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2021 21 Dez

Lieblingsmusik 2021

von: ijb Filed under: Blog | TB | Tags:  15 Comments

Kleine Vorrede: Tatsächlich gab bzw. gibt es 2021 eigentlich kein Album, das mich so überwältigend begeistert hat wie meine jeweiligen Vorjahres-Favoriten, also (bislang) kein „Fünf Sterne“-Album. Daher ist Low als  „Nummer 1“-Album zumindest ein klein wenig irreführend; da ich keine einzelne herausragende 2021-Lieblingsplatte habe – aber alle meine „Top 10“-Alben finde ich im Grunde genommen gleich gut und gleich markant als „Meine Lieblingsmusik 2021“. Brandi Carlile habe ich durch ihr Duett auf Elton Johns neuem Album entdeckt, und ihr neues Album hat ein wunderbares Siebziger-Jahre-Flair, passt ganz wunderbar als classic songwriting auf halber Strecke zwischen Elton John und Joni Mitchell. Die beiden in diesem Jahr entdeckten Alben, die mich mehr als alle anderen zu „fünf Sternen“ verleiten, sind zum einen Deradoorians Find The Sun, das genau genommen schon 2020 erschien, ich aber damals nicht gehört habe, und die auf zwei Vinyl-Scheiben veröffentlichten 6 Stücke von (Sam) Barker, dessen Album Utility 2019 eines meiner Favoriten war; auch hier stammt der erste Teil dieser beiden EPs genau genommen aus dem Vorjahr, wurde nur 2021 gemeinsam mit dem zweiten Teil noch einmal veröffentlicht. 

Besonders verweisen möchte ich auch noch auf die drei sehr guten Alben von/mit Moor Mother (Brass, Black Encyclopedia of the Air, Irreversible Entanglements), auf  Dawn Richards sehr spannende LP Second Line und vor allem auch auf das neue Talking-Heads- äh Parquet-Courts-Album Sympathy for Life. Aus dem deutschsprachigen Bereich habe ich 2021 wohl nur eine Band häufiger gehört: International Music, angeregt durch Jan „Tocotronic“ Müllers monatlichen „Reflektor“-Podcast, in dem er in die (Diskografie-)Tiefe gehende Gespräche mit unterschiedlichen Musiker*innen und Bands aus dem deutschsprachigen Raum präsentiert. Das erste Album von International Music, Die besten Jahre, (seit) 2019 eines der meistgelobten deutschen Rockalben, habe ich mir daraufhin mit Verspätung gekauft, zusammen mit dem Nachfolger Ententraum – beides vielseitige, eigenwillige Doppelalben deutschsprachiger Rockmusik. 

Bei ECM gab es 2021 erstaunlich wenige Alben, die mich dauerhaft gefesselt haben. Vijay Iyers neues Trio hat mich live sehr überzeugt, so dass ich das Album Uneasy danach noch einmal mit frischen Ohren hörte; und tatsächlich ist hier das Album (für ECM-Verhältnisse) ungewöhnlich nah am Live-Erlebnis, so dass ich es vielleicht als Favorit wählen würde. Auf Ayumi Tanakas CD und die neue Aufnahme von Kim Kashkashian mit dem Parker Quartet bin ich sehr gespannt (von den beiden verspreche ich mir sehr viel), habe die aber bis jetzt noch nicht, wie überhaupt eine Mehrzahl der ECM-CDs der zweiten Jahreshälfte. Am besten/nachhaltigsten gefällt mir neben Uneasy wohl Sinikkas Langelands Wolf Rune. Neu erworben habe ich gerade letzte Woche eine ambitionierte gemeinsame neue 5-CD-Box von den ECM-Urgesteinen Dave Liebman und Richie Beirach, Empathy; allerdings noch nicht durchdrungen. Gleiches gilt für das auf Jochens Tipp hin gekaufte neue, abendfüllende Album von Dave HollandAnother Land.

