Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2019 23 Mrz

Chaostheorie oder Serendipity

von: Martina Weber Filed under: Blog | TB | 8 Comments

Wie geht ihr, liebe Manafonistas und Blogleser*innen, eigentlich bei der ganz normalen (täglichen) Auswahl eurer Musik vor? Hat das irgend ein System? Welchen Impulsen folgt es? Hier ein kleiner Einblick in die seltsame Chaosstruktur meines Musikhörens der vergangenen Tage: So eher aus Zufall („andere Nutzer der Bibliothek interessierten sich auch für folgende Bücher …“) lieh ich mir aus der UB von Helmut Korte die Einführung in die systematische Filmanalyse aus und fand im Kapitel über der Analyse von Antonionis Zabriskie Point eine Tabelle mit dem Musikeinsatz und da hier Pink Floyd sehr präsent ist, legte ich Ummagumma auf, das Livealbum. Gefangen von der Psychodelik erinnerte ich mich an eine Aufnahme von Can und suchte sie, fand sie in einer Box, wobei mir allerdings eine Aufnahme von Talk Talk aus dem Jahr 1986 in die Hände fiel, das Konzert von Montreux, das ich im Deutschlandfunk aufgenommen hatte, leider nur zum Teil. It´s My Life. Such A Shame. Give It Up. Auf der Rückseite der Kassette befindet sich Sufi-Musik, die sich Jürgen Wasim Frembgn als Gast bei den Zwischentönen gewünscht hat, vermutlich vor ungefähr acht Jahren. Die Nacht in der Wüste, heißt das erste Stück, Stimmung der Landschaft aus Nordost-Iran. Das passt zwar gar nicht zu Talk Talk (und ich hörte nur ein paar Sekunden rein), aber schon eher zu Jürgen Ploog, der Reisen in den Orient wie Träume beschreibt. Idee eines Shelfie, Musik zu den passenden Büchern und DVDs zu platzieren. Geoff Dyer schrieb in seinem grandiosen Essay über Tarkowskijs „Stalker“, er hätte  dannunddann eine Ambient-Phase eingelegt und „Stars of the Lid“ gehört, (um etwas herauszufinden, was ich vergessen habe?) und ich fand Tracks aus „And Their Refinement Of Decline“ aus Michaels Sendung vom April 2007 (ich bin keine Archivarin, aber teilweise ziemlich gut organisiert). Inzwischen kam die Rother Box an. Fernwärme. Mir fällt auf, dass ich ein paar Wochen lang nicht Boards Of Canada gehört habe. That´s home.

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8 Comments

  1. Jan Reetze:

    Deutlich Chaos. Ein Album kann mich assoziativ auf ein anderes bringen, ich plane das nur selten voraus. Gelegentlich packt mich allerdings etwas, das ich “Festival” nenne, wie etwa neulich Michael Rother, dessen sämtliche Alben ich in der Reihenfolge ihres Erscheinens durchgehört habe. In diesem Fall hat es funktioniert, wenn auch nicht an einem Tag. Klappt aber nicht immer.

    Generell merke ich, dass ich immer weniger Musik höre, das aber zunehmend konzentriert. “Nebenbei hören” halte ich heute kaum noch aus. Zumal mir immer, zu jedem Zeitpunkt, irgendein Musikstück durch den Kopf geht. Und mit immer meine ich wirklich immer. Was manchmal extrem belastend sein kann, z.B. wenn ich irgendein Handysignal höre, das eine Melodie enthält. Ich werde das dann oft stundenlang nicht mehr los.

    Außerdem geht es mir mehr und mehr selbst auf den Geist, dass es buchstäblich kein Stichwort, keine Situation oder keinen Zusammenhang mehr gibt, zu dem mir nicht irgendeine Musik einfällt. Geht mir das nur allein so?

  2. Michael Engelbrecht:

    Chaostheorie wäre auch bei mir tonangebend, aber wenn man z. B. alle zwei Monate eine Radionacht vor sich hat, ergeben sich ordnende Strukturen. Zum Glück ist es eine Sendung, in der ich nur spiele, was ich auch gerne höre, also bleibt die Suche nach Seelennahrung und Klasse (und gnadenlosem Folgen der eigenen Vorlieben) oberstes Gesetz.

