Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2021 23 Nov

Eine grosse Nachtmusik

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 5 Comments

 

Sunn O))) haben auch eine wunderbare Platte mit Scott Walker gemacht, zum Beispiel. Die natürlich nicht jeder wunderbar findet. Ihre Besessenheit für Lautstärke ist bekannt, ihre Maxime lautet „Maximale Lautstärke bringt maximale Ergebnisse“. So ein Satz ist natürlich grosser Quatsch, wenn man ihn ausserhalb dieses grossartigen Duos platziert, aber bei einem Meisterstück wie „Life Metal“ macht er Sinn.

Einige Manafonisten haben in ihren Jahresrückblicken eine Rubrik kreiert, die „Wiederentdeckt“ lautet. Beim Stöbern im Archiv für meine Radionacht im Dezember habe ich nun diese gar nicht so alte Platte auch irgendwie wiederentdeckt, sie berauscht mich, sie beglückt mich, ich kann sie gar nicht genug preisen. Leider scheint sich kein passender Ort für sie in meinen fünf Nachtwachen zu finden, schade! Steve Albini produziert gerne laute Bands, und hier, auf diesem Opus magnum, enthüllt die Lautstärke feinste Nuancen, Ablagerungen, Feinheiten.

Die  vier Stücke von „Life Metal“ eignen sich am besten dazu, einen Raum zu erobern, einen Ort zu füllen, der so massiv ist wie der Klang selbst. Alles vibriert. In einer Zeit, in der wir so viele Medien in einem scheinbar mikroskopischen Maßstab erleben, von Ohrstöpseln bis zu Smartphone-Bildschirmen, nimmt „Life Metal“ einen großen Raum ein, in dem wahnwitzge Klangwellen, die tatsächliche Decken zum Einstürzen bringen, irgendwie zu einer erholsamen Hörerfahrung werden. Wellness der anderen Art!

Je nachdem, was man braucht, ist „Life Metal“ bei maximaler Lautstärke ein Schutzschild oder ein Umhang, eine zeitgemäße Übung, um sich entweder von der Außenwelt zurückzuziehen, oder ihr, ohne mit der Wimper zu zucken,  die Stirn zu bieten. Das Album gehört zu meiner Kampf- und „Resilienz“-Ausrüstung. Das mag „over the top“ klingen, ist aber mein heidnischer Ernst. Macht mich seelenruhig und zugleich euphorisch, schüttet Serotonine aus. Und, Überraschung, all das funktioniert auch auf guten Kopfhörern!

This entry was posted on Dienstag, 23. November 2021 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

5 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Product information, continued:

    SUNN O))) co-founders Stephen O’Malley and Greg Anderson set out on a path toward a new album production for Life Metal. Following pre-production sessions as a trio with T.O.S. on Moog at Dave Grohl’s 606 Studios in Northridge, California, in July 2018, SUNN O))) spent just over two weeks in Chicago at Electrical Audio (Studio A) with Steve Albini at the helm.

    The results are astounding: there is breadth and luminosity of colour, it sounds vast. The sessions were impeccably recorded, authentically represented and completely accurate. The spectrum cracked the firmament open in clarity. An all analogue technique was used, they recorded and mixed on tape, providing a creative gateway for Sunn O))) to evolve their production methods into stronger, confident, performance based and a more logical executive process.

    The album was mastered and the lacquers cut from tape in October by SUNN O))) ally Matt Colton at Alchemy in London. The LP version is a AAA album, recorded and mixed on tape via a completely analogue production, from the input of the band’s amplifiers and the air coming off the speakers in front of the microphones to needle touching the pressed vinyl on your turntable.

    Life Metal features guest contributions from composer/musician/vocalist Hildur Guðnadóttir (Múm, Pan Sonic, Angel), longtime friend Tim Midyett (Silkworm, Bottomless Pit, Mint Mile), and composer Anthony Pateras,.
    Dark matter is reality.

    The album is wrapped in amazing, Renaissance style paintings by visual artist Samantha Keely Smith, and bold, imaginative photography from Ronald Dick. Housed in a Stoughton old-style tip-on jacket w/ wrap around OBI.

    Tracklist:
    01. Between Sleipnir’s Breaths
    02. Troubled Air
    03. Aurora
    04. Novæ

  2. Chrissie:

    Ist das der Scott Walker aus den späten Sechzigern, den ich von meinen älteren Geschwistern kenne? Wunderbare sonore Stimme ( In my room hörte ich gerne, wenn auch etwas melodramatisch) die sich anscheinend bis heute erhalten hat. Farmer in the City – ungebrochener Wohlklang, aber etwas zu getragen – sakral, wieder leicht melodramatisch. Aber hat was.

  3. Michael Engelbrecht:

    Genau der Chrissie. Hier mein Blogeintrag aus dem Jahre 2013:

    Einer der grossartigsten Songschreiber und Sänger auf dem Planeten kam vor Tagen auf der Nordseeinsel Sylt an, die allenthalben berühmt ist als Reiseziel flüchtiger, sehr flüchtiger oder auch vom ewigen Sternenstaub geküsster Berühmtheiten. Keine Frage, als diese Information zu mir durchdrang, mit einem Interviewangebot jenseits der Tagesaktualität, liess ich mich von den fernen Bergen locken, und trat die lange Reise in den hohen Norden an.

