Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2015 5 Aug

Den Skizzen einer Landschaft erliegen

von: Martina Weber Filed under: Blog | TB | 4 Comments

Es erinnert mich daran, dass alles, was ich entdecke, auch mich entdeckt. Er hatte mir seinen Gedichtband geschenkt, ein schmales weißes Bändchen, sein Debüt, er war noch nichtmal dreißig. Seine Texte waren kurz und ziemlich harter Stoff, durchgehend klein geschrieben, „ich wünschte meine eltern wären tot.“ Ich las es auf dem Rückweg, las es im Zug und auf dem Bahnsteig, eisiger Wind jagte über die Gleise, noch 18 Minuten bis zum Eintreffen meiner S-Bahn, zehn Meter über mir lag vielleicht Schnee, gab es Fußstapfen und kleine Pfützen, die Leute unruhig in ihren dicken Jacken, mit ihren Plastiktüten und Handys. Das alles sah ich nicht und es war nicht der Winter. Sie stand mit ihren Schultern im Zimmer. Ich lief über Scherben, Blumen fielen mir aus dem Haar.

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4 Comments

  1. Liselotte:

    Ein berührender und schöner Text!

  2. Martina Weber:

    Danke, Liselotte.

  3. Lajla nizinski:

    Ja schöner Text. Das mit den Blumen stört mich ein bisschen.
    „Nicht mal 30?“ Wenn man bedenkt, was Michel Leiris „Mannesalter “ schon so jung geschrieben hat. Oder Büchner oder Bataille oder, odrrr, wie der Schwyzer sagt:)

  4. Martina Weber:

    Warum stören dich die Blumen? Es soll ja ein bisschen surreal sein, und symbolisch. Das lyrische Ich läuft ja vermutlich nicht wirklich mit Blumen im Haar herum. Und die Autorin auch nicht :)

    Heutzutage dauert die Jugend länger als vor ein paar Jahrzehnten oder Jahrhunderten. Die Anforderungen, Reife zu entwickeln, ändern sich. Der Literaturbetrieb auch.


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