    Eine lustige Sache neulich. Ingo hat das interessante Interview mit Leonie Klein gemacht, und ich meldete mich bei Wergo, dass sie mir das Soloalbum der Perkussionistin schicken. Alles aus der Zeitgenössischen Klassik, Leonies Vorliebe, klar! Ich sah auf die Tracklist, und, keine Frage, da nehme ich das kürzeste Stück. Ist ja nicht meine liebste Spielwiese. Alle anderen Stücke sind über zehn Minuten, also Peter Eötvös. Wenn es mir gefällt. Ich spielte es, hörte es, aber es wurde immer länger, ich hatte das falsche Stück laufen, aber es gefiel mir soooo gut, besser als das kurze Stück von dem Herrn mit dem schwer aussprechlichen Namen. Also spiele ich in der Sendung jetzt ein sehr langes Stück von einem Herrn mit einem anderen schwer aussprechlichen Namen. Mit dem ich nie einen Deal hatte, den ich seit 1990 nie spielte – Entdeckung!

    Und davor? Ein anderes Solowerk, eine neue Pianosoloplatte kam wie gerufen, passte, Jazz und Strömungen Neuer Musik vereint.

    Und danach. Ah ja, lag doch schon auf meinem kleinen Stapel womöglich hochspannender Neuerscheinungen, und, das ist ja perfektes Sequencing, dieses ganz andere Getrommel von Matmos und Plastic Anniversary nach Leonie. Beste Plastikmusik seit Ewigkeiten 😉.
     
    Zitat von Robert Barry aus The Quietus:

    „There is plenty of air and swing and human physicality expended, beyond the twitching of a mouse pointer on a digital audio workstation. Deerhoof drummer Greg Saunier brings a propulsive, dynamic sense of rhythm to several tracks (played on Pelican cases, plastic pots, and water bottles). The entire drumline of Whitefish High School are beating in time, samba band-style, on penultimate track ‘Collapse of the Fourth Kingdom’. And yet it all remains – literally – plastic, the very byword for the fake and the insincere. Everything now may be synthesized and mass-produced – even our own flesh. Welcome to the Plastisphere. This is the sound of the earth becoming artificial.“

     

    Festivaltage gibt es bei mir auch, die letzten hiessen:

    Rother
    White Album
    ECM Touchstones, genau die Alben, die ich nur flüchtig erinnerte, etwa die von Mike Nock und Mick Goodrick.

    Und sie dauerten allesamt länger als einen Tag.

  3. Jochen:

    Interessante Frage, Martina.

    Ich höre sehr viel über Kopfhörer und spiele auf Gitarre mit, versuche mir etwas aufzuschlüsseln und anzueignen (nach Noten spiele ich nicht so gerne). Es entsteht so eine Art „Parcours“ von Songs, die ich immer wieder spielen und hören möchte.

    Allgemein ist viel Interesse und Zufall im Spiel. Was Jan beschreibt, kommt mir bekannt vor: man findet einen Song gut, wird ihn dann aber nicht mehr los.

  4. ijb:

    Ich habe deine sehr gute Frage von Samstag Morgen mal zum Anlass genommen, mich übers Wochenende hinweg bewusst dabei zu beobachten, wie das vor sich geht.
    In der Tat ist es bei mir eine ziemlich komplexe Angelegenheit, die ich gar nicht in so wenigen Worten bzw. Sätzen abbilden kann… Ähnlich wie Jan habe auch ich fast immer irgendwelche Lieder/Passagen im Kopf, manchmal brauche ich eine Weile, die zuzuordnen, manchmal gibt mir das den Anstoß, das entsprechende Lied dann auch anzuhören bzw. auf die imaginäre Erinnerungsliste für Zuhause zu notieren, aber anders als Jan geht es mir nicht den Geist, dass mir zu jeder/m Situation / Stichwort ein Lied einfällt, und auch nutze ich manchmal das Hören von der einen oder anderen Musik durchaus bewusst dazu, etwas anderes aus dem „Aufdringlichkeitsbereich“ in meinem Geiste zu vertreiben. Also sagen wir, mir geht die ganze Zeit ein Popsong durch den Kopf, dann kann das auch bedeuten, dass ich dann eher Swans oder Daughters oder Idles (von ersteren und letzter mir gleichwohl auch gelegentlich Songs im Kopf stecken, ohne dass ich sie konkret gehört hätte — „The Seer“ z.B. … oder nur mal „Danny Nedelko“ oder „Great“ gugln!) anschalte oder so.

