Niemand hatte ihr beigebracht, wie man fällt, ohne zu zerbrechen. Irgendwann würde es passieren – sie würde nicht ganz zerbrechen, aber an manchen Tagen fühlte sie es – feine silbrige Sprünge, die sich in ihrem Körper ausgebreitet hatten, vibrierend wie die Drähte einer Glühbirne, nur dass sie sie ganz ausfüllten. Sie zerteilten ihren Körper. Wenn sie fallen würde oder einen Zusammenstoss hätte, würden kleine Diamanten von ihr übrigbleiben, wie bei einem zersprungenen Autofenster. Zum ersten- und letzten mal in ihrem Leben würde sie dann funkeln und glänzen; einmal wäre sie dann schön. Und einmal war sie schon gefallen – in ein paar Augen. Und zerbrochen. Seither blickte sie niemandem mehr ins Gesicht, um nicht wieder zu stürzen.
Niemand hatte ihr beigebracht, wie man tanzt. Das muss man auch nicht, es geht von selbst, wenn man glücklich ist, man hat plötzlich kein Gewicht mehr und alles geht wie von selbst, eine Bewegung einer plötzlich verwandelten und vorwärtsstürmenden Welt, der man sich nur hingeben musste. Das wusste sie, einmal hatte sie getanzt – schwerelos – und nun begann sie langsam, es zu vergessen.
Niemand hatte ihm gesagt, dass der Mensch die Dinge beherrschen kann und nicht die Dinge den Menschen. Ihn bedrängten sie mit ihren Forderungen und Drohungen und drängten sich in seine Gedanken wie lebende Wesen, die ihren Raum beanspruchen wollen. Der Kampf mit ihnen forderte alles, was er an Kraft noch hatte. Er wünschte sich nichts anderes als frei zu sein, ohne genau zu wissen, wie das aussah. Manchmal schien es ihm, als ob er es gar nicht ertragen könnte – wie sollte er sich schützen vor den Gefahren des Draussen?
Eine lange ruhige Strasse, die sie sich entlangbewegte, als laufe sie unter Wasser, irgendetwas hemmte ihren Schritt. Eine fröhliche Sonne beleuchtete die alten Häuser und malte mit Licht und Schatten bizarre Muster auf die Fassaden, in den Vorgärten blühten Blumen, leuchtend und unbekümmert um ihr kurzes Leben. Keine Sorgen um die Zukunft, das Jetzt ist ihnen genug – dachte sie und betrachtete ihren grauen Sommermantel, den sie eigentlich schon lange hatte wegwerfen wollen, aber inzwischen war er ein treuer Freund geworden. Wenn sie ihn anzog, war es fast eine warme Umarmung. Ich behalte Dich bis Du zerfällst – oder besser: Wir zerfallen beide zusammen. Sie fand das richtige Haus, freundlich und einladend, eine Holztür mit altertümlichen Schnitzereien, in der Mitte prangte ein schmiedeeiserner Löwenkopf mit einem Ring im Maul. Sie betastete ihn – er war warm von der Sonne und fühlte sich lebendig an unter ihren immer kalten Fingern, klopfte mit dem Ring ein paarmal gegen die Tür und lächelte, als ein flüchtiger Gedanke sie streifte – ein Lächeln das immer rasch in sich zusammenfiel. Danach wandte sie sich erst dem Klingelschild zu und stand lange davor. Sie hasste es, um Einlass zu bitten.
Im Treppenhaus war es angenehm kühl, es roch wie ein Garten nach einem Sommerregen, am liebsten hätte sie darin verweilt und sich nicht weiterbewegt. Aber sie wusste, dass etwas auf sie wartete. Was sie überhaupt nicht mochte.
