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2019 13 Feb

TB 30

von: Jan Reetze Filed under: Blog | TB | 11 Comments

Eigentlich, so der Verfasser dieser Zeilen, habe er ja bereits gestern TB, dem, wenn man ihn denn so nennen dürfe, Jubilar, seine herzlichsten Glückwünsche zum dreißigsten Todestag aussprechen wollen, doch sei dies Vorhaben an mehreren sogenannten Unwägbarkeiten gescheitert, als deren größte zweifelsfrei die kontinentale Verschiebung der Zeit anzusehen sei. Doch sei dies naturgemäß nicht zu ändern gewesen, da die Richtung des Zeitpfeils nicht umkehrbar sei. Außerdem habe er sich schon seinerzeit bei einem abendlichen Treffen sogenannter Feuilletonjournalisten anlässlich des zehnten Jubiläums wie der Jubilar selbst in einen großen Ohrensessel in der Nähe der Tür setzen und die anderen Anwesenden nicht in ihren Gesprächen stören wollen, da diese sogenannten Fachgespräche, da sei er sich sicher, doch nur als bessere Tischdekoration enden und wie jedesmal zu nichts und wieder nichts führen würden, oder zu gröbsten Gemeinheiten, oder, noch abgefeimter, zu den aufgeblasensten Lobhudeleien. An solcherlei wolle er, der Verfasser dieser Zeilen, sich unter keinen Umständen beteiligen. Statt dessen habe er, wie es der Zufall gewollt habe, sich gestern anlässlich des Datums in einem herumliegenden Buch wieder einmal, wie man so sage: festgelesen. Ja, man könne sogar sagen: Dieses Buch habe ihn tatsächlich über zwei Jahrzehnte hinweg nicht losgelassen. Die scheinbare Belanglosigkeit, mit welcher sich TB, der Autor jenes Buches, in einen ebensolchen Ohrensessel neben der Tür setze und wortlos den Gesprächen der ihm scheinbar unbekannten eingeladenen sogenannten Gäste folge, um diese von Seite zu Seite stärker geradezu zu sezieren, bis ein einziges unfassbar komplexes Beziehungsnetz sich offenbare, in dem jeder jeden bis auf die Haut kenne, diese Belanglosigkeit, die sei schuld daran gewesen, dass er, der Verfasser dieser Zeilen, einem nichtendenwollenden Leserausch anheim gefallen sei, der, so wird man anmerken dürfen, auch den großen Hüsch befallen habe, der sich darob dazu verleitet gesehen habe, stundenlang durch das seinerzeit winterbedingt halbverschneite Österreich zu fahren, um ein Autogramm des von ihm verehrten TB zu erhalten. Jedoch sei ihm dies, wie er in seiner „Du kommst auch drin vor“ betitelten Autobiografie unumwunden zugab, nicht gelungen, was ihn zur Erfindung seiner sogenannten Hagenbuch-Geschichten veranlasst habe, die dann wiederum den Verfasser dieser Zeilen zu dem Auslöser aller dieser Schreibereien geführt hätten. Der Autor dieser Zeilen sei zwar, wie leider auch er zuzugeben habe, ebenfalls nie in den Besitz eines Autogrammes von TB gelangt, was allerdings nicht allzu verwunderlich sei, da er dies auch nie versucht habe, doch besitze er immerhin ein solches vom großen Hüsch, der wiederum ein großer Verehrer des genannten Jubilars, TB, gewesen sei, so dass zumindest man von einer Art indirekter Verbindung sprechen könne. Weswegen der Verfasser dieser Zeilen hiermit kund und zu wissen tut, dass jenes in Rede stehende Buch eines seiner sogenannten Lieblingsbücher sei, und, da man bei jedem Lesen immer wieder neuer, bislang nicht entdeckter Details gewahr werde, naturgemäß wohl immer bleibe:

 
 
 

           

 
 
 

Die Übersetzung, so der Verfasser dieser Zeilen, sei naturgemäß dem Original nicht ebenbürtig, doch sei dies in diesem Fall zu akzeptieren, er habe schon schlechtere Übersetzungen lesen müssen.

 

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11 Comments

  1. Martina Weber:

    Würde ich ein Shelfie (der Begriff kann in der Manafonistas-Suchfunktion eingegeben werden und man landet da, wo der Begriff herkommt), würde ich also ein Shelfie meines Bücherregals im Abschnitt Thomas Bernhard posten, so gäbe es diese Titel teilweise zu lesen, teilweise schlecht zu lesen:

    – Text + Kritik Thomas Bernhard
    – Erzählungen
    – Der Untergeher
    – Beton
    – Ja
    – Korrektur
    – Alte Meister
    – Der Atem
    – Die Ursache
    – Frost
    – Wittgensteins Neffe
    – Holzfällen
    – rororo Monographie über TB
    – Midland in Stilfs (bestehend aus Kopien, aus denen mein Bruder für mich ein kleines Buch gebastelt hat). This was my starter.

