Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2014 26 Okt

Die Zeitvertreiber (für Craig Johnson und die Longmire-Mysteries)

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 2 Comments

Nichts ist so uninteressant wie „small talk“ mit sog. „guten Bekannten“. Man bespricht die neuesten Diäten, die schönsten Reiseziele, man hält den Alltag stabil, und folgt den gut geübten Regularien der Vernunft. Man will ja keinem was Böses, stolpert natürlich ständig über die allseits grassierende Dummheit, und kann aufatmen, weil es mit einem selbst nicht ganz so weit bergab gegangen ist. Am Ende steht sowieso ein „Schachmatt“, und wer an Gott glaubt, der kann sich auf die nächste Schachpartie im Jenseits freuen. Nur blöd, dass im Hintergrund womöglich diese himmlischen Engelschöre rasch den Wunsch wach werden lassen, „Napalm Death“ würden doch noch eine Platte aufnehmen, oder die „Butthole Surfers“, oder wenigstens die „Dead Kennedys“.

Was mich wirklich krank machen würde: Richard Wagner im Paradies hören zu müssen. Neulich traf ich einen erhitzten Kulturkenner, der sich entrüstete, wie ich Mahler lieben und Wagner ablehnen könnte. Der hielt mir dann einen zweiminütigen Vortrag über die Qualitäten dieses Komponisten, bis ich ihn ausbremste und ihm sagte, ich brauche keine Vorträge, sondern einen Teller Gulaschsuppe, und er solle das doch bitte alles seinem Kanarienvogel erzählen. Menschen richten sich gerne in ihrem Wissen und ihrem Status und ihrem Ruf und ihrem wacker trainierten Selbstwertgefühl ein, statt ihr eigenes Unwissen, ihr Stochern im Dunkeln viel höher zu schätzen.

Als ich an der „praia de la costelejo“ beim Baden in akute Lebensgefahr geriet, hatte ich das Pech, dass meine Hilfeschreie durch den Wind nur zum Meer hinausgetragen wurden: die Schreie waren der ehrlichste Ausdruck meiner Hilflosigkeit, und nur mein elendiges Strampeln und Stolpern liessen einen Strandwärter aufmerksam werden. Wochen später, nachdem die unzähligen Schürfwunden verheilt waren, hatte ich noch eine Rechnung mit der Küste offen. Ich hatte einen einsamen Entschluss gefasst, und bin nach Faro geflogen. Die dritte Wellenzone tötet dich, da hast du kaum eine Chance. Ich besorgte mir ein Nachtsichtgerät, so dass ich die Gischt auf mich zurasen sehen konnte, und im Totentanz eine gute Figur abgeben. Der Neoprenanzug sorgte dafür, dass ich nicht fror, Manuel hatte mich mit einem Boot zur Wellenzone III gefahren, der Todeszone, und ich sagte ihm, er solle nach Hause fahren zu seiner Frau, und wünschte ihm von Herzen, dass er guten Sex mit seiner Liebsten habe. Ich würde mir hier eine Meeresjungfrau suchen. Ich gab ihm 1500 Euro für die Ausrüstung. Fünf Minuten war der Tanz eine seltsame Exstase, dann brannte im Nachtsichtgerät eine Sicherung durch, und es wurde rabenschwarz. Im nächsten Moment erwischte mich eine Welle und riss mich ins Meer.

Ich verlor das Bewusstsein, und wachte in einem Kinosaal auf. Kein Wagner, keine nervenden Engel, Werbung für Volkswagen. Dieser Nick Drake-Song, ich musste lachen. Neben mir sass ein seltsamer Dorfdichter, und erzählte mir, er sei in der Stimmung, sich zu prügeln. Der nächste Idiot. War ich vielleicht doch in einem dieser Danteschen Höllenkreise angekommen? Dann lief dieser gnadenlos gute Film der Coen-Brüder, „Inside Llewyn Davies“, die wahre, an den Rändern frei erzählte Story eines talentierten Folksängers, der einfach nie ins grosse Rampenlicht finden konnte, ein Schattenmann neben Bob Dylan. Kaum war der Film zuende, zeterte der Kulturarbeiter neben mir lauthals los: er wolle sein Geld wieder, das sei ja völlig depressives Zeug. Keine Spur von Respekt für die Zuschauer, die den Film im Abspann nachwirken lassen wollten; dieser streitsüchtige Spinner geriet jetzt erst in Hochform. Ich erinnerte mich daran, wie ich in diesem Jahr auf einer Autobahnraststätte einem osteuropäischen Lastwagenfahrer, der mich mit seinem Laster kilometerlang terrorisiert hatte, das Nasenbein gebrochen hatte (meine erste Prügelei seit gut zwei Jahrzehnten), und ich dachte, ob ich jetzt eine kleine Persönlichkeitsveränderung durchlaufe. Und den Schläger in mir rauslasse. Ich atmete tief durch, und sagte dem Clown, dass er seine dumme Fresse halten solle. Er stotterte etwas rum, und war dann still. Mit was für einer Scheisse man sich mitunter abgeben muss!

