Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2020 10 Aug

Lebendige Melancholie

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 1 Comment

Ich kenne Brian Enos Ansichten nach all den Jahren ziemlich gut, der Mix aus scharfem Verstand und allerfeinstem (britischen) Humor gefällt mir stets aufs Neue. Ein Highlight, von vielen, im interview in TheQuietus, bezieht sich auf die Missionare katholischer und evangelischer Herkunft, und ihre Umtriebe in Afrika:

 

„Die armseligen verblendeten Missionare, die Grammophone ins dunkelste Afrika schleppten, weil sie dachten, die Erfahrung, Bach zu hören, würde die Eingeborenen irgendwie „zivilisieren“, irrten sich also in fast jeder Hinsicht: Sie dachten, „die Eingeborenen“ seien unzivilisiert, erkannten nicht, dass sie ihre eigene Musik hatten, und nahmen an, dass unsere westliche Musik kulturell abtrennbar und transplantierbar sei – dass sie irgendwie die Samen der Zivilisation in sich trug. Diese kulturelle Arroganz haftet der klassischen Musik an, seit sie ihren Primat als populäres Zentrum des westlichen Musikuniversums verloren hat, als ob die Tonspur der österreichisch-ungarischen Monarchie im 19. Jahrhundert irgendwie automatisch universell und überlegen wäre.“

 

Aber das ist gar nicht die kleine Story, die ich erzählen wollte. An anderer Stelle erzählt Brian etwas, das schon näher heranrückt an die Geschichte, die sich an einem Tag des Jahres 1978 in Würzburg abspielt, und eigentlich gar keine richtige Geschichte ist.

 

„Diese Art von Musik sagt: (…) Es wird nicht viel passieren, und das könnte genau das sein, was Sie jetzt brauchen. Die Zeile aus dem Lied der Talking Heads hat mir immer gefallen: „Heaven is a place where nothing really happens“. Und ich mochte immer die Idee, in einen Club zu gehen, in dem man, anstatt sich zu stimulieren und auf Touren zu bringen, sich beruhigt und Raum zum Denken und Fühlen findet. Das ist sicherlich eines der Dinge, die wir uns von der Kunst wünschen – die Chance, in einer anderen Welt oder in einer anderen Version dieser Welt zu sein.   In einer Situation, in der es nicht so viel zu tun gibt – die Situation, in der wir alle in den letzten Monaten gewesen sind – gibt es zwei große Möglichkeiten. Die erste besteht darin, neue Dinge zu erfinden, wie Sauerteigbrot zu backen, TikTok-Videos zu drehen oder unseren Haustieren das Stricken von Pullovern beizubringen. Die zweite besteht darin, so weit zu kommen, dass wir es genießen, nicht mehr viel zu tun zu haben.“

 

Damals stand ich, in einem Jahr, als es drunter und drüber ging in meinem Leben, im Zeitschriftenladen Montanus, und stöberte durch den „Melody Maker“. Das war eine unserer Verbindungstüren in eine andere Welt, wir lasen da über Schallplatten, die erst Wochen später in Deutschland ausgeliefert wurden, keine Vorab-Tracks, keine Werbevideos, nur die Worte eines Hörers, der dafür bezahlt wurde, sie zu Papier zu bringen. Und da stand ich und las über Brian Enos Ambient Music-Album „Music For Airports“. Es war das erste Mal, dass der Begriff „Ambient“ im Zusammenhang seiner Musik fiel, kein Wunder, Brian hatte ihn selbst geprägt.

 

Woran erinnere ich mich? Der Rezensent machte sich lustig über den Begriff, die Ideen dahinter, die Musik, den kompletten Blödsinn dieser Klänge – er war glühender Verehrer der Punk-Musik, und hatte hier ein neues Feindbild im Visier: „Ambient Music“. Nun hatte Eno schon vor „Music for Airports“ Musik veröffentlicht, die man gewiss als „ambient“ bezeichnen kann, die fantastische Ausführung von „fast nichts“ auf „Discreet Music“,  oder die sehnsüchtigen Kreisläufe der ersten Seite von „Evening Star“, einer  Schallplatte von Fripp & Eno. Kurz und gut: was er bisher fabriziert hatte auf dem Gebiet von „heaven is a place where nothing really happens“, war schon formidabel. Und stand seinen Songalben in nichts nach. Ich war so glücklich über diesen Totalverriss (der offensichtlich von einem blasierten Volltrottel verfasst wurde), und fing an von dieser  Musik zu träumen, auf der ja auch angeblich der geschätzte Robert Wyatt ein paar Pianotupfer hinterlassen hatte.


Das ist die Erinnerung, die mir durch den Kopf ging, als ich Brian über den Himmel reden hörte, in dem einen Talking Heads-Song. Dass ich damals über Wochen leidenschaftlich auf eine Musik wartete, auf der nicht viel passieren würde. Aber so ist das eben oft, die Sache mit der Oberfläche und der Tiefenstruktur. Hinter der systemischen Kühle verbarg sich, zwei Plattenseiten lang, lebendige Melancholie. Ein berauschendes Nichts. All gates open …

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1 Comment

  1. Michael Engelbrecht:

    Man sollte durchaus vorsichtig damit sein, andere Journalisten als Vollidioten zu bezeichnen. In diesem Fall ging es überhaupt nicht darum, jemanden zu kritisieren, der eine Musik nicht leiden kann, die ich als reine Magie empfinde. Einige gute Bekannte zucken heute noch nur mit den Achseln, wenn Music for Airports läuft. Der Ton machte bei jenem Verriss die Musik: schlaumeierisch, anmassend etc.


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