Die Geschichte des Rattenfängers von Hameln ist über die Grenzen der niedersächsischen Kleinstadt bekannt geworden. Mit bezirzenden Flötenklängen verführte er die Menge, lockte sie in die Irre, umspielte sie gewissermassen dumm und dusselig. In seiner Grundstruktur erinnert diese Geschichte an die heutige total-digitalisierte Medienwelt und man fragt sich oft als User, ob man Täter oder Opfer sei. Der Gebrauch des Smartphones mag als Beispiel gelten: dass in freier Landschaft telefonierende „Phonies“ den Eindruck hinterlassen, sie wären lunatics, mag zumindest den Altbewanderten so vorkommen. Der koreanische Philosoph Byung-Chul Han beleuchtete in seinem Buch Der Schwarm mit sezierender Genauigkeit die Problematik solcher Sachverhalte. Aber nicht nur die Gefahren einer medialen Überfrachtung sind gegeben, sondern auch die Verfälschung ihrer Inhalte. Jüngstes, lustig-peinliches Beispiel: ein Fernsehsender des öffentlichen-rechtlichen deutschen Fernsehens entfernte das Logo einer nicht genehmen Zeitung vom Mikro des Interviewers. Was wird ansonsten noch so vertuscht oder hinzugedichtet, hier und da? Man kann nur mutmassen und wie im Dschungel einst die Kobra, so lauert höchstwahrscheinlich hinter mancher Nachricht eine fake-news. Aber man soll sich nicht aufregen und um nicht ins Fahrwasser des ewig Gestrigen zu geraten, verweise ich auf die Medienwissenschaftlerin Miriam Meckel, die einmal sagte, sie würde das Digitale begrüssen und gleichzeitig kritisch sehen. Kommen wir aber nun, um das Hölzchen-und-Stöckchen-Spiel (eine meiner Spezialitäten) genüsslich weiterzutreiben, vom Rattenfang zur Rhythmusjagt. Wer kennt ihn nicht, den groove-hunter? Geboren im Adelsgeschlecht der Tänzer, das seine Wurzeln von Afrika aus in Länder und Kontinente wie Brasilien oder Nordamerika spriessen liess, ist er seit ehedem dem Diktum ergeben, dass alles Leben nicht nur Körper, sondern auch Rhythmus sei. So sagte beispielsweise ein brasilianischer Schriftsteller, nämlich der honorige Jorge Amado aus Bahia: wer nicht tanzen könne, müsse fusskrank sein. To be a Slave to the Rhythm, davon sang ja schon Grace Jones und sogar ein Album des Jazzdrummers Paul Motian hiess Dance. Auch unsereins scheint jede Menge Blut davon in seinen Adern zu haben, denn eine grosse Portion Extra-Funk war schon immer ein Zuschlag, den man sich gerne gefallen liess. Wenn in der Diskothek Maschinenhaus in Bremen einst in Jugendtagen – man fuhr dort vom Lande aus mit dem Moped hin – zwischen Stahlgerüsten Sklavenkörper tanzten, etwa zu „The Fez“ von Steely Dan, war die eine oder andere Jägerin des Grooves gewiss dabei. Und hopplahopp, nochmals ein Sprung über das Stöckchen: gestern abend entdeckte ich eine Home-Session mit dem Trompeter Alexander Sipiagin und seinen Mannen. Nicht, das ich jetzt ein Sipiagin-Jünger wäre, aber sein Werk war eine der musikalischen Entdeckungen dieses Jahres, wovon noch näher zu berichten sein wird. Zur Jazztrompete generell sei hinzugefügt: ich mag ein differenziertes Spiel mit klar umrissenen Tönen, ohne die expressiv-„schwammigen“ Ausbrüche, zu denen dieses Instrument allzu leicht verführt. Das Stück hat Groove, heisst „The Master Switch“ und wird vorgetragen von The Thieves Quartet.