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2015 14 Apr

„Fuck me, I’m fallin‘ apart“ – ein Gespräch

von: Manafonistas Filed under: Blog | TB | 2 Comments

manafonistas headquarter: Ist das wahr, dass du restlos begeistert bist von BEAT THE CHAMP, der neuen Platte der Mountain Goats?

 

michael engelbrecht: Restlos. John Darnielle erkundet diese brutale, verrückte Welt des Wrestling, vor der grossen Kommerzialisierung, ein Mix aus Erinnerungen, Imaginationen wahrer Ereignisse – Lieder aus einer Schattenwelt mit schrägen Helden und realen Schurken. Es ist eine bizarre Welt, das Wrestling, aber wenn ich an meine frühe Kindheit denke, mit Konrad Adenauer, Nazikreuzen an der Kellerwand, Kinderschlägern in der Nachbarschaft, Heinz Rühmann-Filmen und Schlagern von Freddy Quinn, das war auch bizarr.

 

mhq: Wie erklärst du dir die Jazzanklänge auf dem Album?

 

me: Wirklich interessant, soviel Jazzspuren gab es bei den „Bergziegen“ noch nie, selbst als Erik Friedlander mal mit im Studio war. Und soviel ist es ja auch nicht. Aber einmal meine ich den Anklang an eine Coltrane-Komposition zu hören, dann wieder feines „jazz drumming“, kaum ein Rezensent geht darauf ein. Vielleicht hatte John damals im Radio Jazz gehört, und ohne Insider in der eigenen Familie oder im Freundeskreis, ist das eine ziemlich seltsame fremde Welt, wenn man ihr als Teenager, sozusagen im Zustand der Unschuld, begegnet. Vielleicht kam der Jazz John so exotisch vor wie das Wrestling.

 
 
 
 

 
 
 
 

mhq: Das zweite Album, das dir anno 2015 offenbar so nahe gegangen ist, wie kaum ein anderes, stammt von Aidan Moffat und Bill Wells, THE MOST IMPORTANT PLACE IN THE WORLD.

 

me: Ein grosses Album über eine verfallende Stadt voller Verlockungen. Ein Liederreigen mit detaillierten Beschreibungen des urbanen Niederganges, sexuell aufgeladene Szenerien, alles ohne nostalgische Überlagerung. Jeder Song schlägt sich in eine andere dunkle Gasse.

 

mhq: Bill Wells kennt man ja u.a. als Pianist des National Jazz Trio of Scotland.

 

me: Was ja gar kein Trio ist und kaum Jazz, schottischer Humor! Tatsächlich war Bill Wells zögerlich, auf diesem Album Saxofonsounds zum Einsatz zu bringen, weil da all die Klischees drohen aus alten Soundtracks: einsame Saxofonsounds über regennassem Boulevard. Aber dann hat er es doch gemacht und im dritten Song eine kurze schmerzhafte Jazzkakophonie eingebaut! Und Aidan Moffat erfüllt das alles mit zusätzlichem Leben, zwischen Sprechgesang und Ohrwurmmelodien. Da haben sich zwei gefunden, denen das Normale, der Mainstream, jeder allzugut gepflegte Geschmack abhanden gekommen sind. Hör dir mal das Album von Lucky Pierre alias Aidan Moffat an. Post-Les-Baxter-Exotica, traumverloren. Kommt besonders gut mit einem Martini Rosso voller Eiswürfel.

 

mhq: Hatte das Duo eine bestimmte Stadt im Sinn?

 

me: Nein, das bleibt abstrakt. Alles andere ist überhaupt nicht abstrakt. Der letzte Song der CD beschreibt die fortlaufende Auflösung einer Strasse, über alle Berufssparten hinweg. Und wer und was so wegstirbt. Was bleibt, sind die alten Bewohner. Es klingt, als würde sich so etwas wie Heimat vor deinen Augen in Zeitlupe auflösen. Grossartiges Finale, und dann tickt, gnadenlos, ein Metronom.

