Sucker Punch (USA, 2011, Regie: Zack Snyder) …
… ist einer jener Filme, die man auf mehreren Ebenen lesen muss, um ihn überhaupt zu verstehen. Ist ja zunächst mal nicht schlecht. An der Oberfläche wirkt er wie ein überstilisiertes Action-Fantasy-Spektakel oder ein Videospiel: Sexy Kämpferinnen, Steampunk-Soldaten, Drachen, Samurais, Explosionen. Aber darunter liegt eine dichte, vielschichtige psychologische Allegorie, über die sich allerdings trefflich streiten lässt.
Babydoll wird von ihrem Stiefvater nach dem Tod der Mutter in eine psychiatrische Anstalt gesteckt, weil sie Zeugin seiner Schuld wurde. Er lässt sie lobotomieren und internieren. Um die Realität der Anstalt zu ertragen, verwandelt Babydolls Psyche sie in ein Bordell, in dem sie und die anderen Insassinnen als Tänzerinnen auftreten. Der Chefarzt wird zum Bordellbesitzer, der Pfleger zum Zuhälter. Das ist die psychische Abwehr: Die Umwandlung von Ohnmacht in ein beherrschbares, erotisiertes Szenario. Immer wenn Babydoll „tanzt“, flieht sie in noch tiefere Fantasien – Kriegs- und Fantasywelten, in denen sie (und die anderen) gegen Monster kämpfen, um symbolisch Objekte zu „erobern“, die den Fluchtplan darstellen (Feuerzeug, Karte, Schlüssel, Messer …). Das ist die Projektion ihres inneren Kampfes um Freiheit und Selbstbestimmung. Die „Lobotomie“, die am Ende tatsächlich stattfindet, ist der Moment, wo die Realität wieder einbricht. Ihr letzter Tanz, ihr letzter Traum, ist die völlige Dissoziation – und zugleich ihr Opfer, damit eine andere (Sweet Pea) entkommen kann.
Psychologisch ist das Ganze ein Dissoziationsdrama, das Trauma, Gewalt, sexualisierte Ohnmacht und Überlebensfantasie verarbeitet. Der „Sucker Punch“ – der Tiefschlag – ist dabei doppelt gelandet: Beim Zuschauer, der merkt, dass die vermeintliche Empowerment-Fantasy eigentlich eine Tragödie ist. Bei Babydoll selbst, die die Freiheit nur durch Selbstaufgabe erlangt. Wenn man so will, ist der Film eine ästhetisierte Metapher für die Psychodynamik weiblicher Traumabewältigung unter patriarchalen Gewaltverhältnissen – in der Fantasie phallisch stark, im System ohnmächtig; Kampfpornographie … glitzernd und überästhetisiert, Phantasievorlagen pubertierender Gamer.
Und da fängt’s schon an: Sucker Punch tut so, als wäre er ein Film über weibliche Selbstermächtigung, aber er inszeniert weibliches Trauma durch und durch im männlichen Blick, also im male gaze (Laura Mulvey lässt mal wieder grüßen). Männer „stellen sich vor“, was Frauen sich wünschen oder wie sie sich befreien könnten, – und tun das mit den Mitteln männlicher Fantasieproduktion: Körper, Kampf, Spektakel, Sex, Macht, überbordendes Waffenarsenal, eine Frau im Rachemodus der Medea. Verständlich. Es wird nun besonders perfide, weil Snyder vorgibt, den Voyeurismus zu kritisieren, ihn aber gleichzeitig ästhetisch ausstellt und genüsslich konsumierbar macht. Die Kamera schaut nicht mit Babydoll, sie schaut auf Babydoll. Und das, was als Traumabewältigung präsentiert wird, ist letztlich ein fetischisiertes Ersatzritual: Die Waffen sind Phallussymbole, die Kämpfe ersetzen psychische Arbeit, es gibt weder Frieden noch Freundschaft noch liebevolle Sexualität. Die Fantasien sind nicht Metaphern weiblicher Autonomie, sondern internalisierte Popkulturbilder von „starker Weiblichkeit“ – also eine männlich codierte Abwehr gegen Ohnmacht. Gotham City lässt auch grüssen samt sämtlichen Purzelbaum – Ninja – Damen, die rätselhafterweise immer einen Salto drehen müssen, bevor sie zuhauen. Wär auch mal ’ne Doktorarbeit wert, warum dieses Gehüpfe sein muss, aber wahrscheinlich gibt’s das auch schon.
