Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2021 10 Okt

Schwarze Tränen

von: Olaf Westfeld Filed under: Blog | TB | 8 Comments

Eine Frau verliert ihre Sprache, nachdem sie ansehen muss, wie Mann und Söhne zu Tode gefoltert werden. Ein Ölfilm überzieht die karge Landschaft, bildet einen stumpfen Spiegel für die tief hängenden Wolken. Öl und Feuer spritzen aus der Erde. Rauchschwaden, enorme Rauschschwaden färben den Himmel. Wasserfontänen, Feuerwehrmänner, Bombenkrater, Folterwerkzeuge. Riesige Silos liegen zerknickt zwischen anderen Trümmern auf dem Boden. Ein Junge weint schwarze Tränen. 

„Der Zusammenbruch der Sternenwelten wird sich – wie die Schöpfung – in grandioser Schönheit vollziehen.“ Das Zitat von Blaise Pascal leitet Werner Herzogs Film „Lektionen der Finsternis“ von 1992 ein. Herzog hatte hierfür das vom zweiten Golfkrieg gezeichnete Kuwait bereist. Die Bilder sind apokalyptisch, hypnotisch, erschütternd. Der Film wurde im kleinen Saal der Elbphilharmonie gezeigt, dazu spielten das Portico Quartet, unterstützt von drei Streichern, das Album „Terrain“. Diese Musik hatte für mich immer eine flüssige, traumhafte Atmosphäre; im Zusammenspiel mit den Bildern wurde sie düster, klaustrophobisch. Die Musiker hielten sich zurück, es gab keine irgendwie geartete Performance, die Bilder standen im Vordergrund (allerdings wirkten die Herren auf mich auch nicht wie ausgeprägte Rampensäue). Die Becken tanzten, der erste Einsatz einer Trommel ging durch Mark und Bein. Langer Applaus nach einer Stunde durchgehend gespielter Musik, eine Zugabe wäre nach diesem Trip unpassend gewesen. Auf dem Rückweg schwebten die kleinen roten Lichter durch die schwarze Nacht.

This entry was posted on Sonntag, 10. Oktober 2021 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

8 Comments

  1. Uli Koch:

    Was eine wunderbare Beschreibung Herzogfilm mit Portico Quartet Untermalung, kann mir gut vorstellen, wie die apokalyptischen Bilder dadurch noch einmal auf ein ganz anderes Niveau gehoben worden sind. Da wäre ich gerne dabei gewesen …

  2. Michael Engelbrecht:

    Es ist immer wieder spannend, wie gute Musik in andere Zusammenhängen funktioniert.

    TERRAIN gehört klar zu meinen Lieblingsjazzplatten des Jahres, den Begriff Jazz fassen wir mal etwas weiter. Hypnotisierend, nie ermüdend, und bei mir immer im Dunkeln spielend (allenfalls, und gerne, eine Kerze).

  3. Olaf Westfeld:

    Die knappe Stunde war re-creation im allerbesten Sinne – der Kopf war danach wieder frei von der ganzen Alltags- und Arbeitsschlacke die sich in den letzten Woche angesammelt hatte und zwar trotz der viereinhalb Stunden Hinfahrt. Die Rückfahrt hat dann zwei Stunden weniger gedauert. Nächstes mal fahr ich wieder mit dem Zug nach Hamburg.
    Terrain gehört bei mir zu den Lieblingsplatten des Jahres, läuft ständig – nachts und mit Kerzenschein probiere ich auch noch einmal aus.

  4. Martina Weber:

    Sehr intensive Schilderung, insbesondere der erste Satz, da scheint einiges am Rande des Ertragbaren gewesen zu sein. Ich kenne diesen Film von Herzog nicht. Ist es denn ein Film ohne Ton?

  5. Olaf Westfeld:

    Ich habe den Film nur am Samstag gesehen. Es scheint aber kaum Kommentare zu geben; hier und da gab es mal Untertitel, aber eher selten. Im Original läuft wohl auch viel Musik, aber eher Klassik: Grieg, Wagner, Pärt, u.a. Mehr:

    wikipedia.org / Lessons_of_Darkness

    Am Rande des Ertragbaren war es vielleicht nicht, aber schon intensiv und nahe gehend.

  6. Martina Weber:

    Falls die Folterszenen, die der erste Satz skizziert, in dem Film gezeigt werden, müsste das Zusehen schon am Rande des Ertragbaren sein.

    Von Werner Herzog hat mich der Film „Fata Morgana“ vor zwei Jahren sehr beeindruckt, ich habe hier auf dem Blog auch darüber geschrieben und empfohlen, den Film mit Herzogs Audiokommentar zu sehen:
    https://www.manafonistas.de/2018/10/17/bilder-wie-sie-nur-in-traeumen-moeglich-sind/

    Außerdem seine autobiographische Reiseerzählung „Vom Gehen im Eis“. Ein Text, der in die Schublade des nature writing passt. Hier mein Mana-text darüber:
    https://www.manafonistas.de/index.php?s=Herzog+Fata+Morgana

  7. Olaf Westfeld:

    Der Film besteht aus langen Einstellungen, ruhigen Bildern. Das Gesicht der Frau wird gezeigt, ihr Schicksal wurde in einem der seltenen Untertiteln geschildert. Erschütternd ist das aber schon, klar – es entstehen die Bilder im Kopf und Gesicht und Gestik der Frau sehe ich auch noch klar vor mir.
    Es scheint eine thematische Verbindung zwischen Lektionen der Finsternis und Fata Morgana zu geben, habe nur keine Ahnung welche – ich lese Deinen Text – danke.
    Diese Reiseerzählung habe ich vor ein paar Jahren mal gelesen, wollte sie auch unbedingt gut finden, wurde dann aber nicht richtig davon berührt.

  8. Lajla:

    Ich wäre auch gern in dieser Veranstaltung gewesen. Ich hätte aber auch gerne Werner Herzog gefragt, ob er mit diesen Schockern glaubt, etwas zu bewirken. Er ist ja sehr mutig aber auch ein bisschen spinnert bzw abergläubisch. Phänomenal sein Film über die bairische Glasbläserei, mit Schauspielern unter Hypnose. Was mich vor Kurzem wieder sehr für ihn eingenommen hat, ist seine Ablehnung zu einer Visite beim japanischen Kaiser. Herzog wollte lieber eine Genehmigung für ein Treffen mit diesem japanischen Soldaten, der 30 Jahre auf seine Ablösung gewartet hat. Der Kaiser bewilligte das Treffen. Herzog sitzt aktuell über diesem Thema.


Manafonistas | Impressum | Kontakt | Datenschutz