Er zog sich die Kapuze des Anoraks tiefer ins Gesicht, das Frühlingslicht blendete ihn, die Blumen, das Spiel der Sonne auf den Fensterscheiben – Aufforderungen, denen er nicht nachkommen, Einladungen, die er nicht annehmen wollte. Er hasste es, eingeladen zu werden oder seine Wohnung verlassen zu müssen, die so wohlgeordnet allen seinen selbstgeschaffenen Gesetzen gehorchte. Das Haus, das er suchte, liess sich schliesslich finden: ein schlecht restaurierter Altbau mit beschädigtem Putz, eine alte Holztür, an der die Zeit ihre Spuren hinterlassen hatte, in der Mitte ein metallener Löwenkopf mit einem Ring ihm Maul, vom Zahn der Zeit schon etwas zernagt. Warum man das Ding wohl noch nicht abmontiert hatte? Sollte es abschrecken? Er zog einen Einmalhandschuh an, um die Klingel drücken zu können – er hasste es, ausserhalb seiner Wohnung etwas anfassen zu müssen. Und um Einlass bitten zu müssen. Das Treppenhaus roch feucht und modrig, irgendwie unappetitlich, und er beeilte sich das richtige Stockwerk zu erreichen. Wie viele Bakterien sich hier wohl herumtrieben?
Eine Wohnungstür stand offen – Dr. Andreas Hoffmann stand auf einem kleinen Metallschild. Ein langer Flur, am Ende ein Raum aus dem Reden drang, ein kurzes Lachen. Sie wäre am liebsten umgekehrt, wie auch vorher die ganze Zeit schon, Fröhlichkeit von anderen konnte sie schwer ertragen, da katapultierte es sie sofort in einen anderen Raum, einen leeren Raum, beruhigend leer, in dem ihr nichts geschehen konnte. Darauf verliess sie sich jetzt, in diesem Raum würde sie bleiben bis der Abend verstrichen war. Endlich verstrichen war.
Die Wohnung empfing sie mit vielerlei Gerüchen, ihre feine Nase unterschied Kaffee, Zigarettenrauch und anderes schwer Identifizierbares – vielleicht rochen Menschen so, die man in die Enge getrieben hatte.
Er sass unlustig auf einem dieser ergonomischen Stühle, die eine Bequemlichkeit vortäuschten, die sie bei längerem Verweilen nicht einhalten konnten. Zumindest hatte er immer erlebt, dass sein Kreuz irgendwann rebellierte. Es gab auch diese Sitzsäcke, die mit Styroporchips oder dergleichen gefüllt waren, in ihnen konnte man gut versinken, aber kam nicht wieder heraus und er hasste es, eine unglückliche Figur abzugeben – wobei auch immer. Das Bedürfnis, sich die Kapuze noch tiefer ins Gesicht zu ziehen nahm zu, trotzdem nahm er sie ab, aus Angst vor diesbezüglichen Bemerkungen, auf die er nichts zu entgegnen wusste ausser, dass er Angst hatte. Und das gestand er sich sehr ungern ein. Und anderen schon gar nicht. Und er vermied es den Gedanken ins Auge zu fassen, dass er selbst gerne anderen Angst machte, aber manchmal beschlich ihn eine Ahnung davon, dass seine eigene Angst sich dann auflöste und fortschwamm wie eine Krake, die ihn vorher noch umklammert hatte. Sieben Menschen in dieser Gruppe, sieben Harpyien, die sich auf ihn stürzen würden, um ihm das Fleisch von den Knochen zu reissen. Fast musste er schmunzeln bei dem Gedanken, dass er als Skelett hier hinauswandeln sollte. Und der alte Herr war vermutlich der Therapeut Dr. Hoffmann, den man ihm in der Klinik empfohlen hatte: der Dompteur im Löwenkäfig, der Leitwolf des Rudels, der Sklaventreiber mit der Peitsche – woher kamen ihm plötzlich all diese Bilder?
