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2021 9 Feb

Robert Wyatt in Dortmund

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 4 Comments

Wir hatten uns verabredet, zwei Freunde, und Ingrid Urban, die Frau, mit der ich die ersten Zungenküsse erforscht hatte. Marokko war von zuhause ausgezogen, zwei Strassen weiter, Singerhoffstrasse. Er gab mir ein paar Flugblätter, auf denen stand, dass Robert Wyatt im „Underground“ spielen würde. Wie bitte?! Robert Wyatt?! Ich musste sofort los. Eine riesige Wendeltreppe führte in eine unterirdische Kelleranlage, und ich staunte nicht schlecht, Alan Bangs, Windried Trenkler und Klaus Schäfer anzutreffen. – Alan Bangs, okay, Radio, Winfried, okay, Radio, aber wie kommst du hierhin, Klaus? Mein Klassenkamerad vom Max Planck. Ich kannte seine Vorlieben, The Byrds, Leonard Cohen, deshalb wunderte ich mich. Er lachte nur und sagte, Wyatt und seine Freunde würden ja nicht jedes Mal die Sterne vom Himmel rocken. Wie eine Raga, mal nehme sie gefangen, mal langweile sie, lasse jede Minute langsam vergehen. Soso. Ich kam aus dem Staunen nicht raus, und ging zu den „Bullaugen“, durch die ich auf eine Art See schauen konnte, von der die Musik zu uns herüberströmte. Es störte mich nicht, dass ich die Musiker gar nicht sah, es erklangen atemraubende Versionen von „Sea Song“ und „Last Straw“, die ich so noch nie gehört hatte. Zwischendurch fragte ich mich, wo der Saxofonist Gary Windo sei. Von Klaus bekam ich noch ein Papier in die Hand gedrückt, mit den gespielten Stücken. Man würde hier das Album „Rock Bottom“ erarbeiten. Ich war komplett absorbiert, und erwachte gegen 1.15 Uhr, nach der ersten Traumphase (R.E.M.). Ich machte mir einen Kakao, schmunzelte, und schreibe diese Zeilen mit dem Traumtext auf. Nichts ist ausgeschmückt, nichts erfunden. Winfried Trenkler habe ich nie persönlich getroffen. Aber ich sehe sie schon, die vielen dünnen Fäden in die Jugendzeit. Ich war noch ein Teenager, als ich „Rock Bottom“ in einem der zwei relevanten Dortmunder Plattenläden erstand. Von der älteren Lady, der blonden Chefin, Mitte 30, hätte ich mich gerne flachlegen lassen. Es wäre wohl des Guten zuviel gewesen. Blödsinn, es wäre grandios gewesen.

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4 Comments

  1. Jan Reetze:

    Ein schöner Musiktraum. Und mehr noch, dass jemand Gary Windo vermisst. Wirklich bekannt ist er ja nie geworden. Ich kenne ihn aus dem Kontext von Daevid Allens New York Gong, bei bem u.a. auch Bill Laswell dabei war; irgendwo im Regal fliegt noch eine 10”-Single namens “Jungle Windo(w)” von diesem Team herum. Lange her, das alles, und damals auch nur um drei Ecken herum zu bekommen.

  2. Michael Engelbrecht:

    Und ich habe jetzt, im nachhinein, nachgeschaut. Bei ROCK BOTTOM spielt er auf dem fünften Stück mit, ALFIE, Bassklarinette und Saxofon.

  3. Olaf (Ost):

    Der Dritte Track von Rock Bottom bezieht
    seine Sogwirkung zum großen Teil daraus, dass
    viele musikalische Schichten teils vorwärts,
    teils rückwärts abgespielt übereinandergelegt
    sind. Da auch die vocals mal so mal so herum
    zu hören sind, liegt der Gedanke nahe, dass
    der ganze Track erst im Nachhinein als oder
    durch Spielerei entstand.

    Wenn so ein Sound gewünscht ist, wird ja
    meist – mir jedenfalls oft so aufgefallen –
    die Stimme hinterher verstehbar draufgelegt.
    Aber die Wirkung ist hier ebenfalls
    phänomenal. Diese fast übersinnliche Dichte!
    Gesättigt von den Trompeten Jerichos.
    Ätherium Maximum.

    Auch wenn es manchmal braucht, bis solche
    Details ins Bewusstsein treten – bis dahin
    ist man einfach nur fasziniert.
    Zum Ende hin – Teufel! – Mike Oldfield und
    Genesis haben ihren Samen unter den
    Jungfrauen verstreut. Meine Herren! Was für
    eine Wall of Sound. Wie hieß nochmal das
    Märchen mit dem Grießbrei?

  4. Uwe Meilchen:

    Nun hat Oldfield ja auch mit Wyatt gespielt: Drury Lane Konzert zum Beispiel. Und eben auch mit Kevin Ayers. So schließen sich die Kreise …


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