    Long time no see. Thx for remembering.

  2. Michael Engelbrecht:

    Mein Shelfie ergäbe eine tabula rasa. Immer aus der Ferne respektiert, habe ich kein einziges Buch von TB gelesen. Eine Reihe von kurzen Kurzgeschichten, die waren schön schroff.

    Damals, in der Studentenzeit, las ich einmal Herausragendes Über DAS KALKWERK, hatte aber gerade keine Zeit dafür, und liess es meinen Kumpel ED lesen, drängte ihn dazu, es sich unbedingt zu kaufen. Er las es, teilweise zumindest, und war kurz davor, mir die Freundschaft aufzukündigen.

    Später, in Dortmund, begeisterte sich Thomas Köner für die Klangsprache des KALKWERKS, und war wohl wesentlich beteiligt an einer Hörspiel-Vertonung des Buches.

    Ich glaube immer noch, dass mir etwas entgangen sein könnte. Und notiere HOLZFÄLLEN noch vor dem KALKWERK. Sobald ich eins seiner Bücher gelesen habe, kommt hier prompt der Text dazu. Rein gefühlsmässig glaube ich, die könnten mich packen, auch nach deinem Text Bernhard-style. Wir werden sehen…

    Auf meinem Shelfie jener Jahre fanden sich Bücher von anderen, von Urs Widmer, H.C. Artmann, Lars Gustafsson, Ernst Augustin, Jürgen Becker, ein bisschen Handke (ich gestehe). Ich hatte mir sogar DIE ANGST DES TORMANNS BEIM ELFMETER schöngelesen, dieses Ermüdungswerk. (JA, das sehen hier einige anders). Auch DER BUTT irgendwann, aber der wurde nur nach Seite 100 nur noch als Briefbeschwerer benutzt, wie später Thomas Pynchons Langweiler MASON & DIXON. Ein totlangweiliges Buch, da hat mir noch jemand fast die Freundschaft aufgekündigt: ich wollte sehen, wie sich sein Gemutszustand verwandelt, wenn er sich durch den zähnen Schinken arbeitet, dessen einzig Gutes ein sprechender Hund war. Er machte immer so auf Stoiker, aber da wurde er richtig sauer. Ich hatte es nach 7o Seiten aussortiert.

    Und wenn ich in der deutschsprachigen Literatur der letzten zehn Jahre einen MEILENSTEIN gelesen habe, dann war es Clemens J. Setz und DIE STUNDE ZWISCHEN FRAU UND GITARRE. Viele ergreifen da rasch die Flucht, weil die Protagonistin schon zu Anfang ausgibieg Schwänzen in nächtlichen Parkwelten einen blow-job verpasst, aber, meine Fresse, was für eim grandioser Roman.

  3. Martina Weber:

    Die kurzen Kurzgeschichten von Thomas Bernhard mochte ich nicht so, die sind in einem anderen Bücherregal bei den Kürzestgeschichten. Diese Texte sind nicht so bernhardtypisch. Thomas Bernhard war einer, der Platz brauchte. Kein Meister der Kurzform, aus meiner Sicht.

    Eine Zeitlang war ich ganz verrückt auf seine Bücher, wenn ich auch nicht alle, die ich im Regal habe, gelesen habe. Ich glaube, ich könnte ihn jetzt nicht mehr lesen. Alles hat seine Zeit.

  4. Michael Engelbrecht:

    Nur mal so: was alles seine Zeit hat, ist bei jedem anders.

    Und die zehn „Kalendergeschichten“ von ihm, die ich innerhalb einer halben Stunde bei einem Freund in der Mansarde las, meine einzige TB Lektüre, habe ich nie vergessen. Man muss nicht immer das sog. Meisterhafte goutieren, es reicht schon das, was einen, warum auch immer, in Bann schlägt, um eine alte Spur wieder aufzunehmen.

  5. Karsten:

    Danke für die schöne TB-Erinnerung! Ich war damals zuerst mit Hüschs Hagenbuch-Geschichten in Berührung gekommen und dadurch vielleicht schon auf den Thomas-Bernhard-Duktus eingestimmt, der mich dann naturgemäß(!) vom ersten Wort an in den Bann gezogen und dann auch nicht mehr losgelassen hat.

    TB ist für mich ein Solitär im besten Sinne – in ähnlichem Maße originell wie Arno Schmidt, auch wenn sie ansonsten kaum unterschiedlicher sein könnten. Das Misanthrope haben sie vielleicht noch gemeinsam. Ich stelle allerdings fest, dass meine Begeisterung für TB im Unterschied zu der für AS zeitlos ist und nie verblasst.