Wie es den Mädels wohl hier ging – natürlich haben die sich die bequemeren Stühle geschnappt? Verschränkte Arme, gesenkte Köpfe, ins Gesicht hängende Haare, bis zur Nase hochgezogene Rollkrägen – mein Gott, wie kann man das ertragen? Seine Anrufung von Gott war eine rein rhetorische, mehr ein Vorwurf an die Seltsamkeiten dieser Welt als eine Frage an jemanden, von dem er sich ohnehin nichts erhoffte. Weil er sich von niemandem etwas erhoffte. Und doch spürte er einen frischen Luftzug hinter sich, es war wohl ein Fenster geöffnet – es roch frisch und hoffnungsvoll, nach Aufbruch, nach Autofahren mit geöffnetem Verdeck auf einer Landstrasse durch den Wald oder am Meer entlang – mehr Luft, als man jemals atmen konnte. Luft, die einem die Brust zersprengen könnte, einem fast die Haare vom Kopf riss, eine Ahnung von Überfluss und Wildheit. Am liebsten hätte er sich aus diesem Fenster geworfen. Um zu fliegen, nicht um zu fallen … ein Vogelwesen das seine Flügel breitet. Ein Wildpferdwesen, an dessen Hufen Flügel wachsen, ein Zentaur, der unter einem schattenspendenden Baum die heisse Mittagsstunde verschläft, nur umschrillt von den nimmermüden Zikaden, um danach tatenlos den Abend zu erwarten, der wieder wie der glühende Mittag seine eigene, sanftere Schönheit mit sich brachte – nur hingewandt der Sonne und dem Leben und der Nacht die er nicht fürchtete – trennte sie ihn doch nur für einen Augenblick vom Leuchten der Welt und des kommenden Tages.
Welch seltsame Wege gehen doch die Gedanken.
Der alte Herr hatte sich geräuspert, sich als Andreas Hoffmann vorgestellt, auf akademisches Zubehör legte er wohl schon mal keinen Wert. Gut! Und nun – gefürchtetes Ritual – wollte er, dass alle sich vorstellten und ein bisschen von sich erzählten, als ob ihn das interessiert hätte, wie der dünne Hering neben ihm hiess und welche Probleme er hatte. Die Probleme eines Herings auf dem Trockenen eben. Er ahnte nicht, dass er damit schon sehr gut das Lebensgefühl seines Sitznachbarn getroffen hatte. Die drei Frauen, zum Teil in die Styroporsäcke gekuschelt, wollten für ihn noch nicht so recht sichtbar werden, sie sassen alle in einer Reihe, als wollten sie aneinander Schutz suchen wie Tiergeschwister, denen die Mutter fehlte. Frauen schienen dergleichen zu mögen, ihm selbst wuchsen Stacheln bei dieser Vorstellung.
„Hallo, ich bin David!“
Er hatte geschafft, es herauszuraspeln, ärgerlich über seine belegte Stimme – jetzt fehlten noch die persönlichen Angaben, mit denen er so gerne hinter dem Berge gehalten hätte.
„Warum bist Du hier, David?“
Er hätte gerne eine patzige Antwort gegeben – etwa in der Art, warum man nicht jetzt einfach ein Quiz veranstaltete, was den Einzelnen hierhertrieb – aber die Stimme klang ernst und warm, so dass sein schnell auflodernder Trotz sich verkroch und beschämt zusammenrollte.
„Ich bin David! Sonst möchte ich nichts sagen!“
„Es ist gut, David, nimm Dir die Zeit, die Du brauchst!“
Der Raum schien ein bisschen weiter zu werden – nimm Dir was Du brauchst – das hatte er nicht oft gehört. Er wollte nicht wahrhaben, dass er ein unerwartetes Geschenk bekommen hatte, zu sehr war er noch beschäftigt, wütend zu sein, dass er hier sein musste, zu sehr bemerkte er die klamme Feuchtigkeit unter seinem viel zu warmen Pullover, auf seiner Kopfhaut. Kein guter Ort … Aber eine ruhige tiefe Stimme, die ihm sagte: Es ist gut! Es ist gut so wie Du es machst. Plag Dich nicht!
Ein fülliges Mädchen gegenüber hatte zu sprechen begonnen, in einem Sitzsack, den sie schier plattdrückte, mit ihrer Unruhe brachte sie ihn zum Rascheln … Raschel-Petra würde er sie nennen, falls er noch einmal käme. Die Aussichten dafür schienen ihm allerdings gering. Neben ihr sass ein Mädchen mit langen dunklen Haaren, die ihr Gesicht verdeckten wie ein halb geöffneter Vorhang. Im Gegensatz zu Petra bewegte sie sich nicht, aber sie spürten einander, bevor sie sich ansahen. Nicht wie zwei Menschen die sich wahrnahmen, mehr wie zwei Wassertropfen auf einer Fensterscheibe, die in die gleiche Richtung glitten – getrennt und doch in der gleichen Bewegung gefangen. Und getrennt von den anderen. Oder wie zwei Passanten, die vom gleichen Windstoss überrascht werden.
