Tagebuch hat mich nie interessiert – die Verdoppelung des Alltags, nein danke. Im freischwebenden Flug kommen, im Kaffeehaus, im arabischen Zelt der Sauna, im Krankenhaus nach einem feinen Erlebnis mit Opium, in Sylt im Teekontor, auf der Westtribüne des Westfalenstadions, gerne ganz bestimmte Erinnerungsbilder angeflogen, die keineswegs traumatisch sind, und doch die Wiederkehr des Keineswegs-Verdrängten proben. Ich merke das, wenn ich hier ins muntere Parlando wechsle. Ja, „Repertoirestories“ besitzen mitunter Mysterien. Die letzte und ggf. harmloseste, weil sie sich nicht mal an Erzählbares knüpft, ist das Auftauchen jener Sylvia, die nicht mehr in Europa lebe, laut eigener Aussage, und mich hier fragte, ob ich ihr alter Freund Michael aus dem Notweg sei. Nun sind mir meine Teenagerjahre in jener Strasse, die so hiess, weil Rettungswagen flugs zum grossen Hospital fanden, in erstaunlich lebendiger Erinnerung, obwohl mein jüngeres Ich herzlich wenig geerdet war, aber gerade, was romantische Gefühle anging, Bücher zum Versinken, Musik als Horizont, war ich voll bei Sinnen. Wer also, um Himmels willen, war und ist diese Sylvia. Meine Ahnungen haben sich verflüchtigt. Ich glaube, die Gedanken kehren bevorzugt zu Löchern in der Zeit zurück, und selbst eine viertel-, dreiviertelwegs glückliche Kindheit hat ihr Quantum an schönen flüchtigen Rätseln.
Inzwischen kehrte die Erinnerung zurück: Sylvia Westermann.