Jessica Hausners Pflanzenparabel
Jessica Hausners „Little Joe“ (2019) ist kein Film über Botanik, sondern über Psychodynamik, Entfremdung und Dissoziation. Die gentechnisch gezüchtete Pflanze „Little Joe“, die via Pollen Glückshormone freisetzt, ist weniger ein biologisches Experiment als eine Metapher für verdrängte weibliche Triebkraft – für Verführung, Fruchtbarkeit, Lust, Entgrenzung und Schönheit, für jenes rätselhafte Begehren, das die rationale Ordnung einer kontrollierten Welt zu unterwandern droht, in die Irrationalität führt.
Zunächst erleben wir die kontrollierte Welt der Naturwissenschaft: Die Botanikerin Alice mit dem signalroten Haarschopf (das einzige an ihr, was Aufmerksamkeit einfordert), alleinerziehende Mutter, steht im Zentrum eines paradoxen Dilemmas: Sie bringt eine Pflanze hervor, die emotional abhängig macht, doch sie selbst ist in emotionaler Enthaltsamkeit gefangen. Ihre Kreatur verführt – sie selbst kann es nicht, vielleicht will sie es auch gar nicht. Ihre eigene unbewusste erotische Energie wird externalisiert und fliesst in das Werk ihrer Hände – eine Pflanze, die Pollen aussendet, die glücklich machen und die den Wunsch nach Körperlichkeit freizusetzen versteht. Natürlich ist sie leuchtend rot – und wie nicht anders bei den künstlichen Geschöpfen des Sci-Fi entwickelt sie ein unheimliches und unkontrollierbares Eigenleben. Die Angst vor der Blüte ist die Angst vor der eigenen inneren Entfaltung, vor dem „Erblühen“, das zugleich Leben, Chaos, Abhängigkeit und Verletzlichkeit verheißt. Diese Angst wird doppelt heikel durch die Präsenz ihres Sohnes Joe: Sie schenkt ihm eine Pflanze und in ihm beginnt dieselbe Triebenergie zu erwachen, die sie selbst aus ihrem Inneren verbannt hat. Sein Erwachen trifft auf ihre Angst, seine Lebendigkeit auf ihre Erstarrung. Das erträgt so manche Mutter schwer, es mobilisiert eigene Triebwünsche und bedeutet auch den Verlust des weiblichen Monopols im Leben des Sohnes. Das Gras auf der anderen Seite jenseits des Dunstkreises der Mutter wird für den Jungen plötzlich grüner – in diesem Fall röter. Zwischen Mutter und Sohn entsteht so eine Spannung, die von Verlustangst, Schuld und Begehren untergründig aufgeladen ist, als der Sohn den Übergangsraum betritt, auf Distanz zur Mutter geht und Wünsche nach mehr Kontakt zum Vater äussert – ein stilles, alltägliches Drama – zunächst.
Hausners sterile Farbwelt, die nüchternen klinischen Räume und die zurückgenommene Kameraführung spiegeln diese seelische Erstarrung. Das Labor ist kein Ort des Wissens, sondern des Entstehens und gleichzeitig des Abwehrens von Verführung – eine moderne Variante des Gewächshauses, in dem das Weibliche als Bedrohung eingesperrt wird, ein Ort an dem nichts wuchern darf. Die greifbare Spannung zwischen ihr und dem Sohn, der seine libidinöse Besetzung von ihr zunehmend abzieht, wird noch verstärkt durch die präzise komponierten Bilder, die pastellfarbene Kälte der Labors, entgegengesetzt zum knallenden Rot der Pflanze. Konsequent wäre nun für Alice, ihre Schöpfung wieder zu vernichten, wie so mancher mad scientist mit seinem Geschöpf verfahren ist oder es zumindest versucht hat.
Bis zuletzt bleibt offen, ob die Pflanze tatsächlich manipuliert oder ob Alices Wahrnehmung selbst paranoid vergiftet ist. Doch vielleicht ist das gar keine Frage: „Little Joe“ zeigt das Drama einer Frau, die sich vor ihrer eigenen Lebendigkeit fürchtet – und deshalb ihr Begehren als gefährliche Fremdsubstanz erlebt, um die sie während des gesamten Films misstrauisch herumschleicht und um ihren Sohn fürchtet. Wenn man diese sexuelle Unterströmung zu erspüren versteht, funktioniert der Film als Innenansicht gut, dieser suspense macht die Spannung des Filmes aus – eine treffend bebilderte klinische Studie – das macht den Genuss, auch wenn einem dabei gelegentlich die Füsse einschlafen: das ist nicht die Unfähigkeit der Regisseurin, sondern Stilmittel, vermute ich mal.
Doch „Little Joe“ erzählt nicht nur von einer Frau und ihrem verbannten Begehren. Der Film spiegelt auch eine Gesellschaft, die Gefühle längst als Ware begriffen hat. Glück, Schönheit, Verführung sind längst ein Produkt, das sich designen, perfektionieren, patentieren und kontrollieren lassen soll. Die Blume ist ein Konsumgut wie jedes andere – mit Marketingstrategie, Zielgruppenanalyse und Versprechen von Wohlbefinden. Auch das ist unheimlich.
Das eigentlich Unheimliche an Little Joe ist aber nicht die Manipulation, sondern wie selbstverständlich sie angenommen wird. Wer würde – wie in Brave New World – nicht gern ein bisschen glücklicher sein? In dieser Logik wird das Gefühl selbst zum ökonomischen Faktor – regulierbar, dosierbar, verkäuflich. Die industrielle Zucht von Emotionen löscht aber ihre Wildheit aus, das gibt eine Art Einheitsbrei-Glück, fürchte ich, und der Wilde in Brave New World erhängt sich lieber, als auf diese Art glücklich sein Leben zu fristen. Und vielleicht ist Alice deshalb so misstrauisch – weil die Blume ihr zeigt, wie radikal sich die Natur des Menschen verändert, wenn man das Glück in die Produktion gibt.
Assoziativ stellte sich bei mir noch „Homo Faber“ von Max Frisch ein: Ein Homo Technicus, der alles verabscheut, was mit Gefühlen zu tun hat und die Welt für berechenbar hält, auch bei ihm darf nichts lustvoll wuchern (die beiden hätten sich prima verstanden in ihrer schizoiden Gehemmtheit):
„Was mir auf die Nerven ging: die Molche in jedem Tümpel, in jeder Eintagspfütze ein Gewimmel von Molchen — überhaupt diese Fortpflanzerei überall, es stinkt nach Fruchtbarkeit, nach blühender Verwesung. Wo man hinspuckt, keimt es!“
Das Schicksal zwingt den Ingenieur Faber sodann, in ein Drama antiken Ausmasses und archaischer Wucht, in dem er das lernt was er noch nicht kann. Zuletzt dann eine Art verhaltenes Happy End: Alice bekommt ebenfalls eine Pollendusche ab, wagt es einen Mann zu küssen und entlässt ihren Sohn in die Männerwelt. Wünschen wir der Mama mehr Küsse und dem Jungen ein fröhliches Junggesellenleben bei seinem hoffentlich weniger sauertöpfischen Papa!


