Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2021 15 Jul

Für niemanden

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 1 Comment

 

„Es ist sonderbar, über so weite Entfernungen ein kurzes Telefonat zu führen, über einen einzigen Song, der Menschen seit so langer Zeit so viel bedeutet.“

 

Rickie Lee Jones: „Es war ein hartes Jahr im Hause Jones in dem Jahr, als „Revolver“ herauskam. Wir waren in einen neuen Schulbezirk gezogen, wofür ich dankbar war, aber mein Bruder war auf seinem Motorrad verstümmelt worden, mein Vater trank, und meine Mutter sass nur in der Küche wie eine Figur aus einem John Prine-Song, rauchte Zigaretten und überlegte, wie sie alle quälen könnte.“

 

„Das ist schrecklich.“

 

„Mein Zimmer war meine einzige Zuflucht. Es war nicht die Geographie des Bettes oder des Schrankes, die mich in Sicherheit brachte – es war der Plattenspieler. Ich spielte die ganze Nacht lang Beatles-Platten. Ich war in vielerlei Hinsicht immer noch ein kleines Mädchen. Ich spielte mit meiner Puppe, während ich diese Platte hörte, denn mein Leben nachzuspielen, das war die einzige Möglichkeit, mich von dem Stress zu befreien, meiner Sehnsucht einen Sinn zu geben und dem Gefängnis von so vielen Verboten, das das Leben für ein 12-jähriges Mädchen ist. Die Stimmen der Beatles waren also so nah an Gott dran, wie ich jemals kommen würde.“

 

Viele halten „Revolver“ für ein absolutes Meisterwerk, für mich gab es aber immer ein beträchtliches Gefälle zwischen einzelnen Songs. Ich liebe einzelne wie „For No One“ oder „Tomorrow Never Knows“, andere fand ich mittelmässig wie „Doctor Robert“ und „Taxman“. 

 

For No One“ ist ein größerer Song, als seine Funktion auf „Revolver“ ihm zubilligt, eine Brücke, die das große, beängstigende, psychedelische Ende von „Tomorrow Never Knows“ mit dem Rest der Platte verbindet. Es ist ein kurzes Aufatmen in einem Song, ein Luftverlust im Leben von jemandem. Ein leises Einatmen, die Art von Geräusch, das man versucht, nicht zu machen, wenn etwas Schreckliches enthüllt wurde.

 

Das ist eine sehr persönliche Wahrnehmung. Was aber haben wir sonst als persönliche Wahrnehmungen?! Für mich war es ein Stück Magie, in dem gelebtes Leben vor einem vorüberzieht, in Bildern, während das Leben noch absolut präsent ist, kein Rückblick in letzten Momenten. Aber der Song fügt einem auch eine Art Schmerz zu, einen ganz und gar unkitschigen melancholischen Schauer.“

 

„Wohl wahr! Während ich mir sicher war, dass dies das Territorium von Erwachsenenstreitigkeiten war, kam es mir nie in den Sinn, dass ich den Klang meines eigenen Lebens hörte, das nach Luft schnappte, als sich jede einzelne Sache, die ich festhielt, löste und von mir abfiel, als Folge des Unfalls meines Bruders. Ich wusste bereits, dass es Zeiten geben würde, in denen das Leben wie ein sich zurückziehender Traum erscheint. „For No One“ ist ein Diamant von einem Song, einfach und, ja, melancholisch.“

 

(Anmerkung: Rickie Lee Jones hat „For No One“ gecovert auf ihrem feinen Album voller Coverversionen, „It‘s Like This“. Ihre Memoiren sind sehr, sehr lesenswert: „Last Chance Texaco – Chronicles of an American Troubadour“)

 

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1 Comment

  1. Jochen:

    Maybe that’s why I listened so much to Rikkie Lee Jones records at a time, when for me my room was a sanctuary too. Chuck E, that stuff. Later on, Pop Pop was my favorite, a cover album with Robben Ford on acoustic guitar, and the world meanwhile had become friendly, inside and outside: things had changed.


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