    Den Roman von Clemens J. Setz habe ich auf eine Empfehlung hier begonnen und dann tatsächlich auch bald wieder die Flucht ergriffen – nicht wegen der Blow-Jobs, sondern weil weder Figuren noch Handlung für mich im geringsten glaubwürdig oder interessant waren. Witz und Ideenreichtum gemischt mit einem irgendwie pubertären Welt- und Menschenbild. (Arno Schmidt wurde ja im Alter auch immer zotiger.)

    Der Sprachwitz allein trägt mich nicht über mehrere Hundert Seiten. Genau andersherum ist es bei TB – dessen Sprache ist ja eher reduziert, voller Wiederholungen. Und es geschieht auch eigentlich nichts Spektakuläres – von Blow-Jobs z.B. keine Spur.

    Trotzdem ist TB für mich ungleich kraft- und kunstvoller – auf Dauer auch unterhaltsamer.

  6. Michael Engelbrecht:

    Einspruch, euer Ehren: das pubertäre Welt- und Menschenbild weise ich für DIE STUNDE ZWISCHEN FRAU UND GITARRE zurück. Vielmehr ist dieser einzigartige Roman eine aufregende Studie, wie fortlaufend tiefste Schichten des Unterbewussten in Alltagswahrnehmungen einbrechen, und wie eine Persönlichkeitsstruktur aus der Abteilung BORDERLINE sich in ein würdevolles, erträumtes Leben zurückkämpfen möchte, gegen erhebliche Widerstände.

    Der Roman steht, wenn man so will, in der Tradition eines anderen grossen Romans, RAUMLICHT, von Ernst Augustin, da ging es um die Heilung einer Schizophrenie. Und ist zudem eine Art „philosophicher Thriller“. Auch eine Kunst.

    Clemens J. Setz erweist sich als Sprachmagier, der tiefer in die Wahrnehmungswelt seiner Protagonistin eindringt als Castaneda in sein alter ego. Ein berauschendes Feuerwerk ist dieser Roman, und dem Herrrn Setz so ein regressives Menschenbild zu unterstellen, nach meiner Meinung vollkommen deplatziert. Die „Heldin“ ist keineswegs als pubertäres Wesen gezeichnet. So ein Bild ensteht leicht, wenn die eigene Vorstellung von „Reife“ und „Vernunft“ unterlaufen / konterkariert wird.

  7. Lajla:

    Jan, prima gecovert, wenn du öfter den Hauptton „Ohrensessel“ eingesetzt hättest, wäre dir der Thomas Bernhard Sound noch besser gelungen. Üben kann man das an „Watten“.

    Ich verglich damals TB mit den Riffs von Eric Clapton und den Remakes von Andy Warhol. Als ich vor ein paar Jahren in Wien im Theater „Heldenplatz“ gesehen habe, freute ich mich, dass einem noch lebenden Publikum die Realität vor die Füße geworfen wurde.

    Michael, lies mal „Städtebeschimpfungen“, da kommen einige Städte, die du gut kennst, schlecht weg.

  8. Karsten:

    Ok, vermutlich wird Herrn Setz der Vorwurf der Unreife nicht gerecht. Bin ja auch trotzdem dankbar für den Tipp und fand die ersten 100 Seiten oder so wirklich amüsant, hatte aber nie den Wunsch, mehr über die Figuren oder den Fortgang der Handlung zu erfahren.

    Das geht mir bei TB oder Nabokov oder auch Genazino ganz anders. Vielleicht hat es damit zu tun, dass ich ganz ohne berufliches/medizinisches/therapeutisches Interesse lese, sondern nur zu meinem Vergnügen.

    Und: Komisch ist Thomas Bernhard natürlich auch – sehr sogar, und nicht nur seine Beschimpfungen!

  9. Michael Engelbrecht:

    Ich habe das auch ohne berufliches Interesse.gelesen, zumindest sind sie meisten, die das Buch lesen, auch keine Psychologen oder Psychiater – die sprachliche Tiefe, das sprachliche Feuerwerk, und die Hochspannung haben mich durch die Seiten gejagt.

    Ich mochte auch mal ein Genazinobuch, aber dann war alles Faszination zuende. Aber da mach ich jetzt keine Polemik, sonst wirds nur ein überflüssiges Hin und Her.

    Auf Ror Wolf können wir uns jederzeit einigen:)

  10. Karsten:

    Ror Wolf rulez!

  11. Andreas:

    Im Wiener Brandstätter Verlag ist übrigens ein wunderbares Buch erschienen:

    Thomas Bernhard.
    Hab & Gut.
    Das Refugium des Dichters.

    Fotografiert von Hertha Hurnaus


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