    Bei mir ist es so, dass sich und die Stereoanlage immer sehr schnell viele CDs (und teils LPs) aus den Regalen ansammeln, die ich mir vornehme, „jetzt bald“ mal wieder anzuhören, weil sie mir irgendwo eingefallen sind. D.h. der konkret aktuelle Entscheidungsvorgang geht oft von der vorberieten, sich stetig im Fluss befindlichen Auswahl aus. Manchmal muss ich die zahlreichen Vorauswahlen bzw. diversen Stapel (zeitgenössische Musik, nur für spezielle Tageszeiten / Umstände / Stimmungen geeignet // von Labels erhalten CDs zur Besprechung // aus dem Archiv geholte Alben // für konkrete Projekte daliegende CDs… // zum potenziellen Aussortieren mit Fragezeichen… usw) wieder wegräumen, um reinen Tisch zu machen…

    Die CD-Regale stehen bei mir im Flur (direkt in kürzester Reichweite zur Anlage), die LPs hingegen direkt neben der Anlage.

    Auch kann es bei mir vorkommen, dass sich das eine aus dem anderen entwickelt oder mir irgendwas einfällt, worauf ich reagiere. Manchmal stehe ich aber auch konkret vor dem Regal, weil ich schauen will, was mich jetzt ganz konkret anspricht oder anspringt oder was ich schon lange nicht gehört habe…

    Auch kenne ich das „Festival“-Hörerlebnis. Da hatte ich zuletzt mal das spontane Bedürfnis, alls Alben von Leonard Cohen durchzuhören – aber nicht an einem Tag und auch nicht „am Stück“, sondern einfach innerhalb von ein paar Tagen. Das habe ich dann, soweit ich mich erinnere, auch konsequent gemacht. Vor rund einer Woche hatte ich dann aus einem aktuellen Anlass große Lust, die fünf Alben von The Jesus and Mary Chain wiederzuentdecken und habe diese ebenfalls alle wiedergehört, einige auch gleich mehrfach — und alle sehr erfreut neu entdeckt (u.a. nachdem ich mit dem Freund Ben beim Fahren nach und durch England (London/Suffolk/Reading/Oxford) einige Noise-Rock-Alben (speziell die ersten beiden, hervorragenden CDs der Band A Place To Bury Strangers) angehört hatte und wir uns da auch über JAMC unterhalten hatten…

    So lief also das Wochenende:
    Am Freitag hatte ich bis spät noch verschiedene ruhige Platten gehört, Musik, die zu nächtlichen Stimmungen passt und bei Schreiben, Mails beantworten und dergleichen das richtige Umfeld schafft, u.a. Perera Elsewheres erste LP (die zweite hatte ich bei diesem Anlass zum Verkauf bei Discogs eingestellt, weil sie auch nach längerer Zeit leider nie so intensiv wurde wie die erste), ein Album von Richard Skeleton alias Caroussel, eine zehn Jahre alte Platte vom Kilimanjaro Darkjazz Ensemble, eine 12“EP von ABRA… (ja, die junge Interpretin aus Atlanta, nicht die Popband aus Schweden)

    Also begann der Samstag morgen mit der LP von Stella Donnelly, die ich mir am Freitag bei Saturn gekauft hatte (ich hatte sie vorher bereits zwei mal als mp3 gehört, speziell auf der Englandreise vor ein bis zwei Wochen, also wollte ich sie gerne als LP haben). Ich fand, das passte gut zu einem Wochenendbeginn, wo ja auch andere (weibliche) Familienmitglieder anwesend sind. Parallel schaute ich beim Frühstück noch einmal in die vier Seiten Porträt von Stella Donnelly im Musikexpress und wunderte mich, dass ich das alles schon mal gelesen zu haben schien.

