„Ceterum autem censeo Carthaginem esse delendam!“ – Ciceros mit Furthermore i do consider Carthage has to be destroyed ins Angelsächsische übersetzten Worte wollten daran erinnern, dass dieser Stadt nun endlich einmal der Garaus gemacht werden müsse. Unsereins bezieht die überlieferte Forderung des römischen Redners und Rechtsgelehrten nun ausgerechnet auf einen free-jazzenden Freigeist aus Syracuse, New York.
Dessen einst in Paris aufgezeichnetes Konzert mit der Gruppe Bloodcount führte nämlich zu einer nachhaltigen Hörerfahrung und ist seit langem Referenz: der Anhaltspunkt schlechthin, um über Musik zu reflektieren, zu schreiben und sie auch selbst zu machen.
Was Heidegger Kehre nannte, war hier das Aha-Erlebnis, Musik könne improvisiert sein und gleichzeitig strukturiert; traditionsbezogen und hypermodern – vor allem aber eine tiefen-zerebrale Stimulanz. So summt denn eine innere, mahnende Stimme permanent vor sich hin: „Ceterum censeo Bloodcount esse auditam!“ Vielleicht hat sie nicht richtig dekliniert, aber ihre Botschaft ist angekommen: unbedingt mal wieder Bernes Bloodcount hören!
Eine tonisierende Wirkung, wie sie etwa die Wunderknolle Ingwer in der ayurvedischen Küche entfaltet, hat auch die genannte Musik. Unser Hirn bildet ständig neue Synapsen, sucht Herausforderungen, um zu wachsen und sich fein zu verästeln. Das Bloodcount Paris Concert bietet diese, denn es ist in weiten Spannungsbögen angelegt und lebt von Ambivalenzen. Zudem ist es (siehe, schmecke Ingwer!) ein Appetizer.
Der französische Philosoph Bernard Stiegler schreibt in seinem Buch Logik der Sorge über die Gefahren der digitalen Medien. Deren Unterhaltungsinhalte bezeichnet er als Pharmaka. Bezugnehmend auf die Begriffe deep attention und hyper attention kommt Letzterem das nervöse multitasking zu. Die tiefe Aufmerksamkeit aber, wie wir sie etwa bei der Lektüre eines Romans und anderen Kontemplationen kennen, verschwindet zunehmend.
Man ahnt schon, was dies alles mit den syrakusisch-musikalischen Kompositionen des Tim Berne zu tun hat: sie erfordern und generieren tiefe Aufmerksamkeit. Einerseits geht es um feine, mikrokosmische Details: um das l´art pour l´art des reinen, einen Tons.
Dann geht es um gruppendynamische Prozesse: etwa um das Zusammenspiel kleinerer Formationen, während die Übrigen schweigend oder spielend den Rahmen bilden. Es geht um Finden und Verlieren, um Loslassenkönnen; es geht um die Spannungspole Narration und Abstraktion, Disziplin und Wollust, Ordnungwille und Wildheit, Lyrik und Konstruktivität.
Haben Sie Appetit bekommen, verehrter Leser? Dann machen Sie sich vielleicht einen Ingwertee und trinken ihn aus goldenen Schälchen, die passend zur Musik vibrieren! Lauschen Sie in Ihren Kopfhörerkathedralen oder sonstigen Ohrmuscheln den Kompositionen eines Musikers aus Syracuse: Ihre Synapsen werden es Ihnen danken und bekehrt daraus hervortreten wie ein Phoenix, voran!