zu legen. Gestern ein Blick in die Fussballstadien genügte auch, um sicher zu sein, dass die Zahl der Idioten im Lande niemals zu unterschätzen ist. Aber die Sonnenblumenöle und das Mehl hamstern, das haben die Spinner hierzulande locker im Repertoire. Resilienzfestigende Faktoren: nur einmal am Tag die aktuelle Nachrichtenlage verfolgen, Gelassenheitsübungen, Entspannungstraining, antidepressive (massvoll einzusetzende) „coping strategies“ wie Wandern, Marihuana, und Psychotherapie, ein Blick zu den Vorsokratikern (Stoiker, Epikuräer), positiver Eskapismus (Bücher und Musik, die Gegenwelten öffnen, uns wunderbar abtauchen lassen, andere Horizonte öffnen), italienische Koch- und Backrezepte, auf keinen Fall Richard Wagner oder Helene Fischer hören, schwarzer Humor – und ab und zu (unter Abwägung des jeweiligen Kontexts von Notwehr) das Faustrecht der Prairie.

 

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2 Comments

  1. Chrissie:

    Tja! Hätte man das alles vorher wissen können?

    Ich empfehle den Film Contagion von Steven Soderbergh. In den USA bricht eine tödliche Pandemie aus, scheinbar aus Fernost stammend, erst hustet alles, dann wird gestorben, Krankenhäuser sind überlastet, Panik, Hamsterkäufe, Verschwörungstheorien, Verkauf homöopathischer Heilmittel, Versuch Impfstoffe zu entwickeln und jeder versucht seinen Reibach zu machen. Virus wird erforscht, kommt in Schweinen und Fledermäusen vor. Am Ende war der Erstüberträger ein Flughund. Film ist von 2011.

  2. Michael Engelbrecht:

    Sowieso meine These, dass das weite Feld von DYSTOPIAN / POSTAPOCALYPTIC von Film bis Literatur immer mehr unter SOCIAL REALISM einzusortieren ist.


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