Kann man mit obskursten Instrumenten hörbare Musik machen? Kann man die Ideen, Konzepte und Skizzen völlig verschiedener Musiker mit ästhetischem Gewinn zusammenbringen? Kann man sich gleichzeitig von den Vorgaben konventioneller Musik ganz zwanglos entfernen? Und was erwartet den geneigten Hörer dann? Bisher endeten solche Versuche meist in exzentrischen Kakophonien, die von einer Minderheit frenetisch gustiert wurden, die oft nicht unerheblichen Einfluß auf das musikalische Denken und Schaffen der Nachwelt hatten und dann blieb es oft bei einem anerkennenden ersten Durchhören …
Vor über 100 Jahren entwickelte der Physiologe und Universalgelehrte Hermann von Helmholtz eine Doppel-Sirene, die er für seine akustischen und physiologischen Experimente und Messungen verwendete und, wie mir scheint, nur wenig daran dachte, dass dieses sonderbare Gerät, bei dem Tonhöhe und Lautstärke raffiniert steuerbar waren, einmal in einem Musikensemble Verwendung finden könnte. Der amerikanische Komponist Harry Partch entwickelte Unmengen seltsamer und fremdartiger Instrumente, die er in außergewöhnlichen Stimmungen intonierte, bei denen eine Oktave auch schon mal mehr als 50 unregelmäßige haben konnte. Auch hinterließ er viele Entwürfe und Skizzen mit Ideen zu weiteren Instrumenten, die jetzt posthum erneut von Thomas Meixner vom Ensemble Musikfabrik gebaut wurden und in ein Universum ungewohnter Klänge verführen. Als weiteres Element kommen die wunderbaren Sonambient Klangskulpturen des Italienters Harry Bertoia ins Spiel. Deren klangliches Spektrum kann man in seiner Complete Sonambient Collection genussvoll ergründen. Und aus all dem einen Cocktail mixen?
Phillip Sollmann macht das. Der in elektroakustischer Musik ausgebildete und an der Musique concrete geschulte Musiker, der sich als Efdemin als Technomusiker bereits einen Namen gemacht hat, ist hier genau der richtige Grenzgänger zwischen Minimal music, Techno, klassischer Experimentalmusik, Tanzbarkeit und auditiver Faszination. Mit Hilfe des Ensemble Musikfabrik führte er Monophonie 2017 in Berlin erstmalig auf und dann mehrfach im Rahmen der Ruhrtriennale. Und nun endlich liegt eine Studioaufnahme dieses exzentrischen Werks vor, die von dem ersten Glockenton des Albums an zeigt, dass in einer solchen gewagten Synthese das Ganze weit mehr als die Summe seiner Teil sein kann. Nach dem ersten Titel Chance war ich uneingeschränkt gewillt dem restlichen Werk eine solche zu geben. Und was da noch etwas sphärisch und anhebend war, steigert sich ab Rara schnell in rhythmisch und tonal hochkomplexe Strukturen, die sich aber nie als solche aufdrängen, sondern ganz selbstverständlich und fast beiläufig ihren Neuraum einnehmen. Über Micro steigert sich dann das Album zum zentralen und längsten Stück Motor, dass einen eigenwilligen Groove entwickelt, der sich langsam eskalierend bis zum Ende hin steigert. Stutter treibt in ähnlicher Weise voran, mächtig, aber ohne aufdringlich zu werden. Tape, Plain und U/O entwickeln etwas ruhiger die einzelnen Aspekte, mit teilweise spannender Dramatik, die sich subtil aus den minimalistischen Strukturen aufbaut. Das ist, wenn wir Jon Hassell weiterdenken, feinste Fifth World Musik, rein akustisch eingespielt und dabei so archaisch wie Stammesmusik der fernen Zukunft, die im finalen Mono nahezu ohne musikalisches Material nur mit rhythmischen Mitteln und den diversen Klangfarben der eingesetzten obskuren Instrumente eine unglaubliche Eskalation entwickelt, aus der man schließlich ganz sanft abgesetzt wird. Eine weitere Einführung und Videomitschnitte von Aufführungen finden sich hier. Eine Verbeugung vor drei alten Herren, die in ihrer gelungenen Synthese far beyond mainstream ein faszinierender Meilenstein dieses Jahres bleiben wird.