Manafonistas

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2016 19 Nov

In den Niederungen einer Wojwodschaft

von: Lajla Nizinski Filed under: Blog | TB | Comments off

Das Mädchen hatte viel Schlimmes erlebt. Vom Vater verprügelt, von der Mutter verhätschelt. Nennen wir es Katinka. Als Katinka erwachsen war, kaufte sie sich ein Fahrrad und fuhr durch Niederschlesien. Sie hatte ehrgeizige Pläne. Sie wollte nach Jauer, weil sie gelesen hatte, dass dort von Mercedes Motoren gebaut werden.

Eigentlich wusste sie nicht genau, als was man sie dort einstellen sollte. In ihrem Gepäck hatte sie Henri Bergson: Das Lachen – das wüde sie geistig am Leben halten. Ihre Balaleika hatte sie zuhause zurückgelassen, um sich zu vergewissern, dass es einen Heimort für sie gab. Unter ihrem lila Anorak trug sie ein T-Shirt ihres Fußballvereins 1. FC Chronstau-Chrzastowice. Als Katinka durch das romantische Hirschberger Tal fuhr, dachte sie, dass sie gerne hier mit Miroslav Klose auf feinem Schleierleinen liegen würde und ihn danach um einen Jubel-Salto nur für sie bitten würde.

Zum Auseinandergehen würden sie dann Pravda Vodka aus kristallroten Gläsern trinken. Sie musste laut lachen, als ihr die Worte ihres letzten Kirchenbesuchs einfielen: „Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen.“ Wie sie ihre Familie dafür hasste, dass sie diesen Anweisungen von Christi folgte. Wie hinterwäldlerisch, fürsorglos und ausladend sie sie empfand. In ihrer Jugend war sie eingeteilt in der Kriegsgräberfürsorge.

Dort hatte sie kleine Särge von erschossenen deutschen Zivilisten auszugraben. Seitdem glaubte sie an keinen Gott. In der Schule hatten sie Nazideutschland durchgenommen und im Literaturkurs hatten sie Günter Grass gelesen. Der Lehrer hatte ihnen gesagt, man solle diesen Schriftsteller nicht verehren, er sei mit Hakenkreuz durch die Wojwodschaft gelaufen. Das hatte sie sofort geglaubt.

Als Katinka in Jauer ankam, traf sie vor der Herberge ihren früheren Schulkamerad, der inzwischen Marshall der Wojwodschaft geworden war. Sie fragte ihn nach Arbeit. Er fragte sie nach ihrer Ausbildung. Sie sagte: „Mechatronik“. Er: „Master?“ Sie: „Ja.“

Katinka bekam einen Job bei Mercedes. Sie nahm an vielen Fortbildungen teil: TCP/IP, DNS, WINS, DHCP. Nach einem Jahr verließ sie die Firma. Inzwischen spielt sie in einem Balaleika Orchester in Chronstau-Chrzastowice.

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