Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

Vorbemerkung: Es gibt Gedichte, die kann man getrost zu bestimmten Anlässen zum Besten geben. Sie sind formvollendet, enthalten „bonmots“, schöne Wörter, Sinnsprüche, Geflügeltes. Diese Gedichte sind gut benutzbar, alltagstauglich, und schaffen schnellen Konsens. Und es gibt Gedichte, wie diese hier aus dem Jahre 1979, die kommen wie harte, luftig verdichtete „short stories“ daher, addieren seltsame Bilder, schaffen Unbequemlichkeiten, und sind, im Finsteren, so atemraubend, dass die Seiten beim Blättern noch nachzittern. Ihnen ist etwas Filmhaftes zu eigen, eine Schwärze, die man nicht abmildern kann mit den einschlägigen Schauspielern, Plots, und Regisseuren. Diese Gedichte sind nicht allseits zitierfähig, man bleibt in ihrem spannenden Gestrüpp hängen, man ist mit ihnen untröstlich tröstlich allein. Und man findet sie nur noch antiquarisch. 1979 erschienen auch die Schallplatten  „Fear of  Music“  von den Talking Heads, John Surmans „Upon Reflection“ (ECM) – und dieser Text von Friederike Roth. (M.E.)

 

Diese Gedichte kommen beim ersten Lesen auf eine gewiß nicht übliche Weise „rüber“, indem sie einen ganz umstandslos zum betroffen Beteiligten machen. Das scheint zunächst und auf den ersten Blick bloß an deren thematischem Zusammenhang zu liegen. Wollte man der oberlehrerhaften Frage, worum es denn gehe in diesen Gedichten, nachgehen, könnte man sie als Variationen zum Thema „Ende einer Liebe“ kennzeichnen.

Daß es naiv wäre, in einem solchen sozusagen aus dem vollen Menschenleben gegriffenen Thema nur den Vorteil zu sehen, den die dabei möglichen Identifikationserlebnisse bieten, muß kaum gesagt werden. Wie gefährlich es ist, wenn „ein einziger Mensch / so bodenlos, verletzbar und unbeständig“ eben seine Verletzung mitteilend preisgibt, weiß jeder, der schon mal unfreiwillig komisch wirkte mit seinem Elend.

Wie also, fragt man sich, neugierig und vorsichtig geworden, schaffen sich diese Gedichte ihre ambivalente Atmosphäre zwischen „Ja, genau, kenn ich“ und „Was, wieso denn“? Wenn einem Vertrautheit fremd gemacht wird, will man mehr und Genaueres wissen. Meckels Gedichte müssen, dieser seltsamen Vertrautheit, bloß vordergründig vertrauten Fremdheit wegen, wieder und gründlicher gelesen werden.

Dann stellt man fest, daß es sich dabei um Variationen handelt. Es gibt Variationen, die ihr Thema erbarmungslos zu Tode trampeln. Und es gibt Variationen, die ein zunächst karg angedeutetes Thema entfalten und damit dessen Facetten erst enthüllen. Meckels Gedichte sind Variationen solcher Art. „Du gibst keine Antwort, und ich frage nichts. / Im Fensterglas verdampft eine Tasse Tee. / Das Schweigen ist eine schlechte Gewohnheit / und schützt die Geheimnisse nicht…“

Und Christoph Meckel schweigt nicht und schützt die Geheimnisse doch?

Wie bewußt und sicher hier tatsächlich im trotzigen Nicht-Verschweigen Geheimnisse geschützt werden, zeigt sich im Detail. Eine Art beiläufige Lässigkeit fällt auf, die immer dann eingesetzt wird, wenn die Gedichte sich gefährlichen Abgründen nähern: „das Bett ist schon hier, dein Bademantel, und erst der Tod / nur du selber fehlst noch, dein Atem, dein Lachen für zwei“ – mit diesem „und erst der Tod“ wird ein Schrecken so flüchtig skizziert, wie er gelegentlich einzubrechen pflegt ins Lachen.

Überhaupt: Das Lachen in diesen Gedichten ist meistens Signal. Licht, Helligkeit, Sommer, Lachen – dieses begriffliche Arrangement scheint fast bloß Kontrastmittel zu sein. Der dabei durchscheinende „plötzliche Anblick der Zukunft“ muß wirklich kaum noch ausgesprochen werden: „Sie lacht, sie schenkt mir Rasierzeug, Tabak und Wein / sie küßt mich erbarmungslos und umarmt mich sehr …“ Da ist, mit „erbarmungslos alles gesagt. Deutlicher noch, vielleicht schon allzu eindeutig, zeigt sich diese Kontrastierung in den Zeilen: „Es ist das Umarmen im Licht, ein Lachen, Erlöschen / im offenem Sarg aus Süßholz und einmal für immer / Der Handschuh, der Shawl, die Wimper, das Nagelscherchen.“

Es gibt in diesen Gedichten noch sehr viel mehr Zeilen, die im Licht den Schatten, in der Helligkeit das Dunkle mit setzen; Zeilen, in denen der Graphiker Meckel – spürbar wird. Es scheint mir müßig, den Graphiker gegen den Lyriker ocer umgekehrt ausspielen zu wollen. Trotzdem bleibt mir, gerade der souverän gehandhabten Hell-Dunkel-Technik wegen, ein Verdacht – als ließe Helligkeit sich so selbstverständlich umsetzen in Lachen, wie abgründig es immer sein mag. Mein Unbehagen gegenüber derartigen Umsetzungen wird immer dann deutlich, wenn ich mich aus der Meckelschen Perspektive löse und mir beispielsweise im Anschluß an die Zeilen: „…so daß ich (der alles versuchte) dir gegenüber / da bin, ohne zu wissen, wie man das macht: / dich heimzuholen in das Licht und den Sommer“ die Frage stelle, ob dieses Du nicht vielleicht eher im Dunkel heimisch sein möchte.

