Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2020 31 Dez

Ein Klassiker aus den Kindertagen von Surround

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Comments off

 

Ich kenne eine Intelektuelle mit mittlerweile wohl  silbergrauem Haar, die auf die gleiche Schule wie Florian und Ralf ging. Man kannte sich vom Raucherzimmer, wilden Erkrather Zeiten und Abenden mit selbstgebastelten Lightshows und billigem Lambrusco aus dem Kiosk um die Ecke. Ein Fan von Kraftwerk  war sie nie. Sie schwärmte von den, ich komme nicht auf den Namen, Brummelburgischen Konzerten oder so, und sagte  den Jungs: „Ich bleibe bei Perücken-Jo. Hört euch das mal an, in Surround! Das sind  Sechs Konzerte, sechs Raumverschiebungen. Im BMW 1046 sitzt das Orchester vor dem Hörer, von hinten kommt nur das Ambiente der Akustik der Gönninger Barockkirche. Im BMW 1047 sitzt der Hörer im Orchester, im BMW 1048 hat er die Violinen links, die Celli rechts und die Bratschen vor sich. In den Konzerten 1049 und 1050 hat die Tontechnik das Orchester hinter den Hörer platziert, die Solisten davor, während im letzten der sechs Werke die Solobratschen vorne und hinten sitzen, die anderen Instrumente seitlich. Der Klang ist bestechend, auch im Bass, völlig unverfälscht. So natürlich sollte Musik eigentlich immer klingen, ob sie nun von rundherum oder nur von vorne kommt. Oder von oben, vom Himmel her.“ Sie nannte die Einzelwerke mit ihrem eigenen Humor BMW’s, weil sie das Hochgezüchtete, den Zahlenturbo,  in der Musik von Perücken-Jo mochte. Sie schrieb auch öfter Ballettkritiken, und so kam ich zu meinen ersten  und einzigen Ballettbesuchen. Zum Glück ging es da wenigstens experimentell zu, was bedeutete, dass hier und da die Musik lockte.  Eno, Gilberto, Tucker. Irgendwann spielten wir, leicht bekifft, das Spiel „Beatles oder Stones“, und ich erntete mehr als einen  schrägen Blick, als ich mich bei  „Jo oder Jo“ für Jonathan Richman entschied. Und gegen Perücken-Jo. Sie schickte mir drei Fragezeichen in einer ansonsten verstummten Spruchblase. Ernst jetzt????! „Huberta, in Jonathans Musik gibt es eine elementare Lebensfreude. Beim Korsettstangen-Seb fehlt mir der Hüftschwung.“ Dann sang ich ihr einen Song des Asphaltpoeten vor, „I love hot nights“. Ich träumte von einem billigen Wein aus einen Kiosk um die Ecke. Ich wollte ihr  meine Jonathan Richman-Sammlung zeigen, denn sie war damals eine echt scharfe Braut. Ein Plattenteller, der sich die ganze Nacht dreht.  Es klappte. Um solche Stunden, die nie zuendegehen mögen geht es doch im Leben. 

This entry was posted on Donnerstag, 31. Dezember 2020 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

Sorry, the comment form is closed at this time.


Manafonistas | Impressum | Kontakt | Datenschutz