    Wenn ich etwas von LP höre, folgt darauf meistens, dass ich erstmal bei den LPs schaue, was ich anhören kann. (Hat u.a. damit zu tun, dass ich zwischen CD- und LP-Spieler derzeit immer umstecken muss, weil der CD-Spieler seit dem Erwerb eines neuen LP-Schranks wegen Platzmangel auf dem Plattenspieler stehen muss). Also fiel mir die Debüt-LP von Grimes ins Auge, die ich auch nicht oft gehört hatte, u.a. weil sie mich nicht so sehr ansprach wie ihre beiden jüngsten Alben. So blieb die Notiz „verkaufen?“, was bedeutet, dass ich die Lp demnächst noch einmal anhören werden, wenn ich in anderer Stimmung bin, um zu schauen, ob ich sie verzichtbar finde.

    Danach ging ich über zu CDs, weil zwischenzeitlich via DHL-Bote meine Bestellung von JPC eingetroffen war, in der sich auch die neue CD von Laurel Halo befand. Nicht ganz das richtige für einen Samstag Vormittag, wo man auch andere Dinge tut, daher lief die CD z.T. etwas zu nebenbei, und ich kann noch nicht viel zu einer eigenen Meinung dazu sagen, aber Laurel Halos Musik ist ja immer herausfordernd , also ist das erstmal nichts „Schlechtes“. Einzelne Stücke sind mir beim Hören entgegen gesprungen…

    Danach war ich kurz unterwegs, um zwei norwegische Musikerinnen zu treffen, von deren Album ich einige Stücke im Schnitt meines Dokumentarfilms verwende(t habe), und als ich sah, dass die beiden an diesem Wochenende in Berlin sein würden, schrieb ich sie an (ich kannte sie bislang nicht persönlich), dass ich sie treffen müsse, um ihnen die entsprechenden Passagen aus dem unfertigen Film zu zeigen. Damit wir ins Gespräch kommen können, ob und unter welchen Bedingungen ich die Stücke verwenden dürfe. Das Treffen lief sehr gut; ich glaube, sie waren davon, wie ich ihre Stücke eingesetzt habe, recht überzeugt.

    Wieder zurück legte ich das neue Album von Efdemin auf, das extrem positiv besprochen worden ist, ich aber noch nicht gehört hatte. Wieder waren Tagesstimmung und Umfeld dem Album nicht zuträglich, es ist zu feinsinnig in seiner Ambitioniertheit für diese ablenkenden Umstände, also habe ich es nach der Hälfte wieder ausgemacht.

    Ich suchte nach einem möglichst großen (Stil-/Genre-)Kontrast dazu und stellte ein Album von Misia an (der portugiesischen Sängerin, nicht der japanischen). Eine jener CD, die seit vielen Jahren so gut wie ungehört in meinem Regal stehen und bei jedem Durchgang von „worauf kann ich eigentlich noch verzichten, was kann ich weggeben?“ in die Hand genommen wurde, dan einmal angehört und für gut befunden und zurückgestellt wurde. Bis zum nächsten Durchgang.
    Diesmal entschied ich, es ist Zeit, sich davon zu verabschieden. Es war mir gestern ohnehin zu melancholisch, so dass ich es nicht bis zu Ende hörte und es mich wiederum nach einem Kontrastprogramm mit möglichst gegensätzlicher Stimmung, etwas fröhlichem, positiver gelaunten Gestus drängte. Die Wahl fiel auf Prince.
    Ich habe die meisten seiner Alben als CDs, aber die aus den 80ern (bis ca. „Lovesexy“) klingen auf CD einfach so mies… ich warte seit vielen Jahren darauf, dass die endlich mal in besserer Klangqualität neu rauskommen… (das Re-Release von „Purple Rain“ war da kürzlich SEHR lohnend!) aber zwei der ganz frühen habe ich als LPs, also entschied ich zwischen „Dirty Mind“ (1980) und „Controversy“ (1981), die stilistisch sehr eng verwandt sind, und die Wahl fiel auf letztere, weil ich die LP erst im letzten Sommer gekauft hatte und noch nicht so oft von diesem Tonträger angehört hatte. Die erste LP-Seite ist aber so großartig, dass mir das schon vollauf für den erwünschten Stimmungsumschwung genügte, dass ich nach der halben LP das Gefühl hatte, jetzt wäre es doch schön, etwas sehr viel jüngeres zu hören, das aber grob aus dem gleichen Genre stammt. Kurze Überlegungen zwischen verschiedenen recht jungen RnB-Alben, und die Wahl fiel auf Jessy Lanza, konkret auf das zweite Album („Oh No“).

