Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2021 14 Okt

„Wind Catcher“

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 1 Comment

Bei manchen Büchern, von denen ich mich direkt angesprochen und mitgenommen fühle (und jede Seite ohne Übertreibung ihre Trance bereithält), ist es so, dass sie zwei gegensätzliche Tempi des Lesens vertragen, das Verschlingen (Durchrauschen), und die Zeitlupe. So ergeht es mir bei „The Hurdy Gurdy Man“ von Donovan: ich habe die langsame Variante gewählt, das Lesen von Kapitel zu Kapitel (und manches Kapitel über Tage nachwirken lassen, bis zur nächsten gut dosierten Reise).

Der alte Schotte kommt mir vor wie ein deutlich älterer Bruder, der mir von einem parallel verlaufenden Leben erzählt. Ohne jede blödsinnige Verehrungsgeste meinerseits, einfach so. Für Gänsehaut pur sorgten die letzten zwei Absätze des Kapitels vom „Windfänger“, und ich dachte hinterher an mein kurzes grosses Verliebtsein in Inge Urban, nein, Bertram (so hiess sie damals, ggf. auch Ingrid, Ingrid Bertram): ein Lagerfeuer im Süden von Dortmund, akustische Gitarrenklänge (vielleicht Moustaki),  und wie ich mich, mehr als einen Hauch unerfüllt in meiner Sehnsucht, noch stumm, ohne Geständnis meines Gefühls, zudem ein wenig trunken vom billigen Lambrusco, in die warme Asche neben die Glut gleiten liess, hinein in einen süssen Schmerz auf warmem Waldboden.

Immer mehr geriet Don in den Bann von Alice, die zwei Jahre älter war als der Rest der „beats“ (Hippies nannten sie sich scheinbar noch nicht, Inge war auch zwei Jahre älter als ich, mit siebzehn ein himmelweiter Unterschied), die einen Sommer lang (1963) an der Küste von Devon vagabundierten. Es war wohl gegenseitig, an diesem Abend ging es mit dem kleinen Boot hinaus aufs Meer, blind für die Strömung, die ihnen die Rückkehr verwehrte. Seltsam furchtlos planten sie, ans Land zurück zu schwimmen, Alice erzählte von ihrer dünnen Haut, die es unmöglich mache zu ertrinken. Schliesslich wurden sie von einem Kutter an Bord genommen.

Donovan lässt an bestimmten Stellen seiner Lebensgeschichte Songzeilen (meist eigene) aufscheinen, die den jeweiligen Moment illuminieren (und tanzen lassen) – hier rutscht ihm, als er und Alice in der Nacht zum ersten Mal miteinander schlafen, ein Satz raus, der nicht eingerückt wird, vielmehr Teil des natürlichen Erzählflusses bleibt (also anscheinend, trotz eines Reimes, aus keinem Song stammt – ich las den Satz sofort wieder, und noch einmal, und sang ihn leise vor mich hin).

Ich habe das Buch gerade nicht zur Hand, weshalb dieser letztlich schlichte (mich so berührende) Satz nicht herbeigezaubert werden kann. Auf jeden Fall unterdrückte ich den Wunsch, zu den zwei Fotoblöcken des Buches vorzublättern, denn ich war mir sicher, dass diese Liebe Jahre dauern, und ein, zwei Bilder mindestens hinterliesse.

Alice und Don zogen dann wirklich los, ins Unbekannte (jetzt wohl trampend), und wurden Tage später von der Polizei ausfindig gemacht. Die Granny von Alice hatte eine Vermisstenanzeige auf den Weg gebracht, es ging alles sehr schnell. Ein weiteres Auto hielt am Strassenrand, in dem ein sogenannter „Onkel“  von Alice war, der sich nun aber (kein Scheiss, offensichtlich ein junger Onkel, und faktisch überhaupt kein Onkel) als ihr Verlobter entpuppte. Fast wäre es noch zu einem Handgemenge gekommen, und Donovan verprügelt worden. Er sollte sie nie wiedersehen. (Tage nach dem Lagerfeuer, und nach dem Zusammenraffen von genug Mut, erklärte Inge mir, in ihrem kleinen Zimmer, nahe dem „Bunker“, dass sie meine Gefühle nicht erwidere. Fair enough.)

Es wird die Stelle kommen, in dieser  allerfeinsten Autobiographie, in der erstmals ein Lied aus „Wear Your Love Like Heaven“ auftauchen wird, die vor ein paar Jahren zu meiner Donovan-Lieblingsplatte wurde: ich werde sie auflegen – ein Fest, eine erstklassige Tiefentrance. Mit 33 Umdrehungen pro Minute in eine andere, eigene Welt. Brimming with life. (Nachtrag: der angesprochene Satz findet sich auf Seite 69 der Taschenbuchausgabe: „That night love came easy and love came slow, as only lovers know.“) 

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1 Comment

  1. Michael Engelbrecht:

    https://www.audaud.com/donovan-wear-your-love-like-heaven-speakers-corner/

    http://www.theaudiobeat.com/music/donovan_wear_your_love_like_heaven_lp.htm

    Aftermath:

    On an island like Amrum, in a remote forest area (you can always find quiet places in the biggest holiday resorts), it’s easy to complete your desert island collection. Some time ago, I found a Speakers Corner reissue of an album from the summer of love, and, to my own surprise, though not containing any of his great hits, „Wear Your Love Like Heaven“ immediately turned to my favourite Donovan album. And I really own some of his lovingly eccentric deliveries of hope, peace and shangrilas. Helas! When the album came out, our folkie from the Scottish hinterland had stopped drugs and turned to meditation. (Many years later, drone master Thomas Köner hugely admired the Rick Rubin-produced „Sutras“, in a time when Donovan became a footnote in the memory of the 60‘s.) Someone who got similarly impressed by this album, „could almost smell the patchouli incense wafting from his flower-draped recording studio.“ He had a real band playing behind him, harpsicord, B3 organ, bongos, acoustic guitar, flutes – and strings carefully dosed. What really catches me, draws me in everytime, above everything else, the nonchalance of his singing, all heartfelt, with an unashamed sense of optimism. He‘s „there“, in the moment, no cliche, and the songs are so painfully short, I always feel a shade of sadness when the fade-out is mercilessly ending an atmosphere. I would love diving into long, long jams of every single song and their stunning variety of moods of naivety, innocence and yearning. This way, they never wear out their beauty.
    Ah, someone chose the other path: Don’s song, “There Is A Mountain” was famously covered by The Allman Brothers on their „Eat A Peach“-opus, “Mountain Jam”. 30 minutes only.


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