Der Mann war nicht besonders interessant – das Kunstprodukt, das aus ihm geformt wurde schon – wie ein Kristallisationskeim zog er alles was im grossen Kochtopf genannt Deutschland herumbrodelte und – waberte an sich, um es für alle sichtbar zu materialisieren, man erlebte in diesem fleischgewordenen Mythos die eigene Unverortetheit, psychische Entwurzelung und Identitätsdiffusion fokussiert wie in einem Brennglas. Die Deutschen hatten eine Heimat, die sie libidinös besetzt hatten, idealisierten und zunehmend grössenwahnsinnig glorifizierten und fanden sich nach Kriegsende unversehens in einer Situation wieder, in der man sie als ein Volk von Mördern und Verbrechern ächtete, Restriktionen plante und nicht nur die nationale Identität durch Schuld kontaminiert, sondern auch die physische Heimat zerstört war. Im Heimatfilm durfte sie grandios wiederauferstehen, streng liminiert auf anderthalb Stunden, in denen man träumen und den alten Wertekanon abfeiern durfte. In benachbarte Länder konnte man sich nicht retten, das war „Feindesland“ (das klang noch sehr lange nach), bewohnt von Gegnern, wenn nicht gar andersrassigen Untermenschen, die man nicht mochte und die einen nicht mochten. Es bildete sich etwas, das man in der Psychotherapie eine paranoide Festungsfamilie nennen würde. Die Besatzungsmächte – insbesondere die Amerikaner – brachten eine neue Kultur, die von der Jugend begeistert aufgegriffen wurde, damit begann das Fremde Wurzeln innerhalb der eigenen Grenzen zu schlagen und forderte eine Toleranz ein, die die ältere Kriegsgeneration nicht aufbringen konnte und wollte, die gerne zum business as usual zurückgekehrt wäre, der alte Wertekanon stand ohnehin noch auf recht stabilen Gehwerkzeugen. Ein Zuhause war verloren, ein neues bildete sich heraus, das man aber nicht annehmen wollte. Ein brisantes Gemisch der Generationen, dem die baldige Explosion schon eingeschrieben war.
Auch Freddy Quinn lebte im Nirgendwo: Zuhause litt er unter Fernweh und sehnte sich nach fremden Ländern, dort hatte er Heimweh und zerrte an der langen Leine seiner Mutter, deren Briefe ihn bis in den entferntesten Hafen noch verfolgten und die ihn wieder am Schürzenband haben wollte. Ein lebenslange Existenz im Zwischenreich der Begehrlichkeiten und Erfüllungen, die immer dort lockten, wo man gerade NICHT war, dieses menschliche Artefakt bekam kein Bein auf und kein Würzelchen in den Boden und haufenweise Mamas im fliegenden Wechsel mit exotischen Schönheiten winkten ihm am Kai hinterher, wenn er wieder mal vom Liebhaber zum sich entfernenden Sehnsuchtsobjekt mutierte und aufs Meer – die ewige Geliebte des Mannes, die ihn schliesslich verschlingen wird – hinausschipperte. Demgemäss musste der Mann zum romantischen Mythos umetikettiert werden, der biedere „Junge von Sankt Pauli“ mit dem Rollkragenpulli und der Gitarre war von da an das Label, dem auch das Privatleben des Stars untergeordnet wurde. Zudem war er sympathisch asexuell und geriet deshalb bald in den Verdacht der Homosexualität, was aber keineswegs thematisiert werden durfte. In Liebesszenen kam es auf der Leinwand nie weiter als zu geschwisterlichen Küsschen, das war der typische testosteronfreie Nachkriegsmann auf der Leinwand wie Heinz Rühmann, Heinz Erhardt oder Peter Alexander, guter Junge und Kumpel, als Liebhaber schwer vorstellbar bis peinlich. Seht, wie brav wir sind – unmöglich, dass wir so schreckliche Taten begangen haben sollen. Wir pimpern ja noch nicht mal.