 

 

Alben:

 

01. Deradoorian: Find The Sun

01. Barker: 001/002

01. Low: Hey What

02. Little Simz: Sometimes I might be Introvert  

03. Microcorps: XMIT

04. Vladislav Delay: Rakka II

05. Dry Cleaning: New Long Leg

06. Self Esteem: Prioritise Pleasure*

07. Wadada Leo Smith, Jack DeJohnette & Vijay IyerA Love Sonnet for Billie Holiday

08. The Weather Station: Ignorance 

09. Suuns: The Witness 

10. Anthony Joseph: The Rich Are Only Defeated When Running for Their Lives 

11. Eivind Aarset 4tet: Phantasmagoria 

12. Brandi Carlile: In These Silent Days  

13. Anna B Savage: A Common Turn 

14. Black Country, New Road: For The First Time

15. Idles: Crawler

16. Allison Russell: Outside Child

17. Valerie June: The Moon and Stars

18. L’Rain: Fatigue

19. Lucinda Williams: Bob’s Back Pages: A Night Of Bob Dylan Songs

20. Rival Consoles: Overflow

bonus album: I’ll Be Your Mirror – A Tribute to The Velvet Underground & Nico

 

*Prioritise Pleasure is a richly compelling album. It’s also a big, glorious pop record, the sort that Taylor hinted at back in the days of her former band Slow Club’s Complete Surrender. Yet it’s also a vitally important album: a record that could be a feminist manifesto all on its own. It fuses the pop genius of the likes of Rihanna or Taylor Swift with the searing rage of early ‘90s Riot Grrrl. And you’re never entirely sure where it’s going, it has that thrilling quality of nearly coming off the rails at any second, before pulling back and correcting course just in time. […]

Prioritise Pleasure is an album that should win end of year polls, Brit Awards and Mercury nominations. But, more importantly than that, it’s an album to inspire your daughters and educate your sons with. It’s the album of Rebecca Taylor’s career, and surely quite comfortably the best record that will be released in 2021. (zitiert von MusicOMH, außerdem: Album of the Year at The Guardian)

 

außer Konkurrenz:

 

Can: Live in Stuttgart 1975

Bruce Springsteen & E Street Band: The Legendary 1979 No Nukes Concerts

Nick Cave and the Bad Seeds: B-Sides & Rarities Part II

Mika Vainio: Last Live 

Bob Dylan: Springtime in New York (1980-1985)

 

 

Filme, Serien, Mehrteiler:

 

01. The Father (dir. Florian Zeller)

02. Nomadland (dir. Chloé Zhao)

03. Annette (dir. Leos Carax)

04. Bir Başkadır (dir. Berkun Oya, Netflix)

05. Höllental (R: Marie Wilke, ZDF)

06. Der Rausch (dir. Thomas Vinterberg)

07. En Thérapie (dir. Eric Toledano & Olivier Nakache, arte)

08. Fabian oder Der Gang vor die Hunde (R: Dominik Graf)

09. Ammonite (dir. Francis Lee)

10. Sex Education – Season 3 (Laurie Nunn, Ben Taylor etc. / Netflix)

11. Minari (dir. Lee Isaac Chung)

12. Sörensen hat Angst (R: Bjarne Mädel, NDR)

13. Hinter den Schlagzeilen(R: Daniel Sager)

14. Titane (dir. Julia Ducournau)

15. Das Haus am Hang (dir. Yukihiro Morigaki, arte)

[Ein paar aktuelle Filme stehen für die kommenden Tage noch auf der Tagesordnung; Liste kann sich also u.U. noch verbessern.]

 

Alte Neu- und Wiederentdeckungen (chronologisch, ohne Wertung):

 

01. Masayoshi Sukita: David Bowie by Sukita

02. Peter Gabriel: (viertes Soloalbum + englische „TV-Doku“ von 1982)

03. Stereolab: Electrically Possessed (Switched On Vol.4)

04. Gallo Family Vineyards //  Dark Horse Zinfandel California

05. Margaret (written and directed by Kenneth Lonergan, Extended Cut)

06. Steven Wilson: Insurgentes (2008)

07. The Raveonettes: Pretty In Black (2005)

08. Annette Peacock: X-Dreams (1978)

09. Einstürzende Neubauten: ½ Mensch (1985)

10. Nina Simone: The Montreux Years (1968-1990)

11. John Scofield Trio: Out Like A Light (1981/83)

12. Kris Davis: Capricorn Cumber (2013) / Safe your Breath (2015)

13. Schlippenbach Trio: Bauhaus Dessau (Intakt Records 2009)

 

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15 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Ein Quartett, okay.

    Ab und zu sich auf die schönstespannendstefaszinerendste Musik zu besinnen, die uns in diesem nächsten verrückten Jahr begegnet, scheint mir eine gute Patience zu sein.