    Scott Walker wird hier natürlich nicht so leicht erkannt wie der 86-jährige Rudi Gutendorf, Erfinder des Rudi-Riegels in den Sechzigern, oder andere deutsche Promis aus der Show-, Schauspieler- und Fussballwelt. Und wer weiss schon, dass auch bei wildem Londoner Regen Scotts besonderes äusseres Kennzeichen, neben der ewig schon hageren Gestalt, seine schwarze Sonnenbrille ist, die es an Insider-Kultcharakter fast schon aufnehmen kann mit der Ray-Charles-Sonnenbrille.

    Ganz in schwarz gekleidet, trafen wir uns zu einem ersten Gespräch am späten Nachmittag am Samoa-Restaurant hinter Rantum. Windschutz (fürs Mikrofon) nützt hier bei starken ablandigen Winden herzlich wenig, aber es ist ja auch ein Exklusivauftrag für eine englische Zeitschrift, die in Zukunft zwölf britischen Legenden, die allesamt die 60 schon überschritten haben, essentielle Aussagen über „kreative Strategien des Songschreibens“ und „Zukunftsorganisation“ entlocken will. Interessanter Auftrag. Ich habe viele Interviews mit Scott W. gelesen, ich liebe den Grossteil seiner Soloalben (bei soviel Schwärze mag „lieben“ ein kühnes Wort sein, doch ich bleibe dabei), speziell „The Drift“ und „Bish Bosch“ zählen für mich zu den einsamen Sternstunden der jüngeren Musikhistorie.

    Am Strand, und Tags drauf am Roten Kliff, sprachen wir über Paul Celan, Elvis Presley, schwarzen Humor, Zeitreisen, Tony Blair, Eremitenleben, Ego-Illusionen, Schiffbrüchige (es gibt hier einen Friedhof für Schiffbrüchige!), Lieblingsromane der Jugendzeit, Peter Handke (er kam darauf), The Beatles (ich kam darauf), wieso gewisse Musiker schon mit 30 ihr Spätwerk ins Auge fassen, wieso man die letzten Alben von Johnny Cash auch grandios finden kann, wenn man kein Anhänger des Alten Testaments ist, wie manche Filmsequenzen sich in Songpassagen spiegeln etc. – die Zeit verging im dunklen Fluge. Ich sah Scott allerdings öfter schmunzeln und lächeln als ich erwartet hatte. Zum Beispiel beim Eiergrog, den er noch nie getrunken hatte.

    Am letzten Abend gingen wir in sein Ferienhaus, gar nicht so weit weg von der „Kupferkanne“, einem pitoresk gelegenen Gasthaus, das kulinarisch gern überschätzt wird (der Kaffee aus der eigenen Rösterei ist nicht so beeindruckend), er hatte den Raum mit Meerblick in ein Musikzimmer verwandelt , ich baute das Studiomikrofon auf, und er spielte dann, guitar and vocals only („only“ ist gut, liebe Leserinnen und Leser:)) – und dann ereignet sich das umwerfendste Erlebnis meiner Musikjournalistenlaufbahn, eine unfassbare, verfremdete, neuartige, Gänsehaut ohne Unterlass produzierende, Version, was sag ich, Neuerfindung, seines Hits „The Sun Ain’t Gonna Shine Anymore“. Für die letzte Ausgabe meiner Nachtsendung „Klanghorizonte“, die ja über kurz oder lang mal im Deutschlandfunk stattfinden wird. Etwas anders als in den Märchen geht es am Ende wahrer Geschichten zu, das dürfte eine Binsenweisheit sein.

  4. Chrissie:

    Das war ja dann wohl eine Jahrhundertbegegnung. Wobei ich The sun…..immer etwas platt fand, das dürstet geradezu nach einem musikalisch anspruchsvollerem Gewand.
    Ich fand Scott und John Walker immer wesentlich viriler als die anderen Bands, die von der Musik her grandios waren , z. B. die Kinks oder the Who, denen man aber beim Singen nicht in die Milchgesichter gucken konnte. Da konnte ich die Groupies nicht verstehen. Die Walkers hatten mehr Testosteron. Soviel zum weiblichen Blick in der Kunst.

  5. Michael Engelbrecht:

    Keine Jahrhundertbegegnung. All humans. Verehrung ist mir fremd. Natürlich ist es ungemein fesselnd, so viele (manche) musikalische „Helden“ der frühen Jahre in reality zu treffen. Zum Glück wurde ich so gut wie nie enttäuscht. Just normal people with a gift, as we all are.

    Wenn ich jemals jemand auf einen Sockel gestellt habe, dann waren das die eine und andere woman in my life – und die Rechnung bekam ich stets, the fool on the hill-bill. (Trapped by beauty)

    Scott Walkers Stimme gehört normal nicht zu den Stimmlagen, die mich bezaubern können… aber seine Lieder schafften es, besonders die Spätwerke.

    Always love The Kinks. Als ich sie früh in den Neunzigern in London sah, war die Verbindung mit den frühen Teenagerjahren schnell geschnürt: 90 Minuten Schauer, den Rücken rauf und runter, Wirbel für Wirbel. Einmal interviewte ich Ray Davies. Das Gespräch ging nicht in die Tiefe, die Musik der Kinks schafft das dafür noch immer … deep shit. Soviel meinem „männlichen“ Blick / Ohr geschuldet.


Manafonistas | Impressum | Kontakt | Datenschutz