Non vivere … scribere!
Obwohl dieser Film hier im Blog kurz nach seinem Erscheinen schon einmal besprochen und auch goutiert wurde, habe ich nun doch dem Regisseur, den ich eigentlich furchtbar dröge finde, eine Chance gegeben, nachdem ich „Undine“ überraschenderweise ganz erfrischend fand – in Abhebung von seinen anderen vorher vorgeführten Gespenstern und anderen seltsam unverorteten Gestalten, zu denen ich schwer Zugang finden konnte – lag natürlich auch an dem perseverierenden Einsatz von Nina Hoss und ihrer Aura von beleidigter Leberwurst.
Also Roter Himmel im Tagesprogramm geguckt. Als erstes registrierte ich das Auftauchen zweier anderer Filme in meinem Kopf, die hier in der Überschrift aufscheinen – als erstes Rossini von Helmut Dietl, eine Art filmischer Schlüsselroman über die Münchner Bussi-Gesellschaft mit Dietls bekannt-bissigem Humor. Ein schwer soziophobischer Schriftsteller ist verliebt in die italienische Kellnerin seines Stammrestaurants, die ihm täglich sein Essen in einem kleinen Nebenraum serviert (karikiert wird hier Patrick Süskind, der auch nett und selbstkritisch am Drehbuch mitschrieb). Als sich für die Dame die Gelegenheit ergibt, ihm an die Wäsche zu gehen, ergreift ihn Panik und er rettet sich mit dem oben erwähnten Kultsatz: Non vivere – scribere!
Das passt auch auf die Hauptfigur in Roter Himmel – Leon zieht sich an die Ostsee in ein Landhaus zurück, um sein Buch zu schreiben. Ihm dabei zuzusehen, wird zu einem quälenden Prozess – umgeben von einer seltsam belebten Natur und unruhig sich bewegenden Bäumen und Sträuchern, die für jeden Antonioni-Fan sofort das berüchtigte Blow-up- Gefühl erzeugen. Und ebenso wie Blow-up-David zerrinnt Leon ebenso jede sich bietende Gelegenheit Leben zu spüren zwischen den Fingern, während sein Freund Felix diese lustvoll ergreift. Die unheilvoll lebendige Natur und das graue, unruhige Meer, eine sich im Wald entfaltende und nahekommende Feuerwand bilden extrapoliert die innere Landschaft von Leon ab – Gefühle und Lebendigkeit sind bedrohlich und vernichtend – Felix und sein neuer Liebhaber Devid werden darin verglühen. Liebe ist tödlich – darauf werden wir eingestimmt durch die Eisverkäuferin Nadja, die Das Gedicht Der Asra zitiert und von den Liebenden von Pompeji erzählt, deren versteinerte Körper man in der Asche gefunden hat. Und natürlich ihre Netze nach Leon auswirft, der auch am Strand seine schwarzen Klamotten anbehält wie eine Mönchskutte. Petzold schichtet die Dramen des Alltags über die Katastrophenerfahrung einer brennenden Landschaft, so wird das Ferienhaus am Meer zum Resonanzraum für das Ineinander von Begehren, Eitelkeit, Angst und schöpferischem Anspruch. Während Leon an seinem Romanprojekt scheitert und seine narzisstische Deformation offenbart, verkörpern Nadja, Felix und Devid unterschiedliche Lebenshaltungen – Leichtigkeit, Sinnlichkeit, Offenheit.
Die Katastrophe selbst, das Feuer, bleibt zunächst ein atmosphärischer aber immer präsenter Hintergrund, wird dann aber zum Schicksalsmoment: Felix und Devid kommen bei einem Ausflug darin um, Nadja kehrt am Ende im Rollstuhl zurück. Diese Verstümmelung lässt sich auf mehreren Ebenen lesen: Als Schock der Realität – das Feuer, das zuvor nur Metapher und Stimmung war, hat reale, irreversible Konsequenzen. Der Sommer ist kein leichtes „Intermezzo“ mehr, sondern brennt sich in Körper und Biografie ein. An der Liebe kann man zugrunde gehen, Leons Pessimismus hat sich damit erfüllt. Damit kommt es auch zu einer Umkehrung der Rollen: Nadja, die im Film als souverän, körperlich, fast unantastbar erscheint – selbstbestimmt und sinnlich –, wird plötzlich die Verletzliche. Das unterstreicht die Fragilität aller Figuren, auch derjenigen, die bisher als „Lebensgewandtere“ schienen. Als Spiegel von Leons Scheitern. Nadjas Rollstuhl steht in einer gewissen Ironie gegen Leons Werk: während er seine literarischen Texte ins Leere laufen lässt, wird ihr Körper von der Geschichte gezeichnet. Was er nicht zustande bringt – eine Spur, eine Wirkung, eine bleibende Form – schreibt sich in sie ein. Die Lebenszugewandten sind auch die Verletzlichen und tragen ihre Zeichen – das kennt man.
Als Kommentar zur Zeitdiagnose: Petzolds Kino arbeitet oft mit dem Motiv der Verletzung und der Versehrtheit. Nadjas Schicksal erinnert daran, dass man aus den Katastrophen unserer Gegenwart – ob ökologisch oder existenziell – nicht unversehrt hervorgeht – dies nur der Vollständigkeit halber. So markiert Nadjas Rollstuhl am Ende nicht nur ein individuelles Unglück, sondern den Umschlag des Films vom sommerlichen Kammerspiel in eine existenzielle Allegorie: der rote Himmel als Menetekel, das aus Leichtigkeit Ernst macht, aus Möglichkeit Verletzung, aus Übergang Dauer – fast eine Parabel über die Gefahren von Glück. Parabeln pflegen mich in der Regel zu langweilen – dieser Film tut es nicht, ich fand ihn quälend; Petzold hat gelernt, Gefühle zu erzeugen. Am Ende des Films liest Leon die Geschichte von Felix, Devid und Nadja als neuen Roman seinem Verleger vor. Scribere, non vivere! Hat er ihn auch begriffen? Wieviel von Leon steckt wohl in Petzold, der mich früher so trefflich einschläfern konnte?


