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2014 24 Aug

Fünf musikalische Gedanken

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 2 Comments

1) Ich kann mich nicht erinnern, in den letzten Jahren ein fast nur aus akustischer Gitarre und Gesang bestehendes Album so oft hintereinander gehört zu haben wie das neue Album von Mirel Wagner. Wahrscheinlich ist mir dabei pro Hördurchgang mehrfach der Kiefer nach unten gefallen, was einen leider etwas dämlich aussehen lässt, aber es war ja keiner da. Trotz der versammelten Düsternis der Stories kein falsches Pathos, kein Kokettieren mit den Wurzeln im Mississippi-Delta. Unfassbares Album. Sollte ich vor der Wahl stehen, würde ich es (auf dem Weg zur einsamen Insel) Schuberts „Winterreise“ vorziehen. Dass jetzt Klassikpuristen die Nase rümpfen, und eine  kleine Besserwisserei aushecken, entlockt mir ein entspanntes Grinsen.

 

2) Als ich Thomas Köner (wir kennen uns ganz gut aus alten Dortmunder Tagen) in einer bestimmten Angelegenheit kontaktete, schickte er mir ein neues Musikstück, 5 Minuten und 39 Sekunden lang. Obwohl ich seine Arbeiten seit seiner frühen Zeit bei Barooni kenne, kam ich aus dem Staunen nicht mehr raus, als ich dieses Kleinod hörte, auf dem wohl tatsächlich ein Klavier zu vernehmen ist, nicht das, was man auf einem Köner-Album erwartet. Da im Herbst neue Musik von ihm erscheinen wird, werde ich kurz vor Weihnachten in der Radionacht „Klanghorizonte“ eine ganze Stunde seiner Musik widmen. Wenn Avantgardisten mit der Postmodene des Pop kokettIeren und zum Piano greifen, kommt meist irgendein Erik Satie-Nostalgie-Trip ins Spiel. Nicht so bei Thomas! Der denkt überhaupt nicht in solchen Kategorien.

 

3) Das – ich sag es mal extra schlicht – einfache, zu Herzen gehende Lied zu spielen, das von ganz persönlichen Dingen erzählt, von der Kneipe nebenan, von Freunden, vom Familienleben, „home stories“ sozusagen, ist für meine Ohren meist eine Aufforderung, das Weite zu suchen. Es sei denn, einer macht es mit der Finesse eines James Yorkston, zu hören auf seinem neuen, bei Domino erschienenen Album.

 

4) Als ich vorgestern mit Arve Henriksen über die im Herbst bei Rune Grammofon erscheinende Platte „Supersilent 12“ sprach, erzählte er mir, dass die Musik des Trios zum grossen Teil in einem Mausoleum mit enormen Nachhallzeiten entstanden war. Was natürlich auch eine andere Art, mit dem Raum zu interagieren, nahelegt. Als er später die Aufnahmen hörte, war er überrascht und stellte verwundert fest: „Was? Das sind wir? Supersilent?“ Es ist immer ein gutes Zeichen, wenn Musiker von ihrer eigenen Arbeit völlig überrascht werden, statt ein ums andere Mal die vertraute Norm zu erfüllen, übermässig zu erfüllen. Supersilent ist ein Musterbeispiel dafür.

 

5) Völlig schleierhaft ist mir (ich weiss, mein Lieblingsthema, aber ich lasse nicht locker), dass der Komponist und Songsammler für die beste TV-Serie des Jahres 2014, T Bone Burnett, zusammen mit dem Regisseur Nic Pizzolatto noch keinen offiziellen Soundtrack zu „True Detective“  rausgebracht haben. Eivind Aarset und ich waren uns völlig einig, als wir im Züricher Flughafen unsere Lieblingsserien besprachen, dass die Texturen von Instrumentalstücken, Songs und Film selten so eine Einheit bildeten wie in diesem amerikanischen Alptraum. Ein Problem mag sein, dass es einfach zu viele Songeinblendungen sind, aber man könnte aus den „instrumentals“ von Burnett und ausgewählten Songs allemal eime essentielles Album kompilieren. Der Titelsong und das letzte Lied aus der letzten Szene der letzten Episode dürfen  da natürlich auf keinen Fall fehlen. Auch sollte man bei einem solchen Opus, in den Instrumentalpassagen, Dialoge der beiden Detektive einbauen. Was Manfred Eicher bei Godard so überzeugend gelang, hat auch „True Detective“ verdient.

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2 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Ad 1) Doch, ich kann mich erinnern: „Sudden Fiction“ war ähnlich spartanisch und hat mich ähnlich getroffen. Ein Album von Dan Michaelson, damals ohne seine Küstenwächter.

  2. Jan Reetze:

    Ad 2) Bin sehr neugierig.
    Ad 5) T-Bone Burnett ist vermutlich ausgelastet mit den herz- und hirnerweichenden Songs zur dritten „Nashville“-Season, die im September startet.


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