Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2014 3 Aug.

Am I a square from Delaware?

von: Henning Bolte Filed under: Blog | TB | 16 Comments

Der schwedische Saxophonist Mats Gustafsson und der amerikanische Zeichner und (ab und zu) Musiker Robert Crumb sind beide leidenschaftliche Vinylos mit einer eindrucksvollen Sammlung. Gustafsson schickte Crumb Musik zu. Darunter auch die Musik seines neuesten Album, das kurz vor der Fertigstellung für den Vertrieb stand. Gustafsson erhielt von Crumb nach einer Weile folgende Reaktion (Gustafsson hat die übrigens selbst öffentlich zugänglich gemacht).
 
 
I finally gave a listen to those LPs and the CD you sent me, of your own saxophone playing and some Swedish modern jazz. I gotta tell you, on the cover of the CD of your sax playing, which is black and has no text on it, I wrote in large block letters, in silver ink „Torturing The saxophone—Mats Gustafsson.“ I just totally fail to find anything enjoyable about this, or to see what this has to do with music as I understand it, or what in God´s name is going on in your head that you want to make such noises on a musical instrument. Quite frankly, I was kind of shocked at what a negative, unpleasant experience it was, listening to it. I had to take it off long before it reached the end. I just don´t get it. I don’t understand what it is about.

You actually go on TOUR with that stuff. WOW. People actually … sit … and … LISTEN … to that. I mean, they voluntarily go to the place, maybe even PAY … PAY to hear that stuff. And then they sit there, quietly, politely … and LISTEN. Unbelievable. I should go myself sometime and see this. Witness it with my own eyes.

I don´t say these things with the intention to insult you. You seem to be a perfectly nice, civilized guy with a good sense of humor. I am speaking the plain truth of my reaction to the records and CD you sent. That this noise could give anyone any aesthetic pleasure is beyond my comprehension, truly. Is this the logical end of improvisational music? Is this where it ends up? Where does it go from this point? Is there any audience for this „free jazz“ besides other guys who play it and maybe their wives who must patiently endure it?

I just don´t get it. Am I too un-hip? Am I a square from Delaware? A thick Battle Crick? A shmuck from Keokuck?

This entry was posted on Sonntag, 3. August 2014 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

16 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Ist das wirklich der Crumb, der diese extrem schrägen Comics zeichnet? Dann ist seine Reaktion verblüffend, denn seine Comics enthalten doch Grellheiten, Überzeichnungen, Verzerrungen, die man durchaus als Analogie zum Free Jazz erleben könnte. Interessant!

  2. Henning:

    Genau der! Fritz, The Cat. Auch ne Reihe toller Plattenhüllen!

  3. Jochen:

    Crumb deutet ja auch auf einen gewissen Masochismus des beflissenen Freejazz-Zuhörers hin, und nimmt sich sich die im Imperativ des „Lass es raus!“ stehenden Selbstbefreiungseskapaden der scheinkreativen Hipster zur Brust. Der Spass am Spiel sei den Musikern unbenommen und Kolaborationen wie etwa die von Thurston Moore mit John Zorn oder eben Mats Gustafsson haben gewiss einen kurzfristigen Reiz – bevor dann doch rasch die Aufmerksamkeit und das Interesse kollabieren. Zudem hat Crumbs Ehrlichkeit etwas Erfrischendes an sich angesichts dieser ewigen Lobhudeleien, die auf Dauer so langweilig sind wie schwarzmonochrome Cover – AAA-tacke!!

  4. Michael Engelbrecht:

    Einspruch, Euer Ehren. Ehrlichkeit ist immer erfrischend, aber das Genre Free Jazz hat über manche Spielarten des Lass Es Raus etc. hinaus Unerschöpfliches zu bieten, und auch Herr Gustafsson hat da einiges zu beigetragen. Genauso wie einst Cecil Taylor, John Coltrane, Ornette Coleman und eine ganze nachfolgende Generation … um in der Gegenwart zu landen, sei die andere neue Rune Grammofon CD genannt, das skandinavische Duo mit Piano und Perkussion … Free Jazz is a living thing in the hands of masters of the game! Gustafssons Fire! Orchestra ist sowieso hochgradig strukturiert.