Snyders Verteidiger behaupten oft, der Film sei eine Satire auf genau diesen Blick. Aber das ist schwer haltbar, weil der Film nie eine echte weibliche Perspektive zeigt. Er bleibt auf der Seite der Stilmittel, der Pose, der Oberfläche. Er inszeniert nicht Traumabewältigung, sondern Dissoziation und Abwehrfantasien als Spektakel. Oder einfacher gesagt: Snyder zeigt eine Frau, die sich in immer spektakulärere Fantasien flüchtet, um Missbrauch zu überleben – und verkauft diese Flucht zugleich als Actionkino. Das ist der eigentliche „Sucker Punch“: der Schlag in den Magen des Publikums, das meint, Empowerment zu sehen, aber in Wahrheit den Traum eines Mannes konsumiert.
Wie sieht denn nun die Realität aus? Traumatisierte Frauen sieht die/der Therapeut/in ja häufig, es gibt mehrere Wege mit diesem Trauma zu leben; bei Sexualtraumata sehen wir oft neben einer totalen Sexualverweigerung und schweren Überwältigungsängsten (manche gehen ihr Leben lang nicht freiwillig zum Zahnarzt, zum Gynäkologen schon gar nicht) eine Umkehr der Verhältnisse (in der Fachsprache heisst’s „Identifikation mit dem Aggressor“), die Frauen haben Fantasien von Macht und Kontrolle über den Mann. Eine bekannte Schauspielerin der Nachkriegszeit, in ihren Rollen als deutsches Saubermädchen verbraten, suchte sich alte Männer als Sexualpartner und genoss die Phantasie, sie sexuell so zu strapazieren, dass sie an Herzversagen sterben würden. Eine wahrhaft mörderische Wut gegen den Sexualität konsumierenden Mann als solchen. Ein Teil der Frauen findet den Weg in die Prostitution – im Bordell hat die Frau das Sagen bzw der Zuhälter nebenan.
Snyders Kamera liebt die Miniuniformen, die langen Beine, die Waffen. Es ist die alte Leier: Stärke wird in Erotik übersetzt, und das Leiden weiblicher Figuren bleibt nur die Folie, auf der männliche Erregung sich spiegeln kann. Was Snyder als „Empowerment“ verkauft, ist in Wahrheit die Ästhetisierung der Dissoziation. Jede Tanzszene öffnet ein neues Traum-Level, das mit phallischen Symbolen durchsetzt ist: Schwerter, Maschinengewehre, Stahlkolosse, die die innere Ohnmacht mit Kampf ersetzen sollen. So sieht Traumabewältigung unter männlicher Regie aus – und zwar buchstäblich. Im Vergleich dazu wirkt Magic Mike, den ich letztlich hier benörgelt habe, fast ehrlich: Auch dort wird weibliches Begehren durch männliche Selbstinszenierung gefiltert, aber zumindest ahnt Steven Soderbergh, dass es eine Differenz zwischen Wunsch und Projektion gibt. Snyder dagegen verwechselt seine eigene Fantasie mit der weiblichen Innenwelt. So bleibt Sucker Punch eine doppelte Tragödie: Die der Figuren – und die eines Regisseurs, der glaubt, Emanzipation bedeute, Frauen noch besser bewaffnen zu lassen, damit sie sich in seinen Träumen selbst verteidigen können.
Eine bessere Verfilmung des Themas bitte ich meinem Thread vom März 2023 zu entnehmen zum Film Promising Young Woman, den ich – interessante Koinzidenz – als Film wie ein Schlag in den Magen bezeichnet habe und in dem sich eine Frau (wenn auch vermutlich nur in ihren Phantasien) mit Intelligenz und Raffinesse an ihren Vergewaltigern rächt. Dieser Film schafft es auch, Gefühle beim Zuschauer zu entfachen, weil nicht alles in krachendem Actionspektakel und wohlfeilen Schauwerten untergeht, also letztlich mit einer Vergewaltigung des Zuschauers. Diese Erfahrung kann man bei Sucker Punch immerhin machen, dieser überbordende Film als solcher wird selbst zum Vergewaltiger, der sich seinen Weg gewaltsam ins Innere des Zuschauers sucht und ihn ziemlich erschlagen zurücklässt. Manchmal hat man den Eindruck eines männlichen Vampirismus in diesem genüsslichen Aussaugen von Frauenthemen. Habt Ihr Herren Regisseure denn keine eigenen? Da gäb’s sicher genug im Keller zum Aufräumen …