    Bei uns zu Hause war zu diesem Zeitpunkt schon ziemlich viel los, wegen der anstehenden Ausstellungseröffnung verbrachten die beiden Damen ewig damit, sich zwischen verschiedenen Outfits zu beraten und immer wieder andere Kleidungsstücke anzuprobieren und so weiter, unsere Tochter fragte ständig, wann wir endlich losgingen, obwohl es noch Stunden bis zur Eröffnung waren. So fiel mir am Ende der ersten LP-Seite von Jessy Lanza dann auch ein, dass ich ja schon seit Tagen mein bislang „Lieblingsalbum“ des laufenden Jahres nicht mehr gehört hatte, und legte dann also die CD „Grey Area“ von Little Simz auf, und drehte die Lautstärke gleich nochmal höher.
    (Am Montag veranstaltete ARTE hier in Berlin ein kostenloses Konzert mit Little Simz, das übrigens hier https://www.arte.tv/de/videos/088178-000-A/berlin-live-little-simz bereits online zu genießen ist — gutes Konzert – aber noch besseres neues Album!).

    Danach kam mir ein Song von Prince in den Sinn, weshalb ich dann doch zum CD-Regal ging um zu schauen, welches Prince-Album jetzt passen könnte. Allerdings habe ich konkret dieses Lied („Money don’t matter 2 Nite“) gar nicht mehr auf CD, weil ich das zugehörige Album „Diamonds and Pearls“ mal einem Freund weitergeschenkt habe, und das Lied, eines seiner besten übrigens (naja, er hat ja so viele „beste“ Lieder aufgenommen… also vielleicht eines seiner besten 50?) dummerweise nicht auf den beiden „Hits“-Kollektionen vertreten ist. Also – welches Prince-Album passt jetzt? Da fiel mein Blick auf Kendrick Lamar, der ein paar Fächer über Prince steht, und ich dachte „das passt ja sogar noch besser (nach Little Simz)“, und legte das Album „DAMN“ auf, bis wir dann schließlich aufbrachen.

    Wir kamen sehr spät zurück. Und am heutigen Sonntag bin ich unerwarteter Weise allein zu Hause, was bedeutet, dass die Musikauswahl ganz anderen Mustern und Stimmungen folgt.

    Ich begann den Tag mit (Triggerwarnung!!) dem letzten Album von U2, weil das letztlich nahtlos sehr gut zu Kendrick Lamars „Damn“ passt (eines der Stücke haben die gemeinsam gemacht und es ist auf beiden Alben in vollkommen unterschiedlichen Versionen vertreten, die von Kendrick ist natürlich sehr viel besser). Das U2-Album ist, keine Frage, verzichtbar, aber es passte ganz gut zu meinem One-Man-Sonntagmorgen.
    Danach passte es mir gut, das neue Efdemin-Album von gestern mal bewusster (und auch lauter) zu hören. Es ist schon sehr ambitioniert, und man braucht ein wenig Zeit, um es zu durchdringen.
    Weil ich mich dann mit dem Einstellen meiner gestrigen Rede befasste, suchte ich nach etwas energischeren und stieß unter den „aktuell Anhören“-Sachen neben meiner Anlage auf das Album „De Facto“ des mexikanischen Noise-Fuzz-Psychedelic-Rockduos Lorelle Meets The Obsolete, auch bislang eines meiner 2019-Lieblingsalben (wobei ich nicht annehme, dass es am Jahresende noch unter den Top10 oder 20 sein wird, im Gegensatz zu Stella Donnelly und Efdemin). Sehr gute Energie, vor allem in den episch-halluzinogenen Gitarren-Exkursionen.