Später outete Freddy sich in dem Song „Wir! Ihr!“ (in dem mit den Gammlern abgerechnet und die Kriegsgeneration gebauchpinselt wurde), wo er wirklich stand und eroberte erneut das Herz der Letzteren und demonstrierte, was hinter der Kruste an Harmlosigkeit schlummert, wenn man nur ein bisschen daran kratzt: Eine aggressive Spaltungstendenz, aus der selten etwas Gutes erwachsen kann. In Wirklichkeit stammte der physische Manfred Nidl-Petz aus Wien oder einem kleinen Ort in der Nähe, sein Vater war ein Phantom, seine jahrelange Vatersuche hat nie stattgefunden (auch hier der Topos „Nicht-Anwesenheit“), in Wirklichkeit ist der Erzeuger nicht bekannt und hat sich offenbar ebenso nebelhaft verflüchtigt wie der Sohn das lebenslang in seinen Filmen praktizierte, ein ständiger Vollzug des Nicht-da und des … aber auch nicht dort. Ein Tribut an die Romantik des Diffusen und Schwebenden und ein hoher Wiedererkennungswert in einer in vieler Hinsicht für viele vaterlosen Zeit, in der manches Kind sich alternativ mit toten Kriegshelden-Phantomen oder lebenden Kotzbrocken herumschlagen musste. Seine Lebensgefährtin wurde zur Managerin umfunktioniert, um das Bild des lonely riders nicht zu stören, sie hat es mit bewundernswerter Geduld durchgehalten. Eine Gedenkminute für sie! Die Feministinnen würden sie dafür kreuzigen. Erst mit 91, als Freddy nach deren Tod zum erstenmal heiratete – sehr seltsam, das ist doch, wie wenn man ein Loch in den Tank bohrt, wenn eh schon die Tankanzeige blinkt – liess er den Mythos platzen und gibt nun seine Bio heraus, in der vermutlich noch einige andere Blasen sich auflösen werden. Auch wenn viele ihn kitschig und degoutant finden – ich werde sie lesen. Sein grosses Verdienst war es, uns uns die gefürchtete Fremde und deren Bewohner wieder reizvoll und exotisch scheinen zu lassen und damit die Welt wieder begehbar zu machen – ebenso wie Vico Torriani, Caterina Valente und Lolita mit der Omadauerwelle, beim Kitsch gibt es immer noch eine zweite Ebene und das ist sein manipulativer Charakter und Einfluss auf das Unbewusste, insofern ist er immer auch von politischer Relevanz. In den Romanheftchen meiner Oma habe ich sehr viel gelernt über die Kriegstraumaverarbeitung dieser Zeit, vor allem die Rolle von Schuld, Schweigen und Verschweigen in Beziehungen, da wurde sozusagen geschwiegen, dass es nur so krachte. Natürlich arbeiteten die Schlagertexter und Drehbuchschreiber kräftig mit, aber ohne ein gutaussehendes Trägersubstrat können die nicht viel ausrichten, die wussten schon, was sie an Freddy und Caterina hatten. Die Deutschen begannen wieder, über die eigenen Grenzen hinaus zu träumen, an den Wohnzimmerwänden hingen wieder immer mehr verführerische Z … (darf man nicht mehr sagen – ihr wisst schon: Die Mädels mit den Glutaugen, den weissen Rüschenblüschen und den goldenen Ohrringen, die man jetzt mit Sinti oder Roma ansprechen muss, obwohl man gar nicht weiss, ob sie das eine oder das andere sind, ich hab auch welche kennengelernt, die es selbst nicht wussten und denen das auch völlig wurscht war, weil sie gegen das Z-Wort überhaupt nix hatten). Und in den Schlagertexten begannen die Worte „Traum“ und „träumen“ immer häufiger über die Seiten zu spitzentänzeln – gemeint war der Tagtraum, der ja auch immer ein Entwurf in die Zukunft ist und meistens der konkreten Handlung vorausgeht. Eines Tages – den wir leider nicht kennen, ansonsten sollte man ihn zum Feiertag erklären – fand eben der Quantensprung statt und die Zentrifugalkräfte überwanden die Zentripetalkraft: Der erste Deutsche nahm die challenge an, kaufte sich eine Isetta oder einen Käfer und bretterte damit über den Brenner nach Italien, wo das vielbesungene blaue Meer schon auf die tedesci wartete. Die Südsee kam dann später. Dann die Prärie. Dann war erstmal gut – mit der Auslandsphobie, zumindest was das Urlaubmachen betrifft. Und es folgte ein Tsunami an „Bikini-Filmen“ am blauen Meer oder wenigstens am Gardasee mit zumindest einem Hauch von Sex und das Interesse an beschneiten Bergspitzen, Gemsen, Wilderern und braven Dirndln liess drastisch nach. Nur die Mütter hofften, dass alle bald wiederkämen und nie wieder hinausfahren würden. But who cares …