Sie träumte schon zu Anfang ihres Lebens davon bald wieder abzutreten – auf spektakuläre Art und Weise, in “ flammenden Lettern“ die Welt zu verlassen, brennend aus dem Fenster zu springen – und sie hat es geschafft. Dieses Buch ist die Nacherzählung der Mutter von Nancy Spungen über das kurze Leben ihrer Tochter und der Versuch eines Erspürens von deren Innenwelt, was ihr nicht gelingt und letztlich in ein resigniertes Hinnehmen einmündet.
Nancy war die Freundin von Sid Vicious, Bassist der Sex Pistols, der ersten Punkrockband Englands, der angeblich nicht Gitarre spielen konnte und dessen Stimme mich immer etwas an Jim Morrison erinnerte, so als käme sie ein bisschen jenseits des Grabes. Beim Ableben als 22-jähriger konnte er nicht in den Club 27 aufgenommen werden, verdient hätte er es. Beide waren heroinabhängig. Nancy wurde in einem Hotel in Chelsea mit einem Messer im Bauch tot aufgefunden; Sid wurde festgenommen, die Tat konnte ihm aber nicht nachgewiesen werden, nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft verstarb er an einer Überdosis die ihm seine Mutter als letzte Zuflucht ins Gefängnis mitgebracht hatte. Mittlerweile vermutet man eine Selbstverletzung – Nancy hatte oft erwähnt ihren 21. Geburtstag nicht mehr erleben zu wollen, fügte sich häufig Verletzungen zu. Die Mutter ist von Sids Täterschaft überzeugt und bezeichnet ihre Tochter als Mordopfer.
Nancy hatte eine traumatisierende Geburt, die Nabelschnur um den Hals, halb erstickt und an Gelbsucht erkrankt kam sie zur Welt, die sie so bedrohlich empfing. Als Kind wohlwollender Mainstreameltern die auf ihre Andersartigkeit und Impulsivität befremdet und zunehmend verängstigt reagierten schien sie die Hölle in sich zu tragen, sie schrie von Anfang ihres Lebens an panisch und fast ununterbrochen, liess sich weder beruhigen noch regulieren, litt später unter vielerlei Ängsten und Wutanfällen und bekam Beruhigungsmittel. Psychiater kamen zu keiner Diagnose – heute würde man eine schwere posttraumatische Belastungsstörung annehmen, die auch mit zunehmenden neoplastischen Gehirnveränderungen einhergeht und grosse Probleme hinsichtlich der Stressregulierung hinterlässt – diese Menschen stehen unter schwer erträglicher Dauerspannung und überbordenden Gefühls – Tsunamis. Erst unter Drogen schien sie zur Ruhe zu kommen und das Alltagsleben ertragen zu können. Sie arbeitete in London als Stripperin, bewegte sich in der Punkszene – je lauter und unruhiger es um sie herum wurde umso wohler schien sie sich zu fühlen und zu etwas mehr Lebensfreude zu kommen. Die Sex Pistols waren nicht eben begeistert von der symbiotischen Doppelexistenz ihres Mitglieds mit einem heroinabhängigen Groupie das ihn vom Proben abhielt, Johnny Rotten, der Bandleader, hasste sie. Nach einem Jahr dann das ebenso tragische wie ungeklärte Ende. Die Zeitungen schrieben in flammenden Schlagzeilen über sie – für Nancy ihr erstes und letztes Aufleuchten, eine Form von Gesehenwerden.
Das Buch ist weder romantisierend noch reisserisch, eher gnadenlos authentisch und subjektiv aus der Perspektive einer Mutter und präziser Chronistin eines familiären Dramas, die erst sehr spät begriffen hat was Trauma und Sucht bedeuten bzw wie stark letzteres einen scheinbaren Ausweg darstellt unerträgliche Traumaspannung erträglich zu machen. Sie scheut sich nicht die elterliche Ambivalenz und zunehmende Aggression zu schildern in dieser Abwärtsspirale aus Selbstzerstörung, Ohnmacht und Verwüstung des sozialen und familiären Umfeldes als existenzielle Grenzerfahrung. Die ungebrochene Liebe zur Tochter klingt immer wieder durch. Das Buch wurde neu aufgelegt unter dem Titel And I dont want to live this life – ein Satz, der ein vertiefteres Verständnis für die Nancys Leben signalisiert. Es gibt immer wieder Menschen die sich aufgrund ihrer Startbedingungen mit dem Dasein auf dieser Welt nicht abfinden können und ihren Ausweg selbst suchen müssen. Oft ist das ein Ausweg ohne Rückkehr.
