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2021 31 Jan

Sie haben Knut

von: Martina Weber Filed under: Blog | TB | 10 Comments

Zeit, mal wieder auf ein anderes Medium zurückzugreifen, die Zeit noch weiter zu entschleunigen und die Filme auf den VHS-Videokassetten durchzuschauen. Sie haben Knut kam im Jahr 2002 wahrscheinlich nur in die kleinen Programmkinos, lief irgendwann im Fernsehen und spielt im Winter 1983 in einem geräumigen Holzhaus in den österreichischen Alpen und in einem Skigebiet. Ein Paar in den Zwanzigern, sie sind seit acht Jahren zusammen, möchte hier ein ruhiges Wochenende verbringen, unerwartet trifft ein Teil des Freundeskreises des Bruders der Frau dazu, während der Bruder der Frau, Knut, auf sich warten lässt. Der Film bietet Zeitgeist 1983 pur: Politische Diskussionen, Abstimmungen, Zurechtweisungen im Namen der Gruppendynamik, heimliche Bewunderungen, Offenbarungen und typische  Redewendungen wie „Ich habe einen Anschlag auf dich vor“, ein Satz, den ich wirklich lang nicht mehr gehört habe. (Für die später Geborenen: Der Satz leitete eine mehr oder weniger aufwändig zu erfüllende Bitte ein.) Natürlich ist auch ein charismatischer Gitarrenspieler dabei, einmal entsteht eine spontane Musiksession der Gruppe. Zwei sehr unterschiedliche Jungs, elf und 14 Jahre, sind mit von der Partie. Ein wunderbar authentischer und in jeder Sekunde glaubhafter Film mit starken Nostalgieeffekten, die zu Lachausbrüchen führen können.

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10 Comments

  1. Jan Reetze:

    Klingt sehenswert. Den Spruch allerdings, ein Attentat auf jemanden vorzuhaben, den kenne ich schon aus meiner Kindheit, und die war in den Sechzigern. Hat also nichts mit dem Terror der RAF zu tun.

  2. ijb:

    „Sie haben Knut“ entstand in den Jahren, als ich fast täglich als Assistent von Rosa von Praunheim an der Filmhochschule (heute Filmuniversität) Potsdam zugange war, als Debütfilm von Stefan Krohmer in Zusammenarbeit mit Drehbuchautor Daniel Nocke. Die beiden haben seit ihrem jeweiligen Abschluss (in LB bzw. Potsdam) eine große Anzahl sehenswerter Fernseh- und Kinofilme verantwortet, vorwiegend gemeinsam, teils aber auch unabhängig voneinander. Es lohnt sich, ihr Schaffen eingehender zu betrachten.

  3. Martina Weber:

    Von Stefan Krohmer kenne ich sonst nur noch „Sommer ’04“, ein klasse Film. Ich werde mich nach weiteren Filmen in der Richtung umschauen.

  4. ijb:

    Diesen hier fand ich z.B. sehr gelungen.

    Auch der „Dutschke“-Film war sehenswert.

    Meist sind die Filme eher unspektakulär und legen größeren Wert auf Figurenzeichnung und Dialoge/Dialogführung als auf markante Geschichten; daher lesen sich die Handlungszusammenfassungen häufig wenig spannend.

  5. Martina Weber:

    Tatsächlich hatte ich vorhin etwas recherchiert, aber bei Handlungszusammenfassungen nur maximal fünf Sätze gelesen, um ein Gefühl fürs Thema eines Films zu bekommen. Bei „Sie haben Knut“ hat mir sehr der zeithistorische Aspekt gefallen. Ich habe den Film schon mehrmals gesehen, jedesmal mit jahrelangem Abstand, und er gefällt mir immer besser oder immer anders. Vielleicht wäre der Dutschke-Film etwas für mich… ich schau mal.

  6. Martina Weber:

    @ Jan: Ich kenne den Spruch „Ich habe einen Anschlag auf dich vor“ nur aus den 80ern. Die Variante mit dem Attentat habe ich nie gehört. So oder so wäre der Satz heutzutage einfach nicht mehr politisch korrekt. „Wir haben Knut“ zeigt, in welcher Welt wir mal gelebt haben (auch wenn ich jünger bin als die Protagonisten; ich kannte solche Charaktere eher von fern) und wie sich die gesellschaftlichen Werte verändert haben. Ich wäre gespannt, was du zu dem Film sagst, falls es dir gelingt, ihn zu sehen.

  7. Lajla:

    Ingo, hast du tatsächlich mit Rosa zusammen gearbeitet? Seine frühen Filme: Bettwurst I/II sind bis heute meine liebsten lustigen deutschen Filme. Unvergesslich Dietmar Kracht in der Hauptrolle. Was macht Rosa von Praunheim jetzt? Filmt er noch?

  8. Jan Reetze:

    Ich sehe gerade, dass Amazon US die DVD sogar hat, aber 27 Dollar möchte ich dafür dann doch nicht ausgeben …

    Und na ja, Martina, den Attentat-/Anschlag-Spruch würde ich auch heute noch so auffassen, wie er früher mal gemeint war. Wir müssen nicht alles auf politische Korrektheit überprüfen – das tun schon andere.

  9. Martina Weber:

    Nee, das ist unverhältnismäßig. Ich habe gerade auf youtube geschaut, ob es etwas gibt, zum Hineinschauen, aber da gibt es nichts.

  10. ijb:

    In der Tat ja; ich habe, kurz nachdem ich nach Berlin gezogen war, zweieinhalb Jahre lang Rosa bei allen möglichen Projekten assistiert, Drehbucharbeit, Assistenztätigkeiten bei verschiedenen Filmen und vor allem habe ich einige Zeit seine damals neu begonnene Professur an der HFF Potsdam organisiert, d.h. ich war sozusagen eingeschmuggelter Regiestudent an der HFF, bevor ich dann selbst Regie an der Berliner Filmhochschule bzw. -akademie studierte. Da habe ich dann alle möglichen Seminare und Veranstaltungen organisiert, die er machen wollte, Verhandlungen mit den anderen Professoren usw. in die Wege geleitet und auch diverse andere Projekte mit einer Reihe von damals jungen Studenten gemacht, u.a. waren wir im September 2001 mit Rosa und „seiner“ damaligen Klasse (erster Regiejahrgang, zu dem damals heute etablierte Regisseure wie Robert Thalheim und Dietrich Brüggemann gehörten) einen Monat lang in Hollywood, wo Rosa die Student/innen Kurzfilme drehen ließ. Am 4. September sind wir hingereist, d.h. wir waren direkt auch am 11. September in den Vereinigten Staaten.

    Es ist lange her… Damals meinte Rosa, er bräuchte jemanden, der ihm helfe, seine ganzen Sachen im Kopf zu behalten, und so habe ich dann tatsächlich eine ganze Menge Sachen für ihn übernommen, war auch drei Jahrgänge lang in der Aufnahme-Kommission für die Regiebewerber/innen und im Boot, so dass ich damals viel vor meinem eigentlichen Studium lernen konnte.

    Rosa ist jetzt 78, und er macht noch immer Dokumentar- und Spielfilme, aber es ist eine Weile her, seit ich ihn getroffen oder gesprochen habe.


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