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„Schilf“ nach Juli Zehs Roman, umgesetzt von Claudia Lehmann 2012

 

Jeder kennt Zufälle, die unser Leben beeinflussen und verändern. Sie müssen gar nicht großer Art sein, es können Kleinigkeiten sein. Gesten, ein beiläufig gesprochener Satz, ein Telefonanruf. Und sie hallen ewig nach. Manchmal beschleicht einen der Gedanke: Wenn du nochmal jung wärest und etwas anders machen könntest … Und wenn es möglich wäre diesen Zufall zu verändern? Wäre dann alles gut oder besser?

In Claudia Lehmanns Verfilmung von Juli Zehs Roman „Schilf“ (2012) wird dieser Frage nachgegangen, ebenso wie in dem mehr Beachtung gefundenen Film „Nachtzug nach Lissabon“ von 2013, nur hier viel praxisnäher und, paradoxerweise, dabei wissenschaftlicher!

Zwei Studienfreunde, Sebastian Wittich (Mark Waschke) und Oskar Hoyer (Stipe Erceg), die trotz unterschiedlicher Auffassungen in der Wissenschaft Freunde geblieben sind, haben beide Erfolg: Wittlich eher privat, er ist glücklich verheiratet und hat einen Sohn, Hoyer eher beruflich, er arbeitet am schweizer Kernforschungszentrum CERN.

Wittlich, aus dessen Perspektive der Zuschauer den Film erlebt, wohnt in Jena und ist froh, dass seine Frau ein paar Tage verreist und sein Sohn, Nick, ins Zeltlager verreisen wird. Er will die Zeit für seine Forschungen nutzen und erlebt höchst unangenehm, wie ein anonymer Anruf sein Leben verwirren wird „Stell´ dir vor, man könnte Botschaften in die Vergangenheit (oder Zukunft) schicken“ (Hoyer später zu Wittlich) – und man würde diese auch noch falsch verstehen (Schulz von Thuns Modell der Rezeption einer Nachricht wird hier nicht eingebracht, das würde den Rahmen der sehr komplexen Story noch mehr verwirren). Er versteht den Satz nicht richtig, weil ein LKW vorbeifährt und nun nimmt das Schicksal seinen Lauf. Wittlich tut Dinge, die man ihm nicht zutrauen würde. Begibt sich in Gefahr und merkt nicht, dass er das erlebt, was er in den Anfangsszenen selbst in einer Vorlesung doziert hat: Er erlebt Parallelwelten, ohne das zu ahnen. Wie sympathisch, dass ein Wissenschaftler seine eigenen Theorien in der Praxis nicht erkennt. Auch die leicht zu lässig daher getragene Art der Person Wittlich macht ihn zu einer Identifikationsfigur.

Der Zuschauer wird mit den Einzelheiten der Physik nicht überfordert, dafür sorgt die Rolle des kleinen Sohnes (Nick). Er stellt Fragen, die für den Verlauf und das Verständnis des Filmes wichtig sind. An ihm wird dem Zuschauer recht klar, wie wichtig es ist, in welchem Umfeld man aufwächst. (Nick kommt mit Fragen in Kontakt, die vielen Erwachsen sich noch nicht einmal stellen.) Die Diskussion über den Einfluss des Elternhauses auf die Zukunft von Kindern wird hier deutlich. Aber man schiebt mit diesem Gedanken aber auch Verantwortung ab (an die Eltern / Schuldzuweisung), statt sie selbst zu übernehmen (du kannst es selbst gestalten, mit was du dich beschäftigst). „Du beobachtest nur eine Möglichkeit, die andere gibt es aber auch.“

Und alles was möglich ist, passiert. Und das hält den Film bis zur Schlussszene spannend.

Der Film hallt in mir lange nach: Wie veränderst du durch dein Handeln die Welt, die andere gerade erleben? Wie verändert sich meine Welt durch das Tun der Anderen? Es ist alles in unserem Einfluss, was wir tun und wie wir etwas interpretieren. Da kommen dann die Welt der Physik und die Welt der Soziologie zusammen: Die reale Welt wird durch unsere Sozialisation (und unseren Umgang mit Normen) in undenkbar viele Möglichkeiten aufgebrochen. Wir erleben zwar nur eine davon, aber die Möglichkeiten bleiben offen. Wir empfinden das als Einschränkung. Es liegt aber an uns eine Möglichkeit auszuwählen. Wir bräuchten mehr Mut die „Fehler“ (oder Kleinigkeiten, die unserer Leben beeinflusst haben) zu verändern. „Habe das absurde Gefühl das alles selbst inszeniert zu haben.“, so Wittlich zum Ende des Filmes. Er erkennt, dass wir alle unser Leben doch

selbst machen. Eine Aufforderung an uns, Konsequenzen zu ziehen! Unser Leben – ungeachtet der Widrigkeiten unserer Vergangenheit, dessen, was wir gern im Nachhinein verändern würden – jetzt besser zu machen! Ein höchst ermutigender Film – für jeden, der darüber nachdenkt! Und ein Appell: Hadere nicht mit den Fehlern der Vergangenheit, sondern mache sie ungeschehen durch dein Handeln im Hier und Jetzt! Und auf einmal sind wir da, wo wir uns hin wünschten: Wir springen über den Schatten und erobern die Parallelwelten.

 

Ansgar Heide

This entry was posted on Montag, 10. August 2015 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

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