Mir ist klar, daß diese Frage gewissermaßen außerliterarischer Natur ist. Sie führt aber weiter – nämlich mitten in die Unbedingtheit der Sichtweise eines Getroffenen, dem die Möglichkeit, von der eigenen Betroffenheit sich wegzustehlen, nicht zur Verfügung stehen kann. Da bleibt dann wohl wirklich nur die Imponiergeste zur Selbstrettung: das Überlegenheit vortäuschende „Madame“- oder „Mein Engel“ Sagen, mit dem sich da einer schützt, der weiß, daß er verloren hat; aber auch einer, der weiß, wie man sich mit fast unheimlichem Schwung ins Netz der Literatur vorm außerliterarischen Abgrund rettet.

Wenn Meckel weniger effektsicher arbeitet, wenn er auf die gekonnte Selbstbehauptung verzichtet, teilt sich eine Irritation als Folge des erlebten Verlustes unmittelbar mit. Es gibt in diesen Gedichten genaue Bestandsaufnahmen von Hilflosigkeit, Eifersucht, Verlustangst und Verlassenheitserfahrung: „Sag mir, ob dich mein Bart stört./ An dir stört mich nichts.“ Es stimmt; wenn der Andere sich abzuwenden droht, fallen einem diese lächerlichen Kleinigkeiten wie zum Beispiel der Bart, der stören könnte, als Grund ein. Auf ähnliche Weise wirken der Gürtel eines Bademantels, oder „der Handschuh, der Shawl, die Wimper, das Nagelscherchen“ wie ein Tiefschlag: „Ich fand den Gürtel ihres roten / Bademantels unter der Treppe nachdem sie / lange schon abgereist war, und nachts. Ich hatte / keinen Tiefschlag mehr erwartet. / Anfangen zu leben mit nichts / und einem Gürtel.“

Es sind diese Kleinigkeiten, die den Schmerz wach halten und alles wieder von vorn beginnen lassen: „das Ja, das Nein, das Vielleicht / die gurrende Hölle“.

In der Genauigkeit solcher Beobachtungen scheint mir die Stärke dieser Gedichte zu liegen. Die diese Wahrnehmungsschärfe verursachenden Gefühle vermitteln sich durch die registrierten Wahrnehmungen intensiver als durch den (zuvor benannten) Versuch, mit Lässigkeit die eigene Getroffenheit mit großer Anstrengung zu verbergen.

Doch zeigt Meckel selbst, wie man enttäuschte Hoffnungen und den sich gegen Enttäuschung stemmenden Trotz leise und ohne die große Geste artikulieren kann: „Es fehlte nichts und jetzt fehlt alles.“ In dieser ebenso lapidaren wie, in ihrer fast kindlichen Unbedingtheit, rührenden Behauptung scheint durch, was diese Gedichte mehr sein läßt als bloß sichere Auslotung des eigenen Lebens: nämlich ein noch in der Negation nicht aufgegebenes, erbittertes Beharren auf diesem Alles, auf der Utopie vollkommener Geglücktheit. Von hier aus auch legitimieren sich so assoziationsgeladene Chiffren wie „Babylon“, „Arkadien“, oder das „Königreich Shin“, die zwar skeptisch zurückgenommen scheinen („Arkadien, falls es das gibt…“), aber eben noch im Zurücknehmen aufgehoben bleiben.

Vermutlich liegt hier ein Grund für die anfangs bloß verwundert konstatierte Betroffenheit, in die man durch Meckels Gedichte gerät: Da zeigt einer im Beschreiben des Scheiterns das, was dieses Scheitern sozusagen überhaupt erst erwähnenswert macht – das Festhalten an der Möglichkeit von Glück trotz der erfahrenen Vergeblichkeit. Und genau damit tritt eine den Bereich der persönlichen Erfahrung überschreitende Dimension ins Blickfeld. Da wird nicht eingewilligt ins Scheitern, mit der Vergeblichkeit kein rührseliger Friede gemacht. Da bleibt ein Widerstand.

This entry was posted on Donnerstag, 30. April 2015 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

1 Comment

  1. Michael Siegers:

    Hi, bin auf der Suche nach einem Gedicht. Habe es Ende der 80er gelesen. Es beschreibt eine Verlusterfahrung aus der Perspektive des Erfahrenden. Bin ziemlich sicher, dass es von Meckel stammt. Dachte an Souterrain, hab’s dort nicht gefunden. Wenige Zeilen, vielleicht 12. Endet auf „… und friere.“.

    Wäre überglücklich, könnte mir jemand einen Tipp geben.

    Euch Dank vorab,
    Michael Siegers


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