Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2016 13 Okt

The other side of „Mad Men“: Les Choses

von: Martina Weber Filed under: Blog | TB | Tags: , Comments off

Paris, Anfang bis Mitte der 1960er Jahre. Es beginnt mit der genauen und nüchternen Beschreibung einer Wohnungseinrichtung. Die Wohnung aber existiert nicht, – noch nicht. Sylvie und Jérome stammen aus einfachen Verhältnissen, sie haben ihr Studium der Soziologie abgebrochen und leben auf 35 Quadratmetern. Da ist der Traum einer endlich perfekten Wohnung, aber es geht um viel mehr: stilgerechte Kleidung, Schuhwerk, jedes Detail. Sie wollen dazugehören, ein Teil davon sein, wie ihre Freunde. Doch während sich diese nach und nach vom studentischen Leben verabschieden, klassische ungeliebte Berufe annehmen und damit beginnen, ein etabliertes Leben zu führen, verweigern sich Sylvie und Jérome diesem Muster. Sie verteidigen ihre Freiheit. Länger als es damals altersgerecht und gesellschaftlich geduldet war, führen sie – es war ein damals beliebter Studentenjob – Marktanalysen für Werbeagenturen durch, befragen die Leute auf der Straße direkt. Sie stöbern in Markthallten, auf Flohmärkten, in Warenhäusern. Es gibt das Glück eines vollkommenen Paars britischer Lederschuhe, und es gibt eine genaue Vision eines Aschenbechers, passend zum Holz eines Bücherregals. Irgenwann könnte die ideale Behausung Kulisse sein, in den Hintergrund treten. Dann wäre Aufmerksamkeit anderem zugewandt: Einem Buch, das sie lesen, einem Text, den sie schreiben, einer Schallplatte, die sie auflegen würden. Es gäbe einfache, sanfte, leuchtende Dinge. Und es würde selbstverständlich sein, ein lässiger Alltag.

Es ist der erste Roman George Perecs, erschienen im Jahr 1965. Die Distanz des Autors zum Erzählten ist typisch für den Nouveau Roman. Es gibt hier keine Wertungen, die Konzentration liegt auf Beschreibungen, auf der nüchternen Erzählung, Vor- und Rückblicken, dem Konjunktiv. Genau das macht die Botschaft subtil. Wo findet unser Leben statt? Und haben wir uns nicht alle irgendwann einmal gefragt, wann das eigentliche Leben beginnt? Frankreich im Rausch des Konsums in der ersten Hälfte der 60er Jahre. Es geht um den Balanceakt zwischen dem, was in einer Gesellschaft für den einzelnen möglich ist, und dem, was die oder der einzelne will und vermag. Ein subtiler Kontrollmechanismus. Jérome, der ein paar Notizen zum Kino macht – oder machen wollte? -, in Sfax, zweihundert Kilometer von Tunis entfernt, wo die beiden acht Monate verbringen. Der Versuch eines Ausbruchs. Es wäre leicht zu sagen, dass sich ein Wertesystem auch im Alltag bewähren muss. Der Kampf, den das Buch beschreibt, ist hochaktuell.

 
George Perec: Die Dinge

This entry was posted on Donnerstag, 13. Oktober 2016 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

Sorry, the comment form is closed at this time.


Manafonistas | Impressum | Kontakt | Datenschutz