Alle stellten sich vor, forsch oder brüchig, sonor oder flüsternd, unter Lächeln und Tränen und die Abenddämmerung kroch ins Zimmer, streckte die Arme nach ihnen aus und verbreitete sich zwischen ihnen wie jemand, der genau wusste, was er vorhatte – sie miteinander zu verbinden.
Jemand lachte zu laut.
Jemand weinte lautlos.
Sie hiess Lisa – ihre Stimme war wie ein Echo, das zu früh kam, das auf seine eigene Verstörung antwortete, die durch alles hindurchschwang was er sagte und doch so gerne verborgen hätte. Sie sagte Dinge, die er niemals gesagt hätte, obwohl er sie sich eingestanden hatte – ja, soweit war er schon. Verräter-Lisa … ! Er rollte sich zusammen, zog die Kapuze wieder über den Kopf und blickte auf seinen Bauch.
Dann wieder Schweigen, das zähe Verharren an der Schwelle der Sprache, an der Schwelle zum Verrat. War die dritte Dame – im Styroporsack, natürlich! – etwa auch eine Verräterin? Sie hiess Gudrun, lang, schmal – eher mager, feingliedrig, schönes blondes Haar, um das sie sich sichtlich wenig kümmerte – sie konnte nichts essen, obwohl sie es wollte. Das glaube ich Dir im Leben nicht – Du willst fragil und weltabgewandt bleiben, zerbrechlich schön, unkörperlich – dann bleib in Deinem Turm, Rapunzel, ich begehre nicht, dass Du Dein Haar herunterlässt. Und sieh zu, wie sich deine Knochen langsam durch die Haut hindurcharbeiten, bis sie sie durchbohren werden.
So sassen sie zusammen – wie Figuren aus Ton, noch nicht im Brennofen gehärtet, weich, formbar, in Gefahr zu zerfallen oder in ihrem fragilen Zustand zu vertrocknen.
Später würde sich Lisa an ihn erinnern, vor allem an seine Schultern – wie sie zuhörten, wie sie sich auf und ab bewegten im Verlauf der Gespräche, als wäre das Zuhören selbst schon eine Last die zu tragen wäre.
Später würde David sich an sie erinnern, an ihre hohe brüchige Stimme, wie der Schrei eines Vogels im Wald, den langsam die Kraft zum Schreien verliess und der nicht mehr wirklich auf Hilfe hoffte, nur noch schrie um sich selbst zu versichern, dass er noch lebte. Beim Hinausgehen kreuzten sich ihre Blicke, zu früh. Viel zu früh, es war keine Kraft in ihnen. Und senkten sich wieder wie die Schwerter zweier Krieger, die vom Kämpfen müde waren.