  2. Olaf Westfeld:

    „In Therapie“ war ich auch den ganzen Februar lang – sehr gut!

  3. ijb:

    Olaf, netter Zufall. Ich hatte der Serie erst keine Beachtung geschenkt, als ich sie im Arte-Angebot sah, dachte, das wäre wieder einfach eine der eher vernachlässigbaren, typisch fernsehhaften Produktionen, die man sich getrost sparen kann. Dann erwähnte ein sehr guter (drehbuchschreibender) Freund, dass etliche seiner Mitmenschen (inkl. Leuten, die dem Thema nicht fachfremd sind) äußerst positiv über die Produktion gesprochen hätten. Als ich am selben Abend der Sache eine Chance ohne allzu große Erwartungen gab, war ich sofort beeindruckt von der exzellenten Qualität von Drehbuch und Inszenierung.

    Erst später habe ich herausgefunden, dass die Macher für große, unterhaltsame Mainstreamkino-Produktionen (freilich mit gesellschaftspolitischen Zügen) bekannt sind – und dass es sich um ein Remake einer knapp 15 Jahre alten Erfolgsserie aus Israel handelt (und bereits glamouröse Remakes u.a. in den Vereinigten Staaten erfahren hat).

    Wir haben die Serie ziemlich flink durchgeschaut, und auch wenn ich skeptisch war, ob diese Verdichtung auf 20- bis 25-minütige Therapiestunden und auf teils überdramatisierten Einzelgeschichten nicht irgendwann ins Übertriebene kippen würde (und das Thema islamistischer Terror in Paris kommt ja auch noch oben drauf), hat das bis zum Schluss ein geradezu meisterhaftes Niveau gehalten. Extrem berührend, durchweg famos verdichtet geschrieben und gespielt. Ich hatte bei jede Folge eine Neigung, das Gesehene gleich noch einmal anzuschauen und drehbuch- und regiemäßig zu studieren, so hervorragend habe ich die Dialogführung und Inszenierung erlebt. So zu verdichten und dennoch authentisch zu bleiben: Chapeau. Klar weiß man, wenn man auch nur ein wenig Ahnung hat, dass es in der Realität nicht so abläuft, aber das kann man ja bei allen Filmen einwenden, schließlich hatten die Macher eine unterhaltsame Geschichte und keine Dokumentation im Sinn. Echte Polizisten können keine „Tatort“-Kommissare anschauen, Ärzte und Krankenpfleger/innen rennen protestierend von Krankenhaus-Serien weg, und schon die Mafia hat sich mehr von „Der Pate“ abgeschaut als Coppola von realen Mafiosi.

    Ohne die vorigen „Therapie“-Varianten aus anderen Ländern gesehen zu haben, kann ich mir sehr gut vorstellen, dass – ähnlich wie bei anderen „Remakes“ – die französischen Macher die vorigen Versionen studiert haben und entsprechende Schwachpunkte ausgebügelt haben (wie gesagt: ich mutmaße). Es ist ja immer einfacher, die Schwächen von bereits bestehendem Material zu identifizieren und zu verbessern, als von Grund auf etwas Exzellentes zu erfinden.

  4. Olaf Westfeld:

    Flink durchschauen konnte ich die Serie nicht, nach zwei, drei Folgen war ich immer ein bisschen ermüdet (meine Frau hätte allerdings gerne mehr am Stück gesehen). Aber ja, ein Meisterwerk. Wie die Themen einiger Dialoge von Folge zu Folge variierten und fortgeführt wurden hat mir auch Lust gemacht, einiges noch einmal zu schauen (Innen vs. Außen, Vorstellungen/ Vorstellungswelten und ihre Bedeutung). Dazu die Großaufnahmen der Gesichter..

  5. ijb:

    Noch eine sehenswerte ARD-Produktion: Der „Polizeiruf“ (diesen Link besser nicht lesen, wenn man den Film noch schauen will; da wird gleich im zweiten Absatz quasi die gesamte Handlung verraten) vom letzten Wochenende mit Luise Heyer in der Haupt- und Titelrolle „Sabine“. Sehr düster und sozialpolitisch, also nichts für Krimi-Puristen (der Krimi-Plot ist wohl auch die „Schwachstelle“ der Produktion, ist hier fast schon Subplot).

