Manafonistas

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2014 18 Mai

Die fabelhaften Songs von Dr. Eno und Mr. Hyde

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Comments off

Ursprünglich wollte Brian Eno mit Karl Hyde einen Weg finden, Elemente der Musik des Minimalisten Steve Reich mit der des Afrojazz-Magus Fela Kuti kurzzuschliessen. Es gibt in dieser Hinsicht allerdings nur eine lange Passage auf Someday World, in der zweiten Hälfte der Komposition When I Built This World, wo entfesselte Energien und rhythmische Vertracktheiten eins werden. Eno sorgt hier für Foundation, Voice, Lyric, Bass, Drums, Piano, Brass, Tapestry Synths, Voice Slices, Dissonant Glass Guitars, und Karl Hyde für Rhythm and Melody Guitars, Tapestry Voice Slices, Piano, Synth Brass, Talking Drum, und das gute alte Tambourine.

Von wegen also Reduktion, Leere, schöne ambiente Weiten. Das ganze Projekt wurde zu einem raffinierten Songalbum, bei dem weitaus mehr Quellen als die oben genannten angezapft werden. Das Wort „überbordend“, das sich fast nur noch im Feuilleton findet, wenn von grenzenloser Phantasie die Rede ist – hier darf es gerne aus der Schublade der etwas altbackenen Wörter gekramt werden. Die Gesangsstimmen der beiden harmonieren aufs Feinste und sorgen dafür, dass ein weites Feld von Gefühlslagen ausgelotet wird. Diese neue Werk geht mit all seinen Pop-Turbulenzen und extravaganten Klang-Alltäglchkeiten weit über ein paar Afrojazz-Anklänge hinaus und dockt phasenweise an den Ungestümheiten von Enos erstem Songalbum Here Come The Warm Jets an. Auch an Enos drei Produktionen mit den Talking Heads. Kurze Rückblende, kleiner Zeitsprung …

Es gibt Platten, die bieten Seelennahrung auf Lebenszeit und gehen tiefer als ein paar Stunden Psychoanalyse oder ein Südseekurs im Tiefseetauchen. So eine Platte war bei mir, vor vielen Jahren, Taking Tiger Mountain (By Strategy), das zweite der vier Song-Alben von Brian Eno aus den Siebzigern. Es bedeutete mir weitaus mehr als die beiden ersten Roxy Music-Alben. Es war meine erste Begegnung mit Eno, dem Sänger (und er wurde eine meiner Lieblingsstimmen!) – ich schätzte mich glücklich, kurz danach seine anderen Songklassiker von damals zu erstehen: Here Come The Warm Jets, Another Green World, und Before And After Science. Daneben erschienen all die zeitlosen Ambient-Werke.

Dann begann das grosse Warten. Mit den Jahren trat Eno, der Sänger, nämlich immer weniger in Erscheinung. Schliesslich gab es, nach einer halben Ewigkeit, das beeindruckende Duo mit John Cale, Wrong Way Up, und dann, sein meisterliches, gern unterschätztes Soloalbum Another Day On Earth. Die dazugehörigen Jahreszahlen sind 1990 und 2005. Ich mochte eben nicht nur seinen Gesangsstil, sondern auch seinen einfallsreichen Umgang mit Songstrukturen. Da wurde kein Muster ad infinitum ausgereizt.

Und jetzt also die Zusammenarbeit mit Karl Hyde – einmal mehr ein Füllhorn an Melodien, Klangtexturen, raffinierte Gegenläufigkeiten von Text und Melodie, Songs über verpasste Chancen, Lebensbilanzen, Glückstaumeleien, Kindheitserfahrungen, Traumbilder, Tagbücher, alles fragmentiert in den beeindruckenden Texten, die Hyde und Eno teilweise zusammen verfasst haben. Eno kann auch ein Expressionist sein, erzählte mir Laurie Anderson mal in einem Interview, anlässlich der von Eno produzierten CD Bright Red (1994).

Diesen Expressionisten kann man auf etlichen Songs des neuen Albums hören, eine rohe, ungezähmte Energie ist am Werk, die manchmal am Rande des Überdrehtseins entlang taumelt (Daddys Car), um dann wieder das Harte (Text) und das Sanfte (Sound) wie einem Ohrwurm aus alter Zeit zu versöhnen (To Us All), in diesem letzten Song, einer Erinnerung an unsere endlos gezählten Tage. Ein vielschichtiges unerschöpfliches Album abseits ausgetretener Pfade, und die Rückkehr des „singers with the silver voice“.

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