Dr. Andreas Hoffmann putzte seine Brille und betrachtete den Papierwust auf seinem Schreibtisch, ohne ihn wirklich zu sehen. Die Spannung in seinen Schultern lenkte ihn ab, vielleicht das Gewicht der sieben Leben, die seit diesem Abend wieder auf ihm lasteten – neben den vielen anderen Leben die sich ihm anvertraut hatten; seine Praxis war umfangreich und manchmal schien es ihm, als würde es langsam zu viel für sein Alter. Andere Berufe genossen schon längst den Ruhestand, Psychiater und Psychotherapeuten arbeiteten offenbar bis sie vom Stuhl fielen, vielleicht würde das auch sein Schicksal sein. Die Faszination des Höhlenforschers für sein Objekt – keine Höhle glich der anderen, hinter jeder Biegung warteten neue Überraschungen, das machte das Aufhören schwer. Er beschloss, heute früher zu Bett zu gehen, schmunzelte beim Auskleiden noch ein bisschen, als er an seinen Vater dachte und seinen Wunsch, der Sohn möge Zahnarzt werden. Was soll an Kieferhöhlen und Wurzelkanälen denn schon interessant sein? Der Schmerz bei der Behandlung mag der gleiche sein – bei beiden Berufen. Ach, Papa! Wie unglücklich warst Du über meine Berufswahl – ein Arzt der erfolgreich sein könnte, in Klinik und Forschung und sich stattdessen in einem Dachzimmer nur noch mit Verrückten abgibt. Und wie zufrieden war er selbst mit dieser Tätigkeit, diesen Wanderungen in fremde und doch vertraute Länder. Als jemand, der keine Richtung weiss, aber wartet, bis der Weg sich öffnet, der keinen Takt vorgibt, aber warten kann bis einer entsteht. Der sich freute, etwas zu wissen, aber sich auch gerne überraschen liess und den Zustand des Nichtwissens gut ertragen konnte. Als Kind hatte er mit Leidenschaft im Garten gearbeitet und dem Leben beim Wachsen zugesehen, heute tat er es in seinem Dachzimmer. Man muss einen Fluss nicht schieben, sondern nur die Hindernisse beseitigen, die ihn am Fliessen hindern – war immer seine Devise gewesen. So hatte er auch seine beiden Töchter erzogen, die sich so ganz unterschiedlich entwickelt hatten.
Als er im Pyjama auf seinem Bett sass, betrachtete er noch lange das Foto auf seinem Nachttisch: Eine ältere Dame – scharfe und kluge Augen, ein nur angedeutetes Lächeln, das er auch mit einem müde wirkenden Lächeln beantwortete, bevor er das Bild wieder auf den Nachttisch stellte. Was würdest Du dazu sagen, Käthe? Er wusste die Antwort: Es ist gut so wie Du es machst, Andreas! So zufrieden war sie nicht immer mit ihm und so ruhig, aber ihre Beziehung war doch wie ein See, der sich an der Oberfläche lebhaft kräuselt und in der Tiefe still ist. Wohltuend still.
Bald darauf schlief er ein, das schwarze Bändchen, das sich vom Rahmen des Fotos gelöst hatte, bewegte sich in einem leichten Luftzug, als winke es jemandem zu.
Wie jeden Abend stand sie am Fenster ihres Dachzimmer und atmete die Welt, die für sie nicht mehr begehbar schien; auch im Winter, wenn die Kälte sie ihren Körper wieder spüren liess. Aber jetzt war Sommer, früher, warmer, wohltuender Sommer und die Linde vor ihrem Fenster verschwendete sich in Blüte und Duft. Das eintönige Rauschen der Welt – das wusste sie – setzte sich aus vielem zusammen. Menschen fuhren in Autos oder Fahrrädern zu einem ersehnten Ziel, trafen sich, aßen, lachten und stritten zusammen, liebten und hassten sich. Es roch nach nassem Asphalt und blühenden Bäumen, auch die Restaurants in ihrer Strasse sandten verlockende Gerüche, denen sie meist widerstehen konnte. Heute fiel es ihr schwer, aber sie fühlte sich zu erschöpft, um noch einmal hinunterzugehen und dann alleine an einem Tisch zu sitzen und zu befürchten dass sich jemand zu ihr setzte. Sie atmete noch einmal tief durch, schloss das Fenster und schaltete den Fernseher ein.
David stand am Fenster, aber zögerte es zu öffnen; dahinter wogte die Stadt – schillernd, präsent, gefährlich – er legte die Hand flach auf die Scheibe, das war seine Art mit der Aussenwelt in Kontakt zu treten. Was wohl alles die Glasscheibe überwinden konnte? Geräusche, Bilder, Bakterien, Erinnerungen … er stellte sich vor wie kleinste Partikel, die Scheibe durchdrangen – mit welcher Botschaft? Er atmete flach, wie um die Welt draussen nicht zu stören, gestand sich aber ein, dass er fürchtete, von ihr entdeckt zu werden. Schliesslich schaltete er den Fernseher ein.