Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2013 23 Dez

My first poetry summer

von: Martina Weber Filed under: Blog | TB | 2 Comments

Den Sommer, den ich gern mit H verbracht hätte, rettete mir ein anderer. F ging noch zur Schule und er war ein echter Revolutionär. Er träumte vom Car-Sharing, als noch niemand wusste, was das war, er trug düstere T-Shirts und Palästinenserhalstücher, ging auf Demonstrationen und rauchte selbst gedrehte Zigaretten ohne Filter. Seine Eltern hatten ständig Angst davor, dass er etwas mit der Polizei zu tun haben könnte. Vor allem aber war F ein echter Künstler und Poet. Er wohnte nur ein paar hundert Meter von mir entfernt und wenn ich im Reihenhaus seiner Eltern die Treppe zu seinem Zimmer hinunterging und das schnelle Klacken der Schreibmaschinentasten hörte und nach kurzem Zögern klopfte, sagte er, setz dich schonmal, ich muss gerade noch das Gedicht zu Ende schreiben. Es war für mich der Inbegriff von Freiheit, wie er auf dem Teppichboden im Schneidersitz saß, neben ihm eine Schale Tee, und einfach aufschrieb, was er dachte. Er zog das Blatt aus der Maschine und las mir sein neuestes Werk vor. Ich spielte die Rolle der Kritikerin, ich stellte die gewagtesten Thesen auf, interpretierte jede Metapher, bemängelte logische Brüche und F machte zu allem, was ich sagte, ein ernstes Gesicht, bemüht darum, nicht in Lachen auszubrechen, denn selbstverständlich hatte er sich längst nicht so viel bei seinem Text gedacht wie ich. Für mich war es unglaublich, dass jemand einfach ein Gedicht herunterschrieb, ich dachte, man müsste sich vorher mindestens durch die gesamte Geistesgeschichte gelesen haben und außerdem ein besonders aufregendes Leben führen oder sich mindestens in aufregendem Gedankenwelten aufhalten. F aber sagte, es sei ganz einfach und ich solle es auch versuchen. Aber ich wagte noch nicht einmal das. F´s Gedichte reimten sich natürlich nicht, sie waren politisch und gleichzeitig waren sie privat und natürlich kam dauernd ich darin vor. Bei allem Respekt schienen mir diese Texte irgendwie zu leicht zugänglich, zu wenig geheimnisvoll und ich dachte mir, wenn es mir jemals gelingen sollte, ein Gedicht zu schreiben, müsste es ganz anders sein.

F und ich trafen uns oft und da wir so nah beieinander wohnten, verabredeten wir uns nicht, sondern kamen einfach bei einander vorbei. F hatte die Gabe, immer dann bei uns zu klingeln, wenn unsere Familie beim Abendessen saß. Mein Vater sagte dann immer, das ist bestimmt wieder dieser F, und ich sprang sofort auf und rannte davon. F und ich verbrachten unsere gemeinsame Zeit ohne Pläne, ohne Ziel. Oft gingen wir einfach raus, spazierten durch die Neubaugebiete zum Fluss, wir redeten und schauten aufs Wasser. Damals schenkte mir jemand seine gesamte Schallplattensammlung, mindestens achtzig Zentimeter Vinyl, ich behielt die Beatles, Genesis, Neil Young, Emerson, Lake and Palmer, diese Richtung, und ich schenkte F alles, was mir zu bunt und schrill erschien. Meine Theorie war die, dass nur ruhige Menschen unruhige Musik ertragen konnten, und umgekehrt. F war so ruhig wie ein Buddha, und wenn ich mich über etwas aus meinem Leben aufregte, sagte F immer, ich solle einfach nur ruhig atmen, das würde helfen, aber bei mir funktionierte diese Methode nicht, ich war davon überzeugt, dass so eine Seelenruhe ganz aus dem Innern kommen und mit dem richtigen Leben zusammenhängen müsse, was mir in unerreichbarer Ferne zu liegen schien. Kaum fassbar war für mich, dass F´s Eltern mich offensichtlich ins Herz geschlossen hatten und als ich einmal klingelte und F nicht da war, lud mich seine Mutter auf einen Kaffee ein, und ich war so schockiert von dieser Freundlichkeit, dass ich ablehnte. Während ich immer noch keine Ahnung hatte, was ich in meinem Leben erreichen wollte, war F schon Redakteur einer Kulturzeitschrift, die er mit ein paar Kumpels zusammenstellte und in kopierten Exemplaren verteilte. Natürlich hatte ich F auch von H erzählt und natürlich war F wütend auf H, weil er auf eine für ihn rätselhafte Weise meine Gefühle okkupierte. Und da auch ein großer Revolutionär nicht nur der kleine Bruder sein will, ging auch diese Geschichte zu Ende.

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2 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    So dass die Musik und das Leben und die Literatur und der Sex und alles andere, was der Fall ist, raus kommen aus den Sparten, Schablonen und Schubladen. Das Jetzt ist unser bester Verbündeter, das Ding hier heisst Leben, und das Etikett kleben wir später drauf.

  2. Martina:

    Das ist das Beste, ja, sich einfach in die Gegenwart fallen lassen.


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