Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2012 4 Sep

Durch Mark und Bein

von: Jochen Siemer Filed under: Blog | TB | Comments off

Musizieren, improvisieren, komponieren: die pure Freude des Produzierens von Klängen. Man ist „im Sound“, im Nada Brahma – so verkündete es einst Joachim Ernst Behrendt etwas esoterisch und trotzdem zutreffend. Eine wirkliche Wohltat ist diese an Wollust grenzende Lust, selbst Klänge zu erzeugen. Dieses in die Klangwelt tauchen ist nicht regressiv, vielmehr reflexiv und progressiv, wenn es mit der Einbildungskraft gekoppelt ist: dem Drang, zu gestalten, sich selbst Ausdruck zu verleihen. Ein gewisses technisches Können ist notwendig, jedoch nicht wesentlich. Der Philosoph Byung-Chul Han hat es auf den Punkt gebracht – er selbst fand es bei Hegel:

Der Klang ist ein Phänomen der Innerlichkeit. Diese unterscheidet ihn vom „Geräusch“. Der „eigentliche Klang“ ist ein „inneres Beben des Körpers“, während das Geräusch ein „äußeres Beben und Tönen“ ist … Die Schwingung, die den Klang erzeugt, ist eine gegenwendige Bewegung von Weg-von-sich und zurück-zu-sich. Ohne das Streben-zu-sich geht der Körper durch die äußere Gewalt einfach zu Bruch. Da das Zurück-zu-sich gegen die äußere Einwirkung erfolgt, ist das „Insichgehen“ „negativ“. Die Kohärenz äußert sich also als Macht der Innerlichkeit. Sie befähigt den Körper dazu, gegen die äußere Einwirkung bei sich zu bleiben … So hat der klingende Körper eine Art Seele. Nur die Seele bringt einen schönen Klang hervor. So ist kein Geräusch schön. Schön ist für Hegel nur die in der Realität sich frei äußernde Innerlichkeit der Seele.“ (Byung-Chul Han, „Hegel und die Macht“)

Klar wird hier, was Innerlichkeit heisst. Sie ist kein Rückzug, sondern Bedingung für Kohärenz. Insofern gewinnt der Begriff „Macht“ eine positive Bedeutung: als eine das Individuum konstitutierende Negativität. Musizieren ist eine Möglichkeit, machtvoll in der Welt zu sein, Bilder malen wäre eine andere. Markus Lüpertz malt so. Unvergesslich folgende Szene aus einem Film: vier Schamanen treffen sich in einer Ebene der Mongolei. Sie kommen von weit her, alle aus verschiedenen Himmelsrichtungen. Sie haben viel erlebt, sitzen im Kreis unter dem weiten, freien Himmel und erzählen sich davon. Dann nehmen sie die Saiteninstrumente, spielen. Ihr Sound, er geht durch Mark und Bein.

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