Gut tun mir nur noch Menschen, mit denen man Pferde stehlen kann. Menschen, zu denen man zu jeder Tages- und Nachtzeit eilen würde, um ihnen in jedweder Not beizustehen. Verlässliche Menschen, keine Untoten, die in den Rotary-Clubs dieser Welt ihren Bauchnabel einpinseln. Dieses sich selbst so gern belauschende Strandgut der „wilden Sechziger“. Niemand braucht Zeitvertreiber und Energieräuber. In der Nacht, als ich mit viel Glück meinem Aggressor eine massiv blutende Nasenfraktur beigefügt hatte (ohne den Schlag mit meiner Autotür vor sein Gesicht wäre ich wohl zu Gemüse verarbeitet worden!), bin ich auf der A 45 auf den nächsten Rastplatz gefahren (im Radio lief während dieser Nacht fünf Stunden lang das traurig-erhabene Abschiedsalbum „Distance“ von Dan Michaelson & The Coastguards, was für ein Soundtrack!). Ich war der einzige Gast, die junge Frau hinter dem Ausschank eine Fremde („small talk“ mit Fremden kann guttun).

Als ich zum Auto zurückging, sagte ein Mann (Typ: Staubsaugerverkäufer, verklemmt) einer Frau, sie möge sich verpissen, und er nannte sie „Fotze“. Ich ging zu den Beiden und fragte, was los sei. Sie habe dem Freier einen geblasen, und er wolle ihr nicht die 50 Euro geben. „Nein, weil diese Schlampe zu schnell gemacht hat, und ich sofort gekommen bin.“ Ein Widerling reinsten Wassers. Und ich spielte das Spiel. Ich fingierte einen Anruf auf dem Revier, sagte Herbert, wir hätten hier am Rastplatz Sowieso einen Acht-Dreier, ich würde das deeskalieren, wenn sie in zehn Minuten nichts von mir hören würden, sollten sie die Kavallerie schicken, und dann gab ich dem fiktiven Kollegen noch die Autonummer durch. Der Mann war klein mit Hut und befolgte meine Anweisungen, eine nach der andern: er entschuldigte sich, zahlte, auf meine Aufforderung hin, für sein schlechtes Benehmen 100 statt 50 Euro, und trollte sich. Als er weg war, sagte ich der Freizeitprostituierten, sie möge ihren Lebensplan noch mal überdenken, und fuhr los. Road to nowhere. So ist es doch: man kann die eingeschliffene Routine bis zur letzten Morphiumspritze auskosten, oder sich an den den guten alten Neil Young-Song erinnern, mit den Zeilen: „it’s better to burn out than to fade away“. Ich habe mir gestern eine Reiseführer für Wales besorgt. Wales im späten November. Das ist jetzt der Plan. Bis ans Ende der Nacht fahren. Mit meinem Toyoten. Allein.

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2 Comments

  1. Wolfram:

    Da ist ja mehr action und thrill drin als auf 200 parallelgelesenen Pynchon-Seiten!

  2. Michael Engelbrecht:

    It’s the same story the crow told me; it’s the only one he knows. / Like the morning sun you come and like the wind you go. / Ain’t no time to hate, barely time to wait, / Wo, oh, what I want to know, where does the time go?

    (From: The Grateful Dead: Uncle John’s Band“)

    In den Romanen von Craig Johnson kommen öfter Krähen vor, Raben, grosse Eulen. Teil der Indianermythologie. Ein zentrales Thema seiner Longmire-Romane ist Freundschaft, Vertrauen, und die Grauzonen, auf die man sich mitunter einlässt, um Wahrheiten ans Licht zu bringen. Und es geht um selbstgewählte Phasen der Zurückgezogenheit. Ich hatte stets diese Dinge, umd bestimmte Szenen aus der „Season 3“ vor Augen, als ich den Text schrieb, in dem allerdings so gut wie nichts erfunden ist. Nur, ob ich in Wales ankomme, Ende November, ist noch offen.


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