    Weitere potenziell sehenswerte Fernsehproduktionen im aktuellen Monat:

    Jackpot (ARD),

    „Die Toten von Marnow (ARD)“ (vom Drehbuch-„Star“ Holger Karsten Schmidt)
     
    und von vielen Seiten wurde mir bereits „Sörensen hat Angst“ nachdrücklich empfohlen.

  6. Jochen:

    @Ingo

    Gute Tipps, danke.

  7. ijb:

    Jackpot“ haben wir gestern gesehen. Sehr sehenswertes, nüchternes, gewissermaßen klassisches Genrestück von Regisseurin Emily Atef (Absolventin der DFFB, die bislang vor allem durch psychologische Dramen um Frauenfiguren aufgefallen ist („Das Fremde in mir“ z.B.; „3 Tage in Quiberon“ war ihr größter Erfolg bislang, 7 deutsche Filmpreise, habe ich aber nicht gesehen).

    Fun Fact: Emily Atefs Bruder ist Musiker und hat auch schon auf ECM veröffentlicht.

  8. Jochen:

    „Die Toten von Marnow“ fand ich absolut grossartig.

    Steht amerikanischen Serien (Fargo, Ozark etc) in nichts nach.

  9. Michael Engelbrecht:

    Jetzt bin ich mittendrin. Die Toten von Marnow. Sehr, sehr gut. Bitte mehr davon, made in Germany.

  10. Olaf Westfeld:

    „Annette“ würde ich gerne noch im Kino schauen, mal sehen was da zwischen den Jahren noch geht. Und das Low Album… läuft mir vielleicht auch noch übern Weg, die beiden vorher gehörten Lieder hatten mich irgendwie nicht so richtig erwischt. Im Gegensatz zu den Anthony Johnson Stücken – mal sehen. Hier drehen sich erst einmal ein paar gebrauchte ECM LPs und das neue Jeff Parker Album – wenn die ganze Vorbereitung es zulässt, also vielleicht auch erst zwischen den Jahren.

  11. ijb:

    Olaf, die vorab veröffentlichten „Songs“ aus dem Low-Album fand ich ehrlich gesagt auch nicht so überwältigend – muss aber sagen, dass sie (zumindest Days like these auch nicht zu den stärksten der Platte gehören, darüber hinaus aber im Albumkontext erst richtig zur Geltung kommen. Das ganze Album ist wirklich eher so eine Art „Suite“ oder „Trip“ – mit krassen Kontrasten, und dann funktioniert auch ein Stück wie Days like these, das als einzelnes eigentlich gar kein richtiger Song ist, richtig gut.

    Über das neue Parker-Album habe ich auch sehr Gutes gelesen und werde es irgendwann mal bei guter Gelegenheit besorgen. Welche gebrauchten ECM-LPs hast du denn zur Hand? Ich hab mir gerade die heruntergekommene LP Rubisa Patrol gekauft.

  12. Michael Engelbrecht:

    „Gebrauchte ECM-Platten“ – aus alter Zeit, und noch spielbar, NAN MADOL von Edward Vesala, war letzte Woche im Einsatz, das beste Album von den finnischen Trommler in meinen Ohren.

    Und, a propos Rubisa Patrol, mein Art Lande-Favorit ist wie eh und je das Duo-Album mit Garbarek.

    LOW, das neue Album, fantastisch, nachts im Dunkeln, von vorne bis hinten hören. Gerne auch head phone tripping.

  13. Olaf Westfeld:

    Ja – „Days like these“ hatte mir nicht so richtig Lust auf mehr gemacht, mal sehen, wann eine gute Gelegenheit für das Low Album kommt.
    Im 2nd Fach standen „Dolmen Music“, „Wichita Falls“ und „Matchbook“ – Preisleistungsverhältnis schien zu stimmen, das Vinyl sieht gut aus, habe aber noch nicht reingehört. Und dann stehen noch „Cycles“ und vor allem „Northern Song“ direkt neben dem Plattenspieler.

  14. ijb:

    Zu „Dolmen Music“ empfehle ich dieses kurze Dokumentarfilm-Portrait als Einführung; Zitat Meredith Monk: „I believe that it is the best documentary that has ever been made about my work. (…) It is beautiful both visually and musically. I am overjoyed and profoundly grateful to you.“

  15. Olaf Westfeld:

    Danke für den Hinweis. Hatte das Portrait schon gesehen, aber ein Wiedersehen macht vor dem Hören bestimmt Sinn.


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