 

mhq: Also weder London noch Glasgow?

 

me: So weit ich das an den Texten erkennen kann, ist es anders als auf Ry Cooders „Chavez Ravine“, jenes fantastische Album von Ry Cooder beschrieb ja die systematisch Zerstörung eines Latinoviertels in Los Angeles, um amerikansichen Baseballträumen einen Raum zu schaffen. London ist es gewiss auch nicht, obwohl das auch eine Stadt nah am Kollaps der Sozialdienste ist. Wer dort lebt, muss oft einen beträchtlichen Teil seines Gehalts für oft spärlichen Lebensraum ausgeben. Die Preise und Mietpreise für Appartments sind in absurde Höhen geschossen – da gibt es ausländisches Geld, das da massiv reingeballert wird, Marmorhallen im Foyer, der Rest rausgeputzte noble Tristesse. Die Gesetzgebung verlangt nun, dass auch ein gewisser Prozentsatz von Arbeitslosen und Armen dort wohnen muss. Die Eigentümer regeln das so, dass diese Minderheit das Haus nicht durch den Haupteingang, sondern durch die „poor door“ betreten muss.

 
 

 
 

mhq: Das dritte Album, das dich voll gepackt hat, ist CARRIE & LOWELL von Sufjan Stevens

 

me: … und es wird ja überall als Meisterwerk gepriesen, da sollte ich skeptisch werden, ha. In der Tat wird man das Album in einem halben Jahrhundert neben Joni Mitchells Album Blue, neben Nick Drakes Pink Moon platzieren, und in diese dünne Wipfelregion gehört es auch hin. Weg vom opulent instrumentierten Experiment, weg von seiner zuletzt verquasten Avantgarde, ist dieses Werk, in aller Privatheit, in aller Erzählung von Verlust, Trauer und Auseinanderfallen etwas, das bei vielen Menschen einen tiefen Widerhall auslösen wird.

 

mhq: Es ist so sparsam gestaltet.

 

me: Und doch täuscht diese Art von Askese über den Reichtum im Detail leicht hinweg. Flüchtig gehört, wirken all diese Liederr recht ähnlich, je öfter man sich auf die Musik einlässt, desto mehr wird spürbar, welche Palette von Emotionen in kleinsten Zeitspannen, Zeilensprüngen, Sekunden freigelegt wird.

 

mhq: Du spielst drei Songs dieser Alben nacheinander, in der „Radionacht Klanghorizonte“ am 18. April.

 

me: In gewisser Weise, ja. Ich sage eine ganze Zeit lang kein Wort, es kommen drei Songs aus diesen drei Alben – dass ich da ruhig bin, ist nur gut, zudem verdient jeder dieser Songs einen Nachklang, ein Instrumentalstück, das natürlich auch für sich allein bestehen kann. Noch mehr Raum, etwas nachwirken zu lassen.

 

mhq: Und was für Zwischenspiele sind das?

 

me: Betriebsgeheimnis. Nur soviel: ein absoluter stilistischer Bruch, und doch eine perfekte Sequenz, diese fünf Tracks in dieser Reihenfolge. Allerdings, ähem, könnte das eine Minderheitenmeinung sein.
 

This entry was posted on Dienstag, 14. April 2015 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

2 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

     
    Now that I fell into your arms
    My only lover
    Give out to give in
    I search for the capsule I lost
     
    Drag me to hell in the valley of The Dalles
    Like my mother
    Give wings to a stone
    It’s only the shadow of a cross
     
    I slept on my back in the shade of the meadowlark
    Like a champion
    Get drunk to get laid
    I take one more hit when you depart
     
    I’ll drive that stake through the center of my heart
    Lonely vampire
    Inhaling its fire
    I’m chasing the dragon too far
     
    There’s blood on that blade
    Fuck me, I’m falling apart
    My assassin
    Like Casper the ghost
    There’s no shade in the shadow of the cross

     

  2. Martina Weber:

    Wow!


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