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2018 16 Mrz

A propos Jules Verne

von: Manafonistas Filed under: Blog | TB | Comments off

1 – Meine erste Philosophievorlesung in Würzburg fand ein einem prunkvollen Raum der Residenz statt. Der Professor, tatsächlich mit wallend weissem Haar, warf Bilder an die Wand aus der Zeit der Höhlenmalerei und wollte an ihnen aufzeigen, wenn ich mich recht entsinne, wie man sich damals in die Empfindungswelt von Tieren einfühlte, um den Jagdsinn zu schulen. Ein wenig kam ich mir wie bei Jules Verne vor. 1931 entdeckten Forscher in Südfrankreich am Eingang einer Höhle eine große Muschel. Auf den ersten Blick unscheinbar, schlummerte sie jahrzehntelang in den Sammlungen eines nahe gelegenen Naturkundemuseums. Hier schien nun eine andere Art des Kreativen zu wirken. 2020 wurde diese rund einen Meter lange Muschelschale nämlich mit moderner Bildgebungstechnologie neu analysiert, und man kam zu dem Schluss, dass die Muschel absichtlich zerkleinert und durchlöchert wurde, um sie in ein Musikinstrument zu verwandeln. Es scheint sich also um ein extrem seltenes Beispiel eines „Muschelhorns“ aus dem Paläolithikum zu handeln. Und es funktioniert immer noch – ein Musiker entlockte der 17.000 Jahre alten Muschel kürzlich drei Töne. Das ist doch fast unglaublich. (m.e.)

 

2 – Eine Zeit war Jules Verne aus meinem Leben verschwunden, aber 1960, gegen Abend, tauchte er plötzlich wieder auf. In einer Collage von Max Ernst: in der Ballongondel zusammen mit Fantômas und Dante, etwas in der Hand haltend wie ein Barometer oder ein Hygrometer oder ein Manometer.


Und wieder kurze Zeit später erschien er beim Blättern in alten ¬illustrierten Zeitschriftenbänden, die mir die Antiquare damals fröhlich und rasch aus ihren Abstellkammern geholt haben, und die ich für etwas Kleingeld in großen Koffern nach Hause schleppte.

In der Leipziger Illustrierten, Jahrgang 1875, las ich: »Man liest diese Bücher anfangs mit Kopfschütteln. Wer soll heutzutage ganze Bände voller Windbeuteleien und Phantastereien lesen. Da ist die Zeit zu kostbar dazu, bald aber findet man, daß die Phantasie des Autors nur Beiwerk ist. Daß uns der Verfasser in allem Ernst« (in ¬allem Ernst! na also) »populäre wissenschaftliche Vorträge hält. Er ist ein verkappter Professor.«

Für Phantasie war also keine Zeit da. Auch 1875 nicht. Ein verkappter Professor!? Wohl doch eher einer, der sich als Professor verkleidet hat, um seine Windbeuteleien und Phantastereien an den Leser zu bringen. Nicht seine kolossalen Auftürmungen von Fakten, Zahlen und technischen Mitteilungen hatten mich fasziniert. Ich wollte Platz haben für meine Phantasie.

Und als ich im Jahrgang 1878 der Zeitschrift Das Neue Blatt las: dieser Mann belehre ja gar nicht, er »verwirre« vielmehr, weil er »die Grenzen zwischen der realen und der phantastischen Welt absichtlich verwische«. Na bitte. Ich glaube in diesem Moment hatte mich Jules Verne ganz verwirrend und ohne allen Ernst wieder für sich gewonnen. Und heute kommt es mir vor, als seien auch seine wütenden und hinterlistigen und opulenten Angebote von Details, seine stampfenden Wortreihen so etwas wie eine Vorwegnahme einer poetischen Methode von heute.

Dieser Mann mit dem Bart, der so fest auf dem Boden der Zahlen, Fakten, Belege zu stehen scheint, er springt fortwährend hinaus in eine knollige wuchernde sinnliche seltsam komische Landschaft, er springt schnaubt und fliegt in die Luft oder taucht hinab. Er bewohnt eine Welt, in der es zischt, pfeift und knallt und in der überall die mit Zahlen, Fakten, Belegen gefüllten Mundblasen aufsteigen und zerplatzen. Er läßt seine Phantasie tanzen, wie Robert Walser es mit den Worten macht.

So schwirrte ich atemlos mit Jules Verne eine Zeit durch die Gegend, bis er von der krachenden Faust Old Shatterhands zu Boden geschmettert wurde. Dann bestieg ich mein Pferd und ritt ein paar Jahre mit Bärentöter und Henrystutzen beim Untergang der Sonne davon. Schließlich verschwand ich am Horizont. Später kam wieder was anderes. So ging es weiter. Und am Ende war Jules Verne wieder da und rief unerhörte und folgenreiche Worte. Ich glaube, so war es. (r.w.)

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