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2019 1 Dez

Burial: Tunes 2011 – 2019 (From The Archives)

von: ijb Filed under: Blog | TB | Comments off

Pünktlich zum Ende der 2010er bringt das renommierte britische Label Hyperdub, dessen Renommee wesentlich durch die 2006 und 2007 erschienen Alben von Burial (alias Will Bevan) geprägt wurde, am heutigen Nikolaustag – und im 15. Jahr seines Bestehens – Burials Kollektion Tunes 2011-2019 heraus. Klar, der Titel ist unmissverständlich: Hier gibt es 150 Minuten Musik, die quer durchs Jahrzehnt entstand, von einem Musiker, dessen zweite CD Untrue von nicht wenigen als eines der besten elektronischen bzw. „Dance“-Alben (wenngleich man dazu nur bedingt tanzen kann) überhaupt bezeichnet wird. Eigentlich gibt es hier also nichts Neues zu hören, denn alle Stücke sind zuvor auf EPs und Singles erschienen. (Bedauerlicherweise gibt es trotz der epischen Laufzeit und uneingeschränkten Qualität noch Mängel anzukreiden: Warum fehlt etwa die gelungene Single Rodent, die bislang nur auf Vinyl erhältlich ist?)

12 Jahre nach Untrue schließt Hyperdub damit eine Lücke – nämlich die, dass es in diesem Jahrzehnt noch kein Album von Burial gab. Nun gibt es also gleich eine Doppel-CD, und jeder, der die Meisterschaft Will Bevans wieder oder neu entdecken möchte, kann hier eines der besten Alben des Jahres, wenn nicht gar des Jahrzehnts preisgünstig erwerben. Nur die Aufmerksamsten werden bereits alle Stücke im Plattenschrank haben; insofern ist für jeden was dabei.

Gerne wird über Burial gesagt bzw. geschrieben, dass man seit eben 12 Jahren auf ein neues Album von ihm warte; zugleich werden zwischen den Zeilen (berechtigte) Zweifel geäußert, ob einer, der im Jahr 2007 ein stilbildendes Meisterwerk ablieferte, das wie wenig anderes über die Grenzen von Genres und Milieus hinweg gleichermaßen verehrt wurde und nach wie vor geschätzt wird, nicht mit jedem Nachfolgealbum quasi zum Scheitern verurteilt ist. (Siehe auch: Massive Attack) Doch mehrere von Burials sogenannten EPs, also rund halbstündigen Tonträgern, sind eigentlich kurze Alben — Rival Dealer, Street Halo, Kindred; sie wurden nur nie als solche präsentiert (anders als das seit ein paar Jahren etwa Kanye West praktiziert). Die darauf vertretenen Stücke entwickeln sich über bis zu 14 Minuten;  Rough Sleeper, Come Down To Us oder Ashtray Wasp sind eher komplexe Suiten als gewöhnliche Dance-Tracks.

Tunes 2011-2019 bietet nun also die Gelegenheit, Bildungslücken zu schließen und die durchweg schillernd fantasievolle Musik und die überaus eigene, subtile und reiche Klangwelt, die Will Bevan alias Burial in den letzten neun Jahren immer weiter verfeinert und variiert hat, kennenzulernen. Es gibt nicht ein schwaches Stück auf diesem Album, wenngleich viele sich nicht unmittelbar, beim ersten oder beim Nebenbei-Hören erschließen – gerade eben die episch angelegten Erzählungen entfalten sich nach und nach. Es ist ein verzaubernd eindringliches und vor allem abwechslungsreiches Universum, das hier über zweieinhalb Stunden dargeboten wird. Im direkten Vergleich ist das meisterhafte Untrue zwar ein sehr viel homogeneres Epos; auf der anderen Seite zeigt Tunes 2011-2019 aber auch, wie man sich von Fesseln (der Erwartung / der stilistischen Prägnanz) befreien kann und seine Kunst in alle möglichen Richtungen ausstreckend gestalten kann, so sehr, dass der Zuhörer überall auf Ideen stößt, die es wert wären, auf Albumlänge vertieft zu werden. Burials Tunes packen immer wieder, emotional unmittelbar, auf überraschende Weise mit ungewohnten, durchweg schlüssigen Kombinationen scheinbar disparater Elemente. Und das tun sie auch beim x-ten Wiederhören noch, womöglich sogar mit der Zeit immer besser. Die ältesten Stücke des Doppelalbums vom Anfang des Jahrzehnts sind auch fast zehn Jahre später noch immer so bewegend wie einst. Die Kollektion bekräftigt, dass Burial auch in den 2010ern zu den Meistern seines Fachs gehört.

Burials Musik wird landläufig zwar dem Dubstep-Genre zugeordnet, doch diese Schublade ist nicht weniger irreführend als würde man bei Stichwort „Rockmusik“ an Bill Haley denken, aber dann Sonic Youth oder King Crimson hören.

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