Es war doch Weihnachten, wenn ich mich recht erinnere, dass viele vor dem Fernseher sassen, in der alten BRD und weltweit, a long, long time ago, um der live ausgestrahlten Premiere eines Beatles-Songs zu lauschen. Nun erinnere ich mich auch daran, dass „Love Is All You Need“ mich nicht gerade vom Stuhl haute, und sicher zu den schwächeren Songs des Quartetts aus Liverpool zählt. Weihnachtsbonus halt! Und den gibt es nun auch, auf einer Compilation aus dem Hause der Deutschen Grammofon Gesellschaft: Künstler zwischen Ambient und Neo-Klassik spüren programmatisch den Weihnachtsräumen ihrer Kindheit nach. Der herausragende Track dieses Werkes ist ein nahezu klassisches, neues Weihnachtslied der Eno-Brüder, das genauso eine Botschaft der Liebe zelebriert wie einst die Beatles. Keine subversive Lesart, kein Weihnachtsprotestlied. Und keine Angst vor Sentimentalität.
Dark in the world, our path is so uncertain
Stories once told, are not helping us through
When our days are done, we go behind the curtain
Will there be a place which is golden and new?
So beginnt das Lied, das von Brian Eno mit seiner mittlerweile tiefer gelegten Stimme hinreissend vorgetragen wird, und eine Bewegung von der Dunkelheit ans Licht beschreibt. Da seine Stimme zu meinen Lieblingsstimmen gehört, hätte ich mich auch gefreut, wenn er eine ganze Sammlung traditioneller Weihnachtslieder gesungen hätte, oder das berüchtigte Telefonbuch. Oder Elvis Costellos „New Year’s Model“ von 1977 neu intoniert hätte. Letzteres haben nun einige spanische Stimmen mit Bravour getätigt.
So eine Liebesbotschaft brauche ich auch nicht wirklich, aber das ist halt in der Weihnachtszeit so, und das haben die Beatles damals ganz ähnlich gehandhabt. Und, ja, „Wanting To Believe“ ist ein feiner Titel, den Brian als hin und wieder sich outender Atheist da gewählt hat. Vielleicht wechselt er gerade in mein Lager hinüber, das der Agnostiker. Klar, viele werden den Song superduperkitschig finden, ich erinnere mich an eine Mail von Jan und einen Kommentar von Uli.
Aber das mit dem Kitsch ist relativ relativ (das ist kein Doppler jetzt): das gerne allseits in den Himmel gehobene Abschiedswerk von Lyle Mays ist in meinen Ohren, bei allem Respekt für Mays, seine Vita, seine Widmung Richtung Eberhard, und die beteiligten Musiker, ein aber mal so heftig verzuckertes Opus von frappierend-virtuoser Banalität – Meilen und Meilen und Meilen entfernt von der Klasse von Seite 1 seines mit Pat Metheny geschaffenen Werkes „As Falls Wichita, So Falls Wichita Falls“. Eigentlich sollte letzteres damals ein Soloalbum von Lyle Mays werden, aber das Ego von Metheny funkte wohl dazwischen, wie ich mal gelesen habe. Das Album mit dem Telefonhörer auf dem Cover ist für mich sein wahres Vermächtnis, eine Sternstunde fürwahr. Man kann zu „As Wichita Falls, So Falls Wichita Falls“ (Seite 1, wie gesagt, die Grosskomposition, Seite 2 ist deutlich schwächer) immer wieder zurückkehren, und immer wieder wird man Neues, Unerwartetes entdecken.
Aber hier, bei dem Album „Eberhard“, was gibt es da, um Himmels Willen, für unerhörte Räume?! Da scheinen mir religiöse Menschen – resp. Mitglieder eines Fanclubs – ggf. ihren privaten Traum eines sanften Hinscheidens (oder einfach nur die Bewunderung für den Verstorbenen) hineinzuprojizieren, in all dieses säuselnde, schillernde, süsse Gewalle und Geraune. Als Besänftigung, akustisches Valium, taugt diese Musik unter gewissen Umständen schon. Und für Lyle Mays war die Arbeit und Fertigstellung des Albums zweifellos eine erfüllte Sterbebegleitung voller guter Geister, aber deshalb allein noch lang kein Kunstwerk von grosser Strahlkraft. Es gibt natürlich noch zwei andere Erklärungen für meine recht solitäre Wahrnehmung: als ich das Album hörte, könnten meine Ohren, psychoakustisch, eine desolate Tagesform gehabt haben, und mir sind vielleicht all die zahllosen magischen Details eines grossen Wurfes entgangen. Fair enough. Und die zweite: „de gustibus non est disputandum“.