  5. Michael Engelbrecht:

    So schrieb John Fordham, der Jarrett genauso schätzt wie Taylor, unlängst über die Live-Cd von Sandell und Nilssen-Love: „Health and safety warning – this is a completely improvised live set from the duo of Norwegian percussion volcano Paal Nilssen-Love and Swedish pianist Sten Sandell.

    Jacana, recorded at Norway’s Kongsberg jazz festival last year, comprises just three pieces. Curvatur, the 23-minute opener, begins with a familiar free-improv reconnaissance of slow bell chimes and damped-strings tappings. But it soon erupts into zigzagging Cecil Taylor-like piano lines against a typical Nilssen-Love percussion rumpus, before entering an almost tonal phase like a kind of free-boogie, then becomes orchestrally rich and dense, and ends on quiet handclaps.

    The 17-minute Kauri mixes freebop, guttural, throat-singing vocals and bouncy stride-piano; the title track is a brief excursion into whistling treble sounds, wide dynamic shifts, and a delicate finale in quiet mallet-hits on bells and soft vocal calls. This pair’s vast experience and multi-idiomatic techniques infuse a remarkable dialogue. 4/5.“

    The Guardian (UK)

  6. Henning Bolte:

    Bei Crumbs Text handelt es sich wie gesagt um eine persönliche Stellungnahme. Und als solcher ist er in meinem Manafonista-Beitrag neu gerahmt. Mats Gustafsson selbst hat ihn noch ganz anders re-framed, neu gerahmt, aber das ist eher was für später (wer Neugierde nicht Bezwingen kann, findet Gustafssons Re-Framing recht einfach im Netz).

    Crumbs persönliche Reaktion macht – als Kontrastfolie – (unausweichlich) einiges deutlich, u.a. das, was Jochen anspricht. Was er in dem Sinne auch deutlich macht, ist die Wirkung von Normen und den Hang zu normgerechten Verhalten, über das wiederum das Gefühl der Gruppenzugehörigkeit konstituiert und intakt (!) gehalten wird. Das wird schnell deutlich, wenn man sich in bestimmten Situationen der allgemeinen und inzwischen als Selbstverständlichkeit angesehenen Begeisterung für Mats’ Tun nicht anschliesst und Reserviertheit signalisiert. Noch ganz abgesehen davon, was passiert, wenn man sich offen kritisch äussert. Man kann das natürlich auch dadurch zum Ausdruck bringen, dass man dem Geschehen fernbleibt. Dann gilt natürlich das, was Crumb auch in seinem Brief anspricht: man sollte sich ab und zu vergewissern.

  7. Henning Bolte:

    Crumb sagt, dass er der dem Tun von Mats Gustafsson musikalisch gesehen nicht folgen kann, wobei er das insbesondere an seiner eigenen Art des Hörvergnügens festmacht. Er stellt nicht in Frage, dass Gustafsson sich etwas dabei etwas für ihn selbst Sinnvolles gedacht hat und selbst etwas Sinnenreiches empfindet.

    Der Text von Fordham ist eine scheinbar sachkundige, vor allem aber aufhäufende Beschreibung der Splitter, die sich nach Fordhams Einsicht in der Ausführung von Paal NL und Sandell manifestieren. So what? Es ist wohl nicht so, dass diese zwei Musiker ihrem Publikum einfach so ein Konvolut von Jazzgeschichtefetzen vor den Latz knallen oder ihm vor die Füsse schütten. Fordham rettet sich ans Ufer, indem er den Stempel “remarkable dialogue” draufsetzt. Ja? Und?

  8. Lajla nizinski:

    Oh boys! Robert Crumb spricht mir aus der Seele. Er ist Country/Bluesfan, mag die Musiker aus den 30igern, die Bob Dylan inspirierten. Ich verbinde seine Comics, besonders Fury von den Freakbrothers mit Zappa Musik oder den Allman Brothers.
    Mir ist es tatsächlich auf jedem Freejazzkonzert langweilig, dem Improvisieren zuzuhören, empfinde ich als anstrengend und wenn ich in das Publikum schaue, sehe ich tristestes Gehänge.
    Ich finde diesen Brief auch erfrischend. Ja es fehlt etwas an Karl Kraus‘ schem.

  9. Michael Engelbrecht:

    Du warst noch nie mit mir auf einem Freejazzkonzert. Tristestes Gehänge ist mir da selten begegnet, eher grosse Augen, und sperrangelweit geöffnete Ohren – das mit den Ohren erkennt man natürlich nur an kontextueller Mimik :)

    Ich selbst kann mit den Crumb’schen Comics rein gar nichts anfangen. Insofern gibt es da vielleicht Kreuztoleranzen.

    P.S. Ich muss hier nur die Jungs und Mädels in Schutz nehmen, die neben mir in den ersten vier Jahren des Moers-Festvals sassen …

  10. Michael Engelbrecht:

    Es gibt ausserdem nicht DEN Free Jazz. Da sind Spielarten, die mich eiskalt lassen, und für andere springe ich durchs Feuer …

  11. Henning Bolte:

    Es geht in diesem Zusammenhang nicht um Rundumschläge, Ausgrenzungen. Langweilige Musik gibt es im übrigen in allen Sparten, sowohl wirklich langweilige als auch subjektiv langweilige! Und jeder hat seinen Platz für Musik im Leben und dementsprechend seine/ihre Art des (Zu)Hörens.

    Crumb grenzt gerade nicht aus, sondern bringt seine Fassungslosigkeit zum Ausdruck – aus der man nicht ohne Weiteres seine eigene Ästhetik ablesen kann.

    Und was soll das bitte sein: Free Jazz oder Freejazz?????????????????

  12. Henning Bolte:

    Wir sind ja umgeben von Musik, im naturgegebenen Milieu, im zivilisatorischen Milieu, im permanent quäkenden Medienmilieu, in Bergen von unterschiedlichsten Tonträgern. Die Frage ist, wo für jeden die musikalische Sensibilität anfängt, wie das Erleben
    GE-SCHICHTET wird, wie abgeschottet oder durchlässig das eigene Universum ist und über welche musikalischen Schwingungen man sich mit anderen verbinden kann!

  13. Henning Bolte:

    Entscheidend ist vor allem auch, wie die innere Melodie, auf der, entlang der jeder von uns durchs Leben geht von aussen genährt wird.

    Wir alles wissen tief im Inneren, wie produktiv und wichtig Dissonanzen als Motor der Entwicklung sind (Jean Piaget hat das inspiriert durch biologische Prozesse für die Psychologie als Wechselspiel von Adaption und Akkomodation ausgearbeitet).

    In Bezug auf Musik ein Quote aus einem Artikel von mir, der in Kürze erscheint. Zu einem Konzert, das in Kopenhagen stattfand:

    „The duo played a free improvised set. It was increasingly fascinating how during its performance odd and ugly sounds were transfigured into pure beauty.“

    Ohne Hölle kein Himmel. Immer nur Himmelrosa ist das Langweiligste, was es gibt!

  14. lajla:

    Hans Zender beschreibt in dem hier bereits vorgestellten Buch „Waches Hoeren“ sehr schoen die drei verschiedenen Stadien des Musikhoerens.
    Zuerst sieht man das Objekt wie einen toten Schmetterling an. Dann versucht man, mit ihm in Kontakt zu treten und im dritten Stadium ist man dann selbst Schmetterling.
    Nach einem Ravishankar Konzert z.B. waren ueberall Schmetterlinge, auf der Buehne und auf dem Parkett.

  15. Henning Bolte:

    Das hat was mit der Synchronisierung von innerer Zeit des Zuhörers und der Energieverströmung in der Zeit bei der Musik zu tun. Das kann sehr unterschiedlich ausfallen, ist aber wiederum NICHT in erster Linie von der Musikart abhängig. Es geht in erster Linie um KLÄNGE. Auf Klängen durch schwarze Löcher rasen, kann eine äusserst anregende und befriedigende ästhetische Erfahrung sein.
    Seven Black Butterflies hiess eine Band von Drew Gress mit Tim Berne (alto saxophone); Ralph Alessi (trumpet); Craig Taborn (piano); Tom Rainey (drums).

  16. Henning Bolte:

    Wo sind wir, wenn wir Musik hören?

    A. Im Hinweg und im Rückweg

    B. In der Perkussion
    1. Das sonore Cogito und der taube Fleck – oder:
    Descartes‘ Versuch, klanglos zu denken
    2. Perkussion, Durchzitterung, Schweben

    in: Peter Sloterdijk, Weltfremdheit, Kap.VII. Suhrkamp. Frankfurt 1993


Manafonistas | Impressum | Kontakt | Datenschutz