Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2015 9 Jul

Jetzt im Kino: „It Follows“

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Tags: , 8 Comments

Die Musik von Disasterpeace (Rich Vreeland) ist der Soundtrack, den solch ein minimalischer Horrorstreifen benötigt. Mit Echos von Cage, Carpenter und Penderecki. Ohne die laufenden Bilder macht er nur Sinn, wenn man etwas zum Film erzählt, der in und um Detroit herum gedreht wurde. Eine urbane Kulisse, die immer mehr zur Geisterstadt taugt. Alles wirkt seltsam retro in diesem Film, der sich in einem Nirgendwann zwischen den Siebzigern und der Gegenwart zu bewegen scheint. Wenn zu Anfang die blonde Jugendliche in High Heels verwirrt auf die Strasse läuft, wähnt man sich in einem Traumszenario.

Überhaupt scheinen sich die jugendlichen Protagonisten in einer Art Blase zu bewegen, zwischen der Zeit des Erwachsenseins und den Geschenken der Kindheit, die immer noch den grösseren Charme besitzen. Man liest auf E-Books (die wie digitale Poesiealben aussehen) Dostojevskis „Idiot“, man guckt alte Schwarzweissfilme mit Cops und Sternenreisenden, man ist vielleicht ein wenig gelangweilt, aber man ahnt und weiss, wie wichtig Freundschaften sind. Die Geschwister zicken nicht miteinander, man ermutigt sich, in dieser Welt, in der die Erziehungsberechtigten ein relatives Schattendasein führen. Und wenn dann das Grauen zur permanenten Bedrohung wird, ist Freundschaft allemal gefragt. Was ist man bereit zu geben, zu teilen?

Als Genrefilm bleiben verstreute Verweise auf andere Klassiker des Horrors im Vorstadtamerika nicht aus, von „Blue Velvet“ über „Carrie“ bis „Halloween“, aber nicht als ausgeklügelter Subtext für Filmjunkies – alles ist organisch verwoben, es gibt keine einzige überflüssige Szene in einem Film, der trotz einer unheimlichsten Strecken immer noch Momente unter einem dunklen Sommerhimmel findet, in der reine sanfte Melancholie herrscht, und die Gewissheit, dass die Kindheit ein für allemal vorüber ist.

Genau wie der Western, dessen Ende regelmässig verkündet wird, ist auch der Horrorfilm einfach nicht totzukriegen. Immer wieder mal kommen da wie dort kleine Meisterstücke zum Vorschein, die so „creepy“ sind, dass  manche sich an die erste Gänsehaut im Kino erinnern werden. Dieser Film ist so raffiniert, dass man leicht alle Requisitenkammern vergisst, sogar die Tüte Popcorn in der Hand. It will follow you.

This entry was posted on Donnerstag, 9. Juli 2015 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

8 Comments

  1. Lajla Nizinski:

    Meine erste Gänsehaut hatte ich in dem Film: „Wer die Nachtigall stört.“ Gruselig und unvergesslich die Szene, in der den Kids aufgelauert wurde.

  2. Michael Engelbrecht:

    Ja, ein wunderbarer Film für uns Kinder! Harper Lee: was, wenn man ihr Buch heute lesen würde, ich kenne nur den Film.

  3. Michael Engelbrecht:

    Als BluRay/DVD soeben in England erschienen.

  4. Uwe Meilchen:

    Re: Erste Gaensehaut beim Filmeschauen … Ich kann mich noch gut erinnern, wie mich das Anschauen von „Die Nacht des Jaegers“ mit Robert Mitchum in der Regie von Charles Laughton (seine einzige Regiearbeit!) „mitgenommen“ hat. Ein Meisterwerk, dieser Film !

  5. Martina Weber:

    Erziehungsberechtigte werden gern überschätzt :)

    Eigentlich wollte ich, als ich deine Besprechung las, sofort ins Kino, aber auf DVD würde ich den Film lieber sehen …

    Der Film passt in eine Linie mit einigen, die ich kürzlich gesehen habe: vor ein paar Monaten „Fog“ und erst kürzlich „Blue Velvet“ und „Inland Empire“ von David Lynch. Ich gehöre ja zu den Leuten, die sich richtig erschrecken beim Filmeschauen und die auch ab und zu wegschauen. „Blue Velvet“ und „Inland Empire“ sind beide auf ihre Weise großartig in der Traumstruktur, wobei „Inland Empire“ raffinierter ist, weil du da ständig den Boden unter den Füßen verlierst und überhaupt nicht weißt, was Film im Film ist (für diejenigen, die diese Arbeit nicht kennen: Es wird ein Film gedreht) und was die Realitätsebene des Films ist (wenn überhaupt Realität), besonders eindringlich in der Sterbeszene, in der Laura Dern, nachdem sie irgendwann erschöpft auf die Straße gefallen ist, immer schwächer wird und die schwarze Obdachlose für sie das Licht eines Feuerzeugs anzündet, um das Sterben zu erleichtern. Eine der eindringlichsten Szenen, die ich je im Kino gesehen habe. Laura Dern spielt ja auch bei „Blue Velvet“ mit. Tja, 1986 hat die Mode jeden Frauenkörper ruiniert …

  6. Michael Engelbrecht:

    Alle Manafonisten sind herzlich eingeladen, am Samstag im Marais Platz zu nehmen im Breizh Cafe, wo es so atemraubende Galettes gibt. Und Cidre, den besten der Welt.

    Um 12 Uhr werde ich vor Ort sein. Gregor sollte neben Lajla Platz nehmen. An der anderen Seite des Tisches. Ich betreue einen humorlosen Rottweiler auf dieser Reise, der wirklich bissig ist. Ich gebe den Hundeflüsterer. Verhaltenstherapie wird oft unterschätzt, bei harten Hunden funktioniert sie gut. Ein Hund, der Psychoanalyse kriegt, wird erst richtig bekloppt.

  7. Michael Engelbrecht:

    Am 20. August mache ich mit Hans G. an einem geheimen Ort in Bergisch-Gladbach ein kleines Filmfestival.

    14 Uhr Blade Runner
    17 Uhr It Follows
    20 Uhr The Train

    Wer vorbeikommen möchte, schickt mir eine private Mail. Getränke und Essen gehen aufs Haus. Die Filme auch. Der Komponist von Disasterpiece ist anwesend (total netter Typ). Bitte Email an meine Adresse.

    Maximale Teilnehmerzahl: 12

  8. Rainer Harazim:

    @Martina Weber

    A propos Gänsehaut, die bekam ich, nachdem ich den Film vorhin im Kino gesehen habe, beim Lesen der Kommentare. Lieber auf DVD als im Kino? SHUDDER!


Manafonistas | Impressum | Kontakt | Datenschutz