In der Straße, in der ich wohne, wird gerade ein Teil eines Films gedreht. Vergangene Woche fiel mir eine kleine Menschentraube vor einem Nachbarhaus auf. Ein Teil des Teams, ansonsten Schaulustige. Als ich in einem großen Bogen, um nicht zu stören, mit dem Rad vorbeifuhr, sah ich einen Schauspieler auf einer Bank vor einem Nachbarhaus sitzen. Normalerweise befindet sich dort keine Bank. Es gab auch zwei Graffitis an der Hauswand. Kann aber sein, dass die vorher schon dort waren. Die Leute stehen auf ihren Balkonen oder bleiben vor der Haustür stehen und schauen zu. Ein Security-Mann in schwarzem Overall bat Umherstehende darum, sich zu entfernen oder nach Hause zu gehen. Heute drehen sie wohl auch an dem Park hier, in dem es einen großen Sandstein-Brunnen mit Figuren aus altgriechischen Sagen gibt. An einem Wohnwagen steht der Titel des Films: Funkstille. Ein Tatort. Ich bin keineswegs ein ausgeprägter Krimifan; ich wüsste noch nicht einmal, ob ich mir die Funkstille mit Aufnahmen aus dieser Straße ansehen würde. Vor vielen Jahren war ich Mitarbeiterin einer wissenschaftlichen Arbeitsgruppe an einem Forschungsinstitut. Wir trafen uns Donnerstag Nachmittags, um die vom Leiter der Gruppe ausgewählten wissenschaftlichen Aufsätze zu diskutieren und über unsere Arbeiten zu sprechen. Zu Beginn des Treffens fing M, der Gruppenleiter, immer ein Gespräch über den Tatort vom Sonntag an; er diskutierte den Tatort regelrecht durch. Als ich neu in die Gruppe kam, machte er eine Bemerkung, die es fast etwas entschuldigend wirken ließ, dass er so intensiv über den Tatort diskutierte. Es war definitiv eine Routine und die anderen machten mit. Ich fühlte mich ausgeschlossen und dachte darüber nach, auch den Tatort zu schauen, obwohl ich ihn eigentlich nicht sehen wollte, und ich dachte mir, ich lasse mir doch nicht vorschreiben, wie ich meinen Sonntag Abend verbringe, nur um hier mitdiskutieren zu können. Ich trat aus der Gruppe aus, allerdings nicht wegen des Tatorts, und ich beschloss, nie wieder etwas zu tun, von dem ich nicht überzeugt sein würde. Als vor ein paar Jahren erfuhr, dass jemand eine Wikipediaseite über mich angelegt hatte, fand ich unter den Publikationen, die mir zugeschrieben wurden, eine Dissertation über die Strafbarkeit des Hausfriedensbruchs. Ein Buch, das ich definitiv nicht geschrieben habe, und ein Thema, um das es in dieser Arbeitsgruppe auch nicht ging. Da ich an dieser Wikipediaseite nicht herumwerkle, habe ich den Eintrag auch nicht korrigiert. Wikipedia ist schließlich nicht der Brockhaus; kleine Fehler können auch bereichernd wirken.