    Danach wieder einen Bruch: Mit meiner JPC-Bestellung traf gestern das genau 20 Jahre alte Album „Some Other Season“ (ECM) von Philipp Wachsmann und Paul Lytton ein. Das hatte ich seit 15 bis 20 Jahren nur als kopierte CD und es immer versäumt, mal ein Original zu kaufen, u.a. weil es meist einfach zu teuer war. Jetzt gab es bei JPC die CD für 7 oder 8 Euro, und da ich die beiden ohnehin demnächst genre in London besuchen möchte für meine ECM50-Reihe, war das der richtige Anlass, die CD endlich zu kaufen.

    Stimmungsmäßig luden Wachsmann & Lytton dazu ein, im Anschluss das Duoalbum von Stefano Battaglia und Pierre Favre („Omen“) zu hören, das ich erst kürzlich in einer freundlichen CD-Sendung von Battaglias Frau, der Fotografin Caterina di Perri, die ich Mitte Mai in Siena besuchen werde, bekommen hatte.

    Fun Fact, den ich erst nach dem Anhören feststellte: Beide Alben wurden Ende 1997 in fast unmittelbarer Nähe zueinander eingespielt und von ein und demselben Tonmeister, Martin Pearson aufgenommen: „Some Other Season“ produziert von Steve Lake in Winterthur, „Omen“ kaum zwei Monate später, 20 km weiter in Zürich, lange bevor Battaglia ECM-Künstler wurde (was Favre zu jenem Zeitpunk ja bereits war).

    Ich kann nicht ganz nachvollziehen, was danach geschah. Aber aus irgendeinem Grund musste ich danach die LP „Rarities and B-Sides“ von Beach House auflegen, auch weil ich mich fragte, ob ich diese Platte eigentlich noch brauche. Ergebnis: Unschlüssig. Keine wesentliche Platte, aber zwei, drei Stücke sind toll. Da der Plattenspieler also wieder in Betrieb war, schaute ich im Anschluss auf die „aktuelle Platten“-Auswahl, wo sich u.a. ein paar LPs befinden, sie ich vor zwei Wochen aus dem „Aussortiert“-Fach eines Freundes Achim mitgenommen hatte und nun schrittweise auf eigene Sammlungsaufnahme abklopfen will. Die Wahl fiel auf „The Best of The Move“, eine Ariola-LP ohne Jahresangabe. Hat mir gut gefallen, wird behalten. Danach die Überlegung „jetzt was ruhigeres oder noch mal Rock?“, und ich erinnere mich: „Mist, da ist ja noch immer diese zweite LP der norwegischen Progressive-/Drone-Rocker Spurv, die ich seit letzten Sommer hier habe und noch immer nicht für Nordische Musik rezensiert habe.“ Also Entscheidung: Jetzt wieder hören und dann nachhaken, ob Achim heute nun zum Konzert mit den die beiden Norwegerinnen mitkommt oder nicht…

  5. Lajla:

    Martina, das sind interessante Fragen. Für mich leicht zu beantworten, weil ich bewusst themenorientiert Musik höre. Schwerpunkte waren zuhause Pegi Young, die ich immer mochte, besonders ihre Texte.

    In den letzten Tagen habe ich viel Rebekka Bakken angehört, weil ich mir nicht sicher war, ob ich zum Kölner Konzert gehen soll oder nicht. Ich habe mich dagegen entschieden, obwohl ich ihre Stimme sehr! mag, aber nicht ihre Texte.

    Wenn ich auf Reisen bin, stimme ich mich mit der jeweiligen Landesmusik ein. Vorort bin ich dann sehr neugierig auf die heimische Musik. Da gibt es sehr viel zu entdecken.

  6. Olaf:

    Wirklich interessante Frage. Leider ist es mir seit einem knappen Jahr nur sehr eingeschränkt möglich, auf meiner Anlage Musik zu hören – das endet aber zum Glück Anfang des Sommers.

    Deswegen ist meine Musikauswahl derzeit sehr spotify-ziert. Nachteile sind u.a. die flache Tonqualität – wie toll sich doch eine Schallplatte anhört -, der große Vorteil sind Playlists, die von interessanten Menschen zusammengestellt wurden.

    Durch diese Playlists (und ja, auch durch Vorschläge des blöden Algorithmus) hangel ich mich mich dann übers Wochenende durch das Angebot. Am Schreibtisch was ruhiges, beim Renovieren eher was munter machendes. Zum reinen Musikhören komme ich momentan kaum, dann am Plattenspieler.

    Insgesamt ist Spotify ein bisschen wie früher im Plattenladen in Platten reinhören, bevor man sie kauft. (Am Rande: das Buch von Helmut Korte besitze ich, dass ist – noch nicht aussortiert – in irgendeiner Umzugskiste verschollen).

  7. Uli Koch:

    Das sind sehr interessante Überlegungen und ich komme mir gerade vor, wie ein Tausendfüssler, den man fragt, welches Bein er vor welchem bewegt. Nach einigem Überlegen habe ich zumindest vier verschiedene Hörmodi herausgefunden:

    1. Etwas schwebt in mir und wird immer konkreter bis ich in meine Musikecke gehe und mir zielstrebig eine bestimmte Platte oder CD herausgreife, die ich jetzt gerade hören MUSS!

    2. Etwas schwebt in mir und kommt nicht dazu konkret zu werden. Dann stehe ich manchmal ein ganzes Weilchen vor all den Alben und meist fällt mir dann etwas in die Hände, an das ich entweder gerade gar nicht gedacht habe oder das ich schon Ewigkeiten nicht mehr gehört habe.

    3. Ich schwebe auf meiner Sofacloud ohne konkrete Vorstellungen, aber in Stimmung Musik zu hören. Das ist der Moment in dem ich Streaming-Platformen liebe: hier kann ich einfach losstöbern ohne mich grösser zu bewegen, irgendwo reinhören und fasziniert hängenbleiben oder weiterklicken. Irgendwo etwas über Musik lesen und es einfach mal antesten. Das was mir dann da gefällt und den Drang zum öfters hören aufkommen lässt, wird dann bestellt.

    4. Etwas schwebt meist von meinen Kindern, deren Musikgeschmack und Inspiration ich ausserordentlich schätze, getriggert auf mich zu und verlangt nach sofortigem Hören. Dann muss ich mich auf den Weg machen herauszufinden, von wem diese Musik eigentlich ist.

    Chaostheorie und Serendipity beschreiben auch meine Methode als neophiler Hörer wirklich sehr treffend und oft finde ich so viel mehr, als ich hier besprechen könnte …

  8. ijb:

    Nachsätze zu meinem Kommentar, als Höranregung:

    Little Simz „Grey Area“:
    https://www.youtube.com/watch?v=8bHjPSqqv-4

    10 of Prince’s Best Deep Cuts:
    https://www.spin.com/2017/04/prince-deep-cuts-playlist/

    Stella Donnelly’s debut album Beware of the Dogs is an infectiously honest examination of personal and political issues
    https://www.thefourohfive.com/music/review/review-stella-donnelly-s-debut-album-beware-of-the-dogs-is-an-infectiously-honest-examination-of-personal-and-political-issues-155

    First impressions are a collection of jangly indie-pop that sound perfect for the summer months that lie so tantalisingly ahead. However, it soon becomes clear that Beware Of The Dogs is an album that’s unafraid to tackle uncomfortable subjects.
    https://www.musicomh.com/reviews/albums/stella-donnelly-beware-of-the-dogs

    Lorelle Meets the Obsolete:
    De Facto is the work of musicians seeking something sonically and emotionally better and getting very close to the burning, white-hot center of it all. It’s a challenging listen at times, but’s there’s never a moment where the effort doesn’t feel worth it and the rewards of digging deep into the sounds and songs are many.
    https://www.allmusic.com/album/de-facto-mw0003233579


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