Manafonistas

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2014 13 Mrz

Gregor öffnet seinen Plattenschrank (66)

von: Gregor Mundt Filed under: Blog | TB | 5 Comments

Geschichten aus der Jukebox (1)

 

Die Taste 230 wird gedrückt, die NSA-Musikbox knackt und knistert, der Plattenwagen setzt sich in Bewegung, eine blaue Columbia-Single wird herausgefischt, das Shure-System fährt heran, nach dem ersten Ton weiß jeder, welche Platte gewünscht wurde, The Animals: The House of he Rising sun. Am 18.Mai 1964 aufgenommen, landete die Single bereits im Juli 1964 in der britischen und im September desselben Jahres in der U.S.single Chart. Im Januar 1965 kaufte ich mir die Platte für 4,75 DM, es war vielleicht meine zehnte Schallplatte in meinem damals noch recht übersichtlichen Plattenschrank. Diese Platte hatte es mir damals total angetan, ich war begeistert. Was mich allerdings sehr erstaunte, war die Tatsache, dass diese Single enorme Überlänge hatte, mit 4:29 Minuten war sie die längste von mir wahrgenommene Single-Platte. Die Rückseite der Platte Talkin´´bout You, eine Ray Charles-Nummer, war mit 1:54 im Normalbereich angesiedelt. Mein alter Perpetuum-Ebner-Plattenspieler musste die neue Platte natürlich unentwegt spielen.

 

Nun wohnten wir damals in einem kleinem niedersächsischem Dorf im Weserbergland. Ein winziger Bahnhof, sogar mit einem Bahnhofvorsteher besetzt, wurde von einem Triebwagen der Bundesbahn angefahren, aber auch Güterzüge verirrten sich manchmal in diesen Ort und wurden an einem Güterschuppen ent- und beladen. Für mich als damals elfjährigen Eisenbahnfan war das alles sehr abenteuerlich und so kam ich recht schnell mit dem freundlichen Bahnhofsvorsteher in Kontakt. Bald durfte ich helfen, Fahrkarten zu verkaufen, die Schranke, die an der einzigen Dorfstraße den Verkehr beim Herannahen eines Zuges zu stoppen hatte, herunterzukurbeln, Pakete in die Güterwagen zu tragen und vieles mehr.

Nachdem ich nun The House of the Rising Sun mein eigen nennen durfte, fiel mir ein richtig gutes Spiel dazu ein. Die Platte war ja, wie oben bereits erwähnt, mit 4:29 Minuten doch ziemlich lang. Fünf Minuten brauchte ich, um zu dem kleinen Bahnhof des Ortes zu gelangen und schnell wieder zurück nach Hause zu laufen, also zweieinhalb Minuten pro Strecke. War das nicht auch schneller zu schaffen? Aber wie die Zeit messen, eine Uhr besaß ich damals noch nicht. Da kam mir der Gedanke, die Animals-Single zur Hilfe zu nehmen: Ich legte die Platte auf meinen Perpetuum-Ebner, setzte die Nadel auf und rannte los. War ich mit den letzten Klängen des Songs wieder beim Plattenspieler, hatte ich gewonnen. Ich weiß nicht mehr, wie oft das Lied auf meiner kleinen Anlage lief, ohne, dass ich es gehört hätte … eigentlich eine Schande … anyway.  Was mein Freund, der Bahnhofsvorsteher wohl über dieses Spiel gedacht hat … er hat sich nie dazu geäußert, außer, dass er natürlich ein ums andere Mal gefragt hat, ob ich es nun endlich geschafft hätte …

 

This entry was posted on Donnerstag, 13. März 2014 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

5 Comments

  1. Henning:

    Bin ja nun höchst neugierig, auf welcher Strecke sich das alles abgespielt hat. Ich habe täglich auf dem Schulweg in diesen tollen roten Schienenbussen gesessen. Mittags nickte ich automatisch ein. Es hat Jahre gekostet, bevor dieser Reflex weg war, der sich bei allem einstellte, was sich auf Rädern bewegte. Sobald ich im Auto oder Zug sass, nickte ich ein. Der grösste Eisenbahnknotenpunkten auf der nördlichen Halbkugel lag zu Zeiten des kalten Krieges bei dem unscheinbaren Haufendorf Kreiensen.

  2. Michael Engelbrecht:

    Daraus sollte man den Stoff für einen abendfüllenden Fernsehfilm machen. Ausser der Liebe zur Musik und dem Leben in der Provinz sollte jede falsche „action“ ausser Gregs‘ Laufexzesse aussen vor bleiben. Alles schwarzweiss, eine Jukebox, lang lebe das Hinterland unserer Kindheit!

  3. Henning:

    Erich und die Tiere konnten einen zum Laufen bringen, ja. Ähnlich wie I Put A Spell On You.

  4. Gregor:

    Sehr schön, das mit Erich und den Tieren …
    Diese übrigens wahre Geschichte spielte sich in Steinbergen, 4km von Rinteln/Weser entfernt, ab.
    In diesem Ort gab es auch ein Kino und natürlich hab´ ich mich auch mit dem Filmvorführer angefreundet, schließlich wollte ich wissen, was da oben im Vorfürraum so alles vor sich geht. Und so nebenher kam ich auf diese Weise auch zu alten Filmplakaten, Filmbildern, von vier Nadeln durchstochen zwar, aber das war ja gerade gut …

  5. Michael Engelbrecht:

    Und dies alles vor der Zeit, als Brian aufbrach ins Weserland, und mit Moebius, Roedelius und Rother nahe Forst etwas aufnahm, dass Jahrzehnte nach der Entstehung, als TRACKS AND